„Kuchen kann man einfach nicht digitalisieren“ – Ein Gespräch mit Jamie Lidell

Eine Woche vor Veröffentlichung seines vierten Albums „Compass“ spielte Jamie Lidell im ausverkauften Festsaal Kreuzberg in Berlin. Wir haben ihn vor dem Konzert zum Interview getroffen und mit ihm über Berlin, Kuchen, Prince und natürlich sein aktuelles Album gesprochen. Viel Vergnügen!

FF MagSchön, dass Du mal wieder in Berlin bist!

Ja, das ist toll, ich freue mich auch.

Wie lange hast Du in Berlin gelebt?

Ich bin 2000 nach Berlin gekommen, war hier aber nie mehr als ein paar Monate am Stück.  Ab 2005 ging es mit meiner Karriere plötzlich sehr schnell. Jedes mal wenn ich zurück nach Berlin gekommen bin habe ich mich an meinen Computer gesetzt, und die E-Mails kamen so rein (verdeutlicht  uns das Ganze mit einem ratternden Geräusch). Dann saß ich wie ein Verrückter an meinem Computer fest. Ich hatte damals kein richtiges Management, das war eine seltsame Zeit. Ich habe wie ein Idiot gearbeitet, Tag und Nacht. Eigentlich habe ich hier gar nicht richtig gelebt. Ich war nicht wirklich ein Teil von Berlin, denn ich saß in meiner Wohnung und habe überall auf der Welt E-Mails hingeschickt, nur nicht nach Berlin. Meine  damalige Freundin lebte in Paris, ich wusste einfach gar nicht richtig wo ich war. Aber ich mochte an Berlin immer, dass es als Großstadt trotzdem ein sehr ruhiges Tempo hat. Das war sehr beruhigend für mich, da alles andere in meinem Leben so hektisch war.

Als ich Dich das erste Mal in Berlin habe auftreten sehen, hast Du verrückte elektronische Sounds gemacht und hattest ein Nachthemd an.

(Grinst) Ja, ich habe ein paar Konzerte so gespielt. Ich habe überhaupt sehr viel in Berlin