Leoniden im Interview: „Kreativität ist wie ein bodenloser Brunnen, man muss nur tief genug rein gucken“

Leoniden sind seit einigen Jahren kaum mehr aus der deutschen Indie-Musikszene wegzudenken. Letzten Freitag veröffentlichte die Band ihr drittes Studioalbum „Complex Happenings Reduced To A Simple Design“, mit dem sie in den letzten Wochen bereits Deutschlands Bühnen bespielte. Viele sagen: „Wenn die Leoniden eine Bühne betreten, ist ein paar Sekunden später nichts mehr, wie es vorher war.“ 

Ich spreche mit Jakob Amr, dem Frontsänger der Leoniden, über ihr neues Album, ihre unauslöschliche Kreativität, politischen Aktivismus und die Ehrlichkeit in ihrer Musik.

Erstmal alles Gute zum Release von „Complex Happenings Reduced To A Simple Design“!

Woo! Danke!

Wie geht’s dir nach dem kleinen Live Show Marathon, den ihr die letzten Tage hingelegt habt?

Es war wahnsinnig heavy! Das Wochenende hat sich fast ein bisschen so angefühlt, als wäre ich in der Truman Show. Als würde man alles für mich so inszenieren. Erstmal, dass wir in Kiel reinfeiern durften, in unserer Stadt. Einfach wow, dass dieser Zufall so zusammen gekommen ist. Neun Monate vorher wurde der Album Release geplant, und das war jetzt einfach ein krasser Zufall. Dann am Releasetag in Hamburg zu sein, meiner alten Heimat und am Tag darauf wirklich ein Konzert ohne Corona-Abstandsregeln spielen zu können. Wahnsinn!

Verrückt! Ihr seid ja so ne richtige Live Band. Was hat euch denn am Live-Spielen am meisten gefehlt?

Das Live-Spielen. Simpel. Alles, was dazu gehört. Auch live spielen ist ein „Complex Happening“. Das könnte ich jetzt auch auf ein Simple Design reducen, aber es ist alles, was daran hängt. Wenn uns die Pandemie eins gezeigt hat dann, dass man Live Konzerte nicht ersetzen kann. Dass je näher man versucht daran zu kommen, über so Streamingkonzepte und so, man eigentlich immer weiter davon wegkommt worum es geht. Wenn dich wieder 200 Leute in nem Club anschreien, dann weißt du, warum es das Beste ist. 

Glaubst du, die Leute wissen Livemusik jetzt mehr zu schätzen?

Ich glaube schon. Ich habe aber auch das Gefühl, dass Leute, die das lieben, das auch schon immer zu schätzen wussten. Es gibt bestimmt jetzt noch ein paar mehr Einstiege in die Livewelt, aber es ist auf jeden Fall alles noch genau so da, wie es vorher war. Da muss sich niemand Sorgen machen: „Ahh, wie sind denn jetzt die Leute nach der Pandemie so drauf?“ Mega gut natürlich. 

Ihr habt auf euren Liveshows jetzt auch schon ein paar Songs vom neuen Album gespielt. Das ist ja immer eine kleine Feuerprobe für neue Songs. Haben sie die Probe bestanden?

Bei uns ist es eigentlich immer so, dass der Schlüssel zur Musik immer unsere Liveshow ist. Deshalb haben die neuen Songs automatisch ein Handicap, wenn man sie das erste Mal spielt, aber einen Vorteil, wenn man sie das zweite Mal spielt. Es gab keinen Song, bei dem wir dachten „der funktioniert live“ und dann war das nicht so, eher das Gegenteil. Auch bei so Songs wie „Dice“, der eigentlich eher ein smoother Indiesong ist, gab es live total den Abriss. 

Um nochmal zurück zum Album zu kommen. Ich finde „Complex Happenings Reduced To A Simple Design“ ist deutlich persönlicher und vor allem auch politischer als eure letzten Alben geworden. War das von Anfang an die Absicht?

Die Chance war schon da, das stimmt. Das ist ein bisschen anders gewesen als bei den Alben davor, dass wir uns auch abseits des Albums Raum dafür genommen haben, über die Songs zu sprechen. „Blue Hour“ hat ein eigenes Posting bekommen und „New 68“ ja auch diese Kampagne, wo wir uns mit Aktivistinnen getroffen haben. Das war ein First. 

Hat es einen bestimmten Grund, dass es jetzt erst so politisch geworden ist? 

Vielleicht haben wir erst jetzt die Songs dazu geschrieben. Vielleicht waren wir vorher dazu einfach noch nicht in der Lage dazu, vor allem bei politischen Songs. Wir haben es auch schon vorher probiert, aber das hat uns dann im Endeffekt nie gefallen. Für „New 68“ war diese Fridays For Future Demo in Hamburg, auf der wir gespielt haben so ne krasse Inspiration, dass wir gesagt haben, dass wir zu dem Thema auf jeden Fall ’nen Song machen müssen, weil es das einfach verdient. Diese politische Bewegung junger Leute, dass da einfach was passiert, was wir von früher nicht kennen, als wir junge politische Menschen waren. Wir haben uns in die Bewegung verliebt. Bei „Blue Hour“ hab ich das Thema so lange mit mir rumgeschleppt und dann hab ich gedacht, ich probier’s jetzt einfach mal aus. 

Du hast jetzt schon Blue Hour angesprochen. Ich glaube, dass der Track für viele eurer Fans ganz besonders ist. Kannst du nochmal kurz erzählen, was hinter diesem Song steckt?

Ich hab 2017 ziemlich mit Depressionen und Panikattacken gestruggled und wusste eigentlich auch direkt schon, dass ich das musikalisch verarbeiten will. Ich war mir aber nicht sicher, ob Leoniden dafür der richtige Raum ist. Einfach, weil wir auf der Bühne gut gelaunt sind und so. Dann hab ich mit den anderen gesprochen und die meinten direkt, dass ich das unbedingt machen soll und, dass das mega wichtig ist. Ich hab im Laufe der Kampagne immer wieder gedacht: „Boah scheiße, war das die richtige Entscheidung?“ Einfach auch mit so ner Angst, aber es war im Endeffekt so toll für mich. Auch das Feedback, das ich bekommen habe. Mega. 

Ihr habt mit dem Entstehungsprozess von „Complex Happenings Reduced To A Simple Design“ schon vor Corona begonnen. Hattet ihr damals schon die selbe Vision von diesem Album wie das, was es jetzt im Endeffekt geworden ist?

Also das Album war Ende 2020 schon mehr oder weniger fertig. Damals waren es aber nur 13, 14 Songs und es war klar, dass wenn wir das Album dann veröffentlicht hätten, wir einfach ein Jahr nichts tun würden. Dann haben wir einfach weitergeschrieben. Das war der Schlüsselmoment. Dieser befreiende Moment, einfach alles ausprobieren zu können, was in unseren Köpfen war. Das hat das Album definitiv noch ne Prise verrückter gemacht, aber durch die Pandemiezeit war es eigentlich sowieso schon verrückter als alles, was wir vorher veröffentlicht haben. Viel diverser.

Ihr habt auf eurem neuen Album ja auch zum ersten Mal Features eingebaut. War das Ende 2020 auch schon so, oder kam das erst dazu?

Die kamen erst Anfang diesen Jahres. Da haben wir das Album durchgehört und gedacht: „Ey, wie geil wäre denn XY auf diesem Track?“ Dann haben wir angefangen da ernsthaft drüber nachzudenken, es gab ganz schnell ne Auswahl und es war ganz schnell fertig. 

Ich finde, was noch an dem Album auffällt sind die…

Skills? (lacht)

Ja, die Skills sowieso, aber auch die Instrumentals zwischendrin. Das sind ja so Songs, die super im Albumkontext funktionieren, die sich aber wahrscheinlich nur wenige in ihre Playlists packen. Was war eure Intention dahinter?

Wie du schon sagst, die sind im Albumkontext mega schön, und sie unterstreichen glaube ich auch das Albumkonzept, also dass man „Complex Happenings Reduced To A Simple Design“ halt eben auch als Album hören soll. Außerdem haben wir Live auch immer schon so jammige Parts an die Songs ‚rangehangen. Das wollten wir dieses Mal eben einfach aufs Album hauen. Zum Beispiel der Track nach „New 68“, das ist vom Vibe ganz genau das, was wir danach auch live spielen. Diese Instrumentals bringen einfach ein bisschen mehr Leoniden Live auf das Album. 

Ich hab mit vielen Künstler:innen während der Pandemie gesprochen und da haben wir immer wieder über Kreativität im Lockdown gesprochen. Ihr habt einfach mal ein ganzes Album während des Lockdowns auf die Beine gestellt. Wie bleibst du in solchen Situationen kreativ?

Die Frage hab ich jetzt schon öfter gehört und weiß immer noch nicht genau, wie ich die beantworten soll, ohne dass es abgehoben klingt, aber ich bin immer kreativ. Aus meiner Perspektive verstehe ich Leute nicht, die unter gewissen Umständen nicht kreativ sein können. Bei mir ist es so: Ich setzte mich hin, will kreativ sein, bin dann kreativ solange ich will, und dann hör ich wieder auf. Für mich ist Kreativität wie ein bodenloser Brunnen, man muss nur tiefer reingucken. Ich glaube auch, dass wenn man uns in nen Keller einsperren und uns sagen würde „seid kreativ“, dann würden wir auch erst wieder aufhören kreativ zu sein, wenn wir rausgelassen werden. 


Dann würde ich sagen, ihr habt euch den richtigen Beruf rausgesucht! Eine Frage, die ich noch total gerne stelle, vor allem weil ihr ja auch als Schülerband angefangen habt: Was war der Moment, in dem ihr dachtet: „Okay krass, das mit der Musikkarriere könnte tatsächlich was werden“?

Ich bin ja erst später dazugekommen, aber aus meiner Perspektive war das eigentlich als wir angefangen haben Livekonzerte zu spielen, zu fünft. Da war für mich schon so viel da, was ich immer irgendwie wollte. Die Energie, die wir verkörpern konnten und wie wir Leute begeistern konnten. Der Monat, in dem ich das erste Mal von der Musik meine Miete bezahlen konnte, war natürlich legendär für mich. Seitdem warte ich auch auf nichts mehr. Es ist alles so geil. Als wir „Again“ rausgebracht haben, war ich tierisch aufgeregt. So viel Neues, was passiert jetzt? Wo steigen wir in den Charts ein? Und jetzt liebe ich einfach dieses Album. Es ist das beste Album, das wir hätten machen können. Ich find die anderen Alben auch geil, aber ich finde es hundert Mal geiler. Ich kenne kein Album das so ist, das so verspielt mit Genres umgeht. Ich wünschtem mehr Bands würden so Musik machen, und ich kann da völlig hinter stehen, dass ich künstlerisch einfach erfüllt bin. Alles, was jetzt noch passiert ist cool, aber ich bin auch jetzt so schon cool mit mir. 

Das ist eine sehr schöne Einstellung und sehr schöne Worte zum Abschluss. Danke dir!

Foto © Joseph Strauch