Man darf es einfach nicht vergessen, Lily Allens Debütalbum „Alright, Still“ war vor mehr als zehn Jahren eine richtig große Nummer. Und das sei uneingeschränkt qualitativ gemeint. Frischer, innovativer Pop, charmant-frech-witzige Texte, die die Engländerin mit gerade mal 19 Jahren zu Papier gebracht hat. Bald 13 Jahre sind seitdem vergangen, und als Lily Allen an diesem Abend auf der Bühne steht und den Song „Knock ‚Em Out“ performt, kommt sie nicht umhin ein wenig darüber zu kichern, was ihr jüngeres Ich damals so getextet hat.
Es ist ja auch eine Menge passiert seitdem. Lily Allen befand sich in den frühen Jahren ihrer Karriere in einem permanenten Krieg mit der englischen Presse und den Tücken der modernen Social Media Welt. Sie zog sich mehrfach von Twitter und Facebook zurück, phasenweise hingegen nutzte sie vor allem ersteres exzessiv. Ebenfalls mehrfach verkündete sie ihren endgültigen Rückzug aus dem Musikbusiness. Zum Glück ließ sie aber auch immer wieder in Form von guter Musik von sich hören. Auch ihr zweites Album „It’s Not Me, It’s You“ ist ein kleines, feines Popspektakel, und dass ein Song wie „Not Fair“ ungemein gut zündet, beweist sie auch bei ihrem Konzert im Berliner Lido.
Die letzten Jahre hat Lily Allen offensichtlich damit zugebracht, sich ein paar Wunden zu lecken. Ihr drittes Album „Sheezus“ brachte nicht den gewünschten Katapulteffekt ganz nach oben im Popzirkus. Die dazu angedachte Arena-Tour wurde zuerst hallenmäßig downgegraded, dann komplett abgesagt. Die zweifache Mutter ist inzwischen geschieden, das Ehe-Aus hat sie sehr offensichtlich in den neuen Songs aus dem kommenden Album „No Shame“ verarbeitet, die sie im kleinen Club-Ambiente mit zweiköpfiger Hintergrundbegleitung hauptsächlich präsentiert. Sie sind entsprechend nicht mehr so quietschig bonbonbunt wie ihre alten Stücke und auch nicht ganz so zuckerig. Gereift wirkt Lily Allen, auch in ihrer Erscheinung, mehr wie eine Chanteuse wirkt sie als wie ein Popsternchen, trotz der ausgewaschenen hellrosa Haare hat sich eine neue Eleganz in ihre Erscheinung geschlichen. Und allzu viel ihrer Anziehungskraft als Künstlerin hat sie offensichtlich doch nicht eingebüßt, die kleine Show zum Einstimmen auf den nächsten Karriereschritt war ratzfatz ausverkauft, der Club ist brechend voll und das Publikum feiert sie begeistert, obwohl es einen Großteil der Songs zum ersten Mal zu hören bekommt. Natürlich freut man sich zwischendrin über den ein oder anderen älteren Kracher besonders, aber der Stimmung tut es keinen Abbruch, dass der Hauptteil der Setlist aus neuem Material besteht.
Zwischendurch kichert Lily Allen auch immer noch ganz entzückend Lily Allen mäßig, sie versingt sich mal und fängt die Patzer charmant auf. Es ist ein schöner Rahmen, um sie noch einmal neu zu entdecken und sich auf das kommende Album zu freuen, das verspricht ein bisschen schwermütig, aber zum Glück nicht allzu selbstmitleidig zu werden.
Übrigens: Auf ihrem ersten Album „Alright, Still“ widmete sie den Song „Alfie“ ihrem jüngeren Bruder Alfie Allen. Der laut Songtext dauerkiffende, -fernsehende Bruder spielt seit der ersten Staffel den Theon Greyjoy in der Erfolgsserie „Game of Thrones“. Doch noch was geworden aus den jungen Leuten!
Bericht: Gabi Rudolph
Foto: Kate Rock