Als wir uns verabschieden, weil er zum Abendessen und im Anschluss auf die Bühne muss, sieht Leif Vollebekk mich noch einmal fragend an. „Bist du dir sicher, dass du alles hast, was du brauchst?“ fragt er mich und bezieht sich damit auf den Inhalt unseres Gesprächs. Es war eine eher intuitive Unterhaltung, die keine auf den ersten Blick klar erkennbare Richtung hatte, in der dafür aber ganz andere, viel spannendere Dinge zur Sprache kamen.
Leif Vollebekk, Singer und Songwriter, lebt in Montreal und hat vor kurzem sein neues Album „Revelation“ veröffentlicht. Wir treffen uns auf einer Eckbank im Berliner Lido, zwei Stunden bevor er auf die Bühne gehen wird. So viel zu den Fakten.
Ungefähr genauso lang wie ich mich mit Leuten über Musik unterhalte, ist Leif schon als Musiker aktiv, und immer wieder ist er in meinem Blickfeld aufgetaucht und ich habe gedacht, dass ich mich gerne einmal mit ihm unterhalten würde. Wenn sich die Gelegenheit also endlich bietet, warum dann nicht die „ganz großen Themen“ anpacken? Den Zustand der Welt seit Corona, das veränderte Klima, in dem Künstler*innen heute gefordert sind zu arbeiten, Streaming, Vinyl, der kanadische Philosoph Marshall McLuhan und, immer und ganz besonders wichtig: Prince.
Ich freue mich, dass wir uns endlich einmal treffen. Wir haben mit FastForward ungefähr zu der Zeit angefangen, als du dein erstes Album veröffentlicht hast. Seitdem warst du gefühlt immer irgendwie da, bist immer wieder nach Deutschland gekommen um Shows zu spielen. Das ist toll.
Solang die Leute zu meinen Shows kommen, werde ich auch wiederkommen (lacht). Noch funktioniert es. Wobei es finanziell gesehen ehrlich gesagt so gut wie gar keinen Sinn mehr macht. Es ist verrückt.
Aber es ist wichtig, dass wir weiter machen. Dass wir Kunst und Kultur am Laufen halten. Machst du dir manchmal Sorgen?
Worüber?
Ich wollte eigentlich sagen über die Musikbranche. Aber wahrscheinlich meine ich doch den Zustand der Welt im allgemeinen. Musik ist für mich sehr verbunden mit dem Gesamtzustand der Welt. Und der gibt doch gerade wirklich Grund zur Sorge, oder? Es wird irgendwie nicht besser, seitdem die Pandemie vorbei ist.
Corona war seltsam. Alle Tourneen waren gecancelt, offensichtlich. Ich hätte nach Deutschland kommen sollen, es wurde verschoben. Irgendwann habe ich gesagt, wir müssen absagen und den Leuten ihr Geld wiedergeben. Wir können nicht drei, viermal verschieben und am Ende weiß man trotzdem nicht, was wird. Was geblieben ist, war… Ruhe. Ruhe, Stille und das Schreiben. Aufnehmen. Das war irgendwie besonders. Ein großer Teil meines Jobs ist, dass ich keine Ruhe finde. Ich finde keine Ruhe zu schreiben und aufzunehmen. Ich kann nicht schreiben, wenn ich die ganze Zeit unterwegs bin. Das war also irgendwie positiv. Heute sagen viele, die Musik machen und die ich kenne, wie dankbar sie für diese Zeit im Nachhinein sind. Man will nur nicht darüber reden, weil man nicht respektlos gegenüber denen sein möchte, die wirklich eine harte Zeit hatten. Aber die Geschwindigkeit, mit der die Welt sich heutzutage dreht, ist lähmend. Von daher war es eine positive Erfahrung, plötzlich so viel Zeit zu haben. Du hast gefragt, ob ich mir Sorgen mache… wenn etwas stirbt, wenn das Ökosystem es tötet, was war dann der Sinn des Ganzen? Künstler*innen besitzen die Fähigkeit, sich anzupassen. Ich war lange Zeit sehr nostalgisch gegenüber den Sechzigern und Siebzigern, als es noch die großen Plattenverträge gab. Und dann ist mir eines Tages klar geworden, dass ich akzeptieren muss, dass dieses System tot ist. Dass ich daran arbeiten muss, damit klar zu kommen, wie die Dinge jetzt sind.
