Es ist schon wieder passiert. Ich habe die Zeit mit einer Künstlerin dermaßen verplappert, dass am Ende keine Zeit mehr blieb für klassische Fragen wie: „Woher kommt dein Albumtitel?“ Warum Miya Folicks neues Album „Roach“ heißt, müsst ihr also selbst herausfinden. Dafür war Miya Folick aber zu dem Zeitpunkt unseres Gesprächs auf Tour als Support von Dermot Kennedy, und ich wollte schon immer wissen, wie es sich anfühlt, in ausverkauften Arenen zu spielen, voll mit Menschen, die nicht ursprünglich gekommen sind, um dich zu sehen. Daraus entspann sich eine Unterhaltung über Zuschaueretikette bei Konzerten, kathartische, negative und positive Gefühle, magische Performer und das Phänomen der menschlichen Aura.
Und wenn ihr das gelesen und es noch nicht getan habt, dann könnt ihr euch „Roach“ auch einfach anhören. Das ist sowieso besser investierte Zeit, als darüber zu lesen. Und außerdem: Ich habe Dermot Kennedys Konzert in der Berliner Verti Hall gesehen. Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann war ich vor allem für und wegen Miya Folick da.
Du kommst gerade aus München. Wie hat es dir da gefallen?
Wir hatten nicht so viel Zeit in München. Es gab auf dieser Tour Städte, von denen haben wir mehr gesehen. Dadurch, dass wir Arena-Shows spielen, sind wir auch oft eher in den Außenbezirken. In München hatten wir Soundcheck, haben gespielt und sind wieder abgehauen. Ich habe nicht wirklich etwas von der Stadt gesehen. Aber Arena-Shows zu spielen ist wirklich interessant. Es ist so dunkel im Publikum. Ich kann nur die ersten paar Reihen erkennen. Dadurch ist es lustigerweise eine intime Erfahrung, obwohl es so viele Menschen sind.
Das ist interessant. Wie ist es denn überhaupt, eine Support Show in der Größenordnung zu spielen? Ich stelle mir vor, dass es einen gewissen Mut erfordert.
Es ist definitiv seltsam. Und es hört nie auf, sich seltsam anzufühlen. Ich glaube, das hier sind die größten Venues, in denen ich jemals über eine längere Strecke Support gespielt habe. Diese Shows hier für Dermot Kennedy machen Spaß, weil sein Publikum wirklich zugänglich und respektvoll ist. Ich habe das Gefühl, dass ich für Leute spiele, die zuhören. Ich habe definitiv schon Support-Shows gespielt, bei denen ich härter arbeiten musste, um die Aufmerksamkeit der Leute zu bekommen. Es ist auf jeden Fall eine Art Kopfgymnastik, die man als Künstler*in durchmacht. Jeder ist da sicherlich anders. Ich bin so gestrickt, dass wenn ich merke, ich schaffe es nicht, das Publikum für mich zu gewinnen, ich irgendwann denke: „scheiß drauf“ (lacht). Ich werde mich nicht hier oben umbringen und mir umsonst die Seele aus dem Leib schreien. Eine Show zu spielen fordert dich jedes Mal, körperlich und spirituell. Manchmal denke ich, ich möchte mich nicht derart verausgaben für Menschen, denen es offensichtlich egal ist. Und manchmal ist in mir etwas getriggert, dass ich das überwinden will. Dass ich auf jeden Fall eine Verbindung zu den Leuten kriegen möchte. Das ist der Reiz daran: jedes Konzert bietet potentiell die Möglichkeit, mich mit anderen zu verbinden. Selbst wenn es sich erst komisch anführt. Und natürlich wird es immer Leute geben, die nur für den Headliner da sind und dir deutlich zu verstehen geben, dass du ihnen egal bist. Aber direkt daneben steht vielleicht jemand, der völlig absorbiert ist, und du siehst es in den Augen. Diese Menschen versuche ich jedes Mal zu finden. Publikum kann sehr, sehr unterschiedlich sein. Dermots Show ist sehr emotional und ich glaube, die Leute gehen zu seiner Show, um ein emotionales Erlebnis zu haben. Ich glaube, diese Art von Publikum mag ich lieber (lacht).
Aber das passt ja auch genau zu deiner Musik.