Jemand wie Bob Dylan… damals gab es Columbia Studio A oder B. Die besten Produzenten, die größten Tontechniker, die besten Mikrofone, all das gehörte den Plattenfirmen, und sie haben dir einfach Zeit dort gebucht. Deine Aufgabe war es, aufzutauchen und deinen Song zu singen, und der Produzent hat dafür gesorgt, dass es gut klingt. Vielleicht hat man sich mit ihm über die Band oder die Arrangements ausgetauscht. Es gab all diese Leute, die einem geholfen haben. So etwas gibt es heute nicht mehr, zumindest nicht in dieser Größenordnung. Jetzt macht man alles selbst und hofft das Beste (lacht). Alles ist immer in Bewegung. Und Künstler*innen brechen immer auf zu den Gebieten, die noch nicht besetzt sind.
Ich habe übrigens gesehen, dass du bei deinem letzten Konzert in München zwei Prince Cover gespielt hast.
Oh ja. Welche waren das gleich nochmal?
„Nothing Compares 2 U“ und „Purple Rain“.
Richtig.
Ich bin schon fast mein ganzes Leben lang großer Prince Fan. Und ich bin natürlich todtraurig, dass er gestorben ist. Er war der Größte. Wahrscheinlich ist er es noch immer. Aber ich kenne viele Leute die glauben, dass mit ihm quasi die Musik gestorben ist. Dass seit seinem Tod keine gute Musik mehr erschienen ist. Und das glaube ich nicht. Das fällt mir nur zum Thema Wandel ein. ich glaube, dass allein in den letzten Jahren zum Teil die beste Musik erschienen ist, die ich je gehört habe.
Ich meine, das ist ein ziemlich großes Statement. Also dass mit ihm die Musik gestorben ist. Aber es ist schon alles sehr anders heute. In den Fünfziger Jahren gab es Songwriter. Die saßen zum Beispiel im Brill Building, und ihre einzige Aufgabe war es, gute Songs zu schreiben. Dann gab es Sänger und Sängerinnen, die haben in der Regel nur gesungen. Ein Arrangeur hat nichts anderes gemacht, als Songs zu arrangieren. Und sie klangen einfach großartig. Es hat funktioniert. Irgendwann wurde das Singen und Songschreiben zu einer Einheit. Sänger und Sängerinnen, die nicht ihre eigenen Songs schrieben, galten plötzlich nicht mehr als so gut. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich glaube tatsächlich, dass die Qualität der Songs im Durchschnitt nach unten ging. Weil plötzlich von einem erwartet wurde, dass man singt, Songs schreibt und noch eine Menge anderer Dinge macht. Und ich glaube, Prince war der letzte, der das wirklich gut hingekriegt hat. Trotzdem war er Teil eines Systems, auch wenn er es zu Lebzeiten gehasst hat, zurecht, die Art, wie das Label ihn behandelt hat. Aber sie haben ihm den Schlüssel für das Studio gegeben und damit die Möglichkeit, sein eigenes Album zu machen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob heutzutage die beste Musik veröffentlicht wird. Ich weiß noch nicht mal, was das genau heißen soll…
Gut, „die beste Musik“ ist genauso ein großes Statement wie zu sagen, dass die Musik mit Prince gestorben ist. Aber es gibt wirklich sehr, sehr viel gute Musik da draußen. Ich fürchte nur, sie ist schwerer zu entdecken als früher, weil es einfach viel zu viel gibt.