Ich habe auch schon vor Publikum eröffnet, das da war, um einfach nur Spaß zu haben. Da bin ich total dafür. Die Leute verdienen das. Aber ich glaube, es ist nicht so ganz der richtige Vibe für meine Show (lacht). Ich meine, ich hab gerne Spaß. Aber eine bisschen andere Art von Spaß (lacht). Wenn du auf der Suche nach Katharsis bist und auch bereit bist ein bisschen zu weinen, dann ist es die richtige Show für dich. Auf jeden Fall ist ein Support Slot so, so anders als eine Headline Show. Du musst deine Erwartungen niedrig halten, weil du wirklich nicht weißt, wie es laufen wird.
Wie ist denn dein eigenes Publikum so?
Es ist auf jeden Fall ziemlich konsistent. Von Stadt zu Stadt mag es kleine, demographische Unterschiede geben, aber die generelle Einstellung des Publikums variiert nicht so sehr. Es sind Menschen, die kommen, um ein emotionales Erlebnis zu haben und eine Verbindung mit meiner Musik spüren wollen. Es ist ein extrem respektvolles Publikum. Oft sehr still (lacht). Wenn es leise auf der Bühne ist, ist es leise im Publikum. Ich schätze das wahnsinnig, weil ich eben weiß, dass nicht jedes Publikum so ist. Musik ist so eine interessante Kunstform. Es ist normal, dass dabei geredet und getrunken wird. Wenn du in ein Theaterstück oder ein klassisches Konzert gehst, ist das nicht so. Ich glaube, wenn es bei einem Konzert etwas zu Essen gäbe, da wäre ich für zu haben (lacht). Ich weiß nicht, wie ich dazu stehe, dabei die ganze Zeit zu reden. Es ist nervig und kann anderen Leuten den Spaß verderben. Aber… du willst dass die Leute Spaß haben und sie nicht zu sehr bevormunden. Ich selbst mache es auf jeden Fall nicht.
Ich habe gar nicht das Bedürfnis. Außerdem gehe ich gerne alleine zu Shows.
Ich liebe es, alleine zu Shows zu gehen. Ich will gar nicht mit jemandem drüber reden. Ich will gehen können wann immer ich will und ich will nicht sofort alles auswerten, was ich während der Show gefühlt habe. Wenn du in LA auf ein Konzert gehst, bist du in der Regel mit dem Auto da. Dann fährst du zurück und unterhältst dich darüber. „Wie fandest du es?“ Ich kann diese Frage nicht sofort beantworten. Ich muss es erst einmal sacken lassen. Und manchmal habe ich gar keine Meinung dazu.
Was sagst du zu folgender Theorie: Jeder Mensch hat um sich herum seine Aura. Stell sie dir vor wie eine Seifenblase. Wenn sich viele Menschen im selben Raum auf derselben Wellenlänge bewegen, dann wird für einen Moment eine große, kollektive Aura-Blase daraus. Wenn nicht, sind es ganz viele einzelne Bubbles.
Absolut. Sie sind über den Raum verteilt und du musst dir die raus picken, die mit dir auf einer Welle liegen. Total. Ich spiele ja bei meinen eigenen Shows ganz andere, kleinere Räume als jetzt auf dieser Tour mit Dermot Kennedy. Und man kann es regelrecht beobachten, dass es in kleineren Räumen leichter ist, alle Menschen auf die gleiche Wellenlänge zu kriegen. Je größer der Raum wird in dem du spielst, umso schwieriger wird es, eine gemeinsame Intention zu kreieren. Deshalb ist es so beeindruckend wenn man große Shows sieht, bei denen das passiert. Es ist ein hyper spirituelles Gefühl, wenn das passiert.
Und woher glaubst du kommt es, dass es bei bestimmten, seltenen Künstler*innen nahezu egal ist, wie groß der Raum ist? Sie können das einfach. So jemand wie Prince, zum Beispiel.
Ich weiß es nicht! Das ist eine gute Frage. Ich habe Prince spielen sehen, es war wirklich unglaublich. Bei ihm es so, dass er ja wirklich ein sehr ausgeklügelter Performer war. Und gleichzeitig wirkte das bei ihm komplett authentisch. Ich glaube, das hilft den Menschen sich automatisch wohl zu fühlen. Außerdem, wenn jemand so absolut eindeutig ein Meister seiner Kunst ist, das entspannt die Leute irgendwie. Wenn du zu einer Show gehst, dann möchtest du, dass sie großartig wird. Und bei jemandem, der so skilled ist wie Prince, musst du dir darum keine Sorgen machen. Zumindest mir geht es so. Vielleicht schaue ich auch anders bei Konzerten hin, weil ich selbst Musik mache. Aber wenn jemand auf der Bühne sich nicht wohl in seiner Haut fühlt, fühle ich mich automatisch auch nicht wohl. Und anders herum. Das heißt nicht, dass jemand nicht nervös sein darf auf der Bühne. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Aber ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Es ist magisch. Wie Feenstaub (lacht). Man kann es nicht wirklich erklären.
Ich glaube auch, es ist Teil dieser Suche nach Katharsis. Neulich hat jemand zu mir gesagt: Negative Gefühle in positive zu verwandeln, ist die höchste Form von Alchemie.
Das ist es! Es ist verdammt hart. Vor sechs Jahren, hier in Berlin, ich erinnere mich noch genau, habe ich einen Podcast gehört darüber, wie schwer es ist, sich von negativen Gedanken zu lösen. Unsere Gehirne sind angeblich so programmiert, dass sie leichter negativ als positiv denken. Vielleicht habe ich den ganzen Podcast auch falsch verstanden (lacht). Aber was ich davon mitgenommen habe ist: du kannst dich aus negativem Denken nicht heraus denken. Positive Gedanken überlagern grundsätzlich nicht die negativen. Der einzige Weg, aus negativen Gedanken herauszukommen ist, dich von ihnen abzulenken. Dich zum Beispiel körperlich zu betätigen. Und ich glaube, Musik ist körperlich. Sie hat einen unmittelbaren Effekt auf deinen Geist und deinen Körper und hält dich für einen Moment vom Denken ab. Ich glaube, deswegen machen Menschen Musik und hören Menschen Musik. Wenn es dir schlecht geht, kannst du nicht denken: hey, ich bin jetzt lieber mal glücklich! (lacht) Die Menschen brauchen Musik, um ihre Gefühle zu verarbeiten. Und es ist interessant, wie unterschiedlich es funktioniert. Wenn ich einen Song über eine schlechte Erfahrung schreibe, dann fühlt das Schreiben selbst sich sehr gut an. Wenn ich den Song dann spiele, fühlt es sich manchmal gut an und manchmal nicht. Das ist auf jeden Fall etwas, das ich gelernt habe: Musik machen hilft mir, meine Gefühle zu verarbeiten. Aber es kann auch nichts reparieren. Musik machen allein macht nichts wieder gut. Ich muss noch anderweitig an mir arbeiten. Aber es hilft.
Und dann hilft deine Musik anderen Menschen auch! Um bevor unsere Zeit vorbei ist, noch kurz die Kurve zu ihr zu kriegen: Ich habe heute vormittag sehr oft deinen Song „Get Out Of My House“ gehört. Und der hat mir so wahnsinnig gute Laune gemacht. Obwohl ich mich gerade nicht in der konkreten Situation befinde, die du darin beschreibst.
Oh, das freut mich so, so sehr! „Get Out Of My House“ und auch mein älterer Song „Give It To Me“, selbst für mich bedeuten die beiden jedes Mal etwas anderes. „Get Out Of My House“ handelt von einer Beziehung, aus der ich schon seit vielen Jahren raus bin. Ich denke nie an die Person, um die es darin geht, wenn ich den Song singe. Das Ganze liegt so weit hinter mir. Es könnte auch ganz allgemein um ein negatives Gefühl gehen. Wenn ich zum Beispiel in einem negativen Gedankenmuster fest stecke, dann jage ich es damit raus aus meinem Haus. Oder die Müdigkeit. Ehrlich gesagt geht es für mich darum öfter als um irgendeine Person außerhalb von mir. Selbst damals als ich ihn geschrieben habe, ging es zum Teil um diese Person und zu einem großen Teil um mich selbst.
Deine Musik ist ja insgesamt sehr persönlich. Man hat schon das Gefühl, dass das meiste worüber du schreibst, aus dir selbst heraus kommt. In wieweit spielt Storytelling für dich eine Rolle?
Mein aktuelles Album „Roach“ und mein erstes Album „Premonitions“ sind beide sehr introspektiv. Ich glaube, mein nächstes Album, die Musik, die ich jetzt schreibe, ist fiktiver. Es gibt mehr Storytelling. Vielleicht, weil ich von mir selbst die Schnauze frei habe (lacht). Meine Musik wird sich immer um menschliche Wahrheiten drehen. Aber es müssen nicht alleine meine Wahrheiten sein. Bis jetzt war meine Musik immer autobiografisch. Aber ich bin es langsam leid (lacht). Ich finde es immer interessanter und ehrlich gesagt befreiend, über andere Dinge zu schreiben.
Foto © Jonny Marlow