Es gibt diesen kanadischen Philosophen, Marshall McLuhan. Er hat gesagt: „Das Medium ist die Botschaft“. Er meint damit, dass das Medium selbst das ist, was wahrgenommen wird und dass es transformiert, was gesagt wird. In den Sechziger Jahren hat er vorher gesagt, dass in der Zukunft Nachrichten innerhalb von Sekunden vermittelt würden. Alles würde miteinander verbunden sein, man würde in der Lage sein, in der gleichen Zeit einen Brief ans andere Ende der Welt zu senden. Das Internet, die ganze Zukunft der Medien, er hat das alles damals schon umfassend erklärt. Und er hat dem Medium selbst große Bedeutung zugemessen. Damals war das Medium eine Schallplatte in einem Plattenladen. Und das Radio, mit seinem Gefühl für Synchronität. Die ganze Welt hat die Beatles zum ersten Mal im Radio gehört. Jeder, der das damals miterlebt hat, kann sich heute noch daran erinnern. Heute ist das Medium etwas völlig anderes. Im Moment ist es noch nicht einmal etwas wirklich Greifbares. Musik zu streamen, umsonst, wann immer du willst… Und dann wirst du auch noch dabei beobachtet, wie du es tust. Das Medium ist so komplex wie noch nie. Es beeinflusst die Botschaft, es ist die Botschaft. Je mehr ich darüber nachdenke, umso verblüffender finde ich es.
Weißt du noch, was Prince einmal gesagt hat? „Go on the computer, but don’t let the computer go on you.“ Ich weiß noch, wie ich das gelesen und gedacht habe, dass er wirklich verrückt ist. Ein Wahnsinniger. Es hat einfach keinen Sinn gemacht. Und heute weiß ich nicht, ob es eine bessere Art zu beschreiben gibt was es bedeutet, im Internet zu sein. Alles, was du hörst, wird in einer Database zusammen gefasst. Und am Ende des Jahres wird sie dir auch noch stolz präsentiert! Das hörst du, das gefällt dir, das ist dein Platz in diesem riesigen Puzzle. Das Medium ist verrückt, es ist außer Kontrolle. Die Menschen hören mehr und mehr Musik, aber sie hören sie nicht mehr wirklich. Manchmal erschließt sich einem Musik erst, wenn man sie immer wieder hört. „Kid A“ zum Beispiel – als Radiohead Fan war ich verzweifelt, als ich es zum ersten Mal gehört habe. Ich war so enttäuscht, dass auf dem Album keine Gitarren waren. Heute denke ich, das Album gehört in ein Museum. Alles ist heute auf Autoplay angelegt – ein Song nach dem anderen. Das führt dazu, dass noch mehr Musik veröffentlicht wird, immer noch schneller, und das geht nur, wenn die Produktion insgesamt schneller und billiger ist. Na ja, es ist ein Teufelskreis.
Aber ist das nicht die Aufgabe von Künstler*innen, genau bei diesen Entwicklungen dagegenzuhalten?
Ich zumindest habe dieses Album so gemacht, dass ich das Medium bewusst ignoriert habe. Keine Ahnung, ob das funktionieren wird. Ich habe ein Old School Album gemacht, das live auf Tape aufgenommen wurde. Mit einer Live Band und einem echten Orchester. Es macht eigentlich keinen Sinn. Ich habe ein Album aufgenommen, wie man es 1974 gemacht hätte.
Das ist tatsächlich traurig. Es klingt so schön, so wie man es machen möchte, aber du sagst es macht eigentlich keinen Sinn.
Wenn das Ziel ist, dass es auf dem Medium funktioniert, dann macht es keinen Sinn, ja. Ich wünschte, das wäre nicht das Ziel. Vielleicht wird es gut funktionieren, weil es anders ist. Oder auch nicht, weil ich kein Album im Ärmel habe, das ich schon in ein paar Monaten nachschießen kann. Weil ich so lange gebraucht habe, um dieses zu machen. Aber es macht keinen Sinn, darüber nachzudenken. Weißt du, was ich wirklich das Größte finde, das mir aufgefallen ist, wenn ich über das Veröffentlichen von Musik nachdenke? Wenn Freunde von mir ein Album machen, und sie schicken es mir, bevor es veröffentlicht wird, dann finde ich oft, dass es gut klingt. Aber wenn es dann draußen ist und Millionen von Menschen es hören können, dann klingt es noch besser. Das gleiche Album. Sobald Menschen mit etwas interagieren, dann passiert etwas. Ein kollektives Bewusstsein. Du verstehst es plötzlich besser, weil so viele Menschen es mit dir verarbeitet haben. Ich finde definitiv dass mein Album besser klingt, seitdem es veröffentlicht ist. Vor ein paar Monaten fand ich noch, dass es gar nicht so gut klingt.
Das finde ich wahnsinnig interessant! Ich verstehe total was du meinst. Mir geht es oft so, wenn ich ein Album vor Release geschickt bekomme. Selbst wenn ich es oft vorab höre, habe ich das Gefühl, dass es sich mir erst so richtig erschließt, wenn es offiziell veröffentlicht ist.
Absolut! Es ist wild. Ich kann es auch nicht beschreiben. Aber es stimmt. Meine Freundin Anaïs Mitchell hat mir ihr Album geschickt, als sie daran gearbeitet hat, und ich fand es gut. Einen Monat später kam es raus, ich habe es gestreamt und plötzlich gedacht, das ist das beste Album, das ich jemals gehört habe. Erst dacht ich ja, das ist richtig gut. Heute denke ich, es ist auf jeden Fall das beste Album, das ich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren gehört habe. Also habe ich mein Album in dem Studio aufgenommen, in dem sie ihres aufgenommen hat, weil es so gut klang. Und ich habe Anaïs gebeten, auf meinem Album zu singen, weil ich ihre Stimme so liebe. Das Phänomen, dass etwas sich verändert, sobald es für die Öffentlichkeit zugänglich ist, das spielt auch in das ein, was Marshall McLuhan sagt, dass das Medium die Botschaft ist. Ein Album über Dropbox auf deinem Telefon zu hören ist nicht das gleiche, wie es zu streamen. Alleine das Artwork dazu zu sehen. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum Spotify so dominant auf dem Streaming Markt ist, weil das Design irgendwie eine entspannte Leichtigkeit hat.
Ähnlich verhält es sich auch damit, wie Musik sich verändert, wenn man sie live erlebt. Gemeinsam mit anderen Menschen. Wenn hunderte, manchmal sogar tausende von Menschen sie verarbeiten und etwas Persönliches, Eigenes daraus machen.
So ist es. Und das Medium selbst ist ständig in Veränderung. Streaming ist ja schon wieder auf dem Abstieg. Es wird etwas anderes kommen. Augmented Reality und Virtual Reality werden etwas Neues bringen, einen heute noch undenkbaren Surround-Sound oder so etwas. Immersive Erlebnisse. Das wird kommen, und es wird auch wieder gehen. Wie lange hatten wir CDs? Das war doch nur ein Wimpernschlag in der Geschichte.
Vinyl hingegen hält sich doch ziemlich hartnäckig, oder?
Oh, Vinyl ist großartig. Aber neulich habe ich mit meinem Label gesprochen und sie haben gesagt, dass Vinyl nur noch ein Prozent des Verkaufserlöses ausmacht. Mir ist das egal, ich bringe mein Album trotzdem auf Vinyl raus, weil ich Vinyl liebe. Weil es mir wichtig ist. Ich denke, das Vinyl schon bleiben wird, aus diesen Gründen. Weil es den Leuten wichtig ist. Aber es hat keine wirtschaftliche Signifikanz. Fun Fact: Eigentlich sollte mein Album auf eine LP passen. Aber all die Menschen, die technisch in der Lage gewesen wären das zu machen, sind tot. Sie sind weg. Und diejenigen, die heute daran arbeiten, schaffen es nicht, Musik so zu komprimieren, dass sie immer noch gut klingt. Also mussten wir es auf zwei LPs pressen. Es klingt großartig so, mein Album. Aber es ist 50 Minuten lang und es gibt zum Beispiel alte Bob Dylan Platten, die genauso lang sind, auf eine LP gepresst wurden und genauso großartig klingen. Aber dieses technische Wissen wurde einfach nicht weiter gegeben, und jetzt ist es ausgestorben.
Das ist tatsächlich verrückt. Leif, ich danke dir für dieses wirklich erhellende Gespräch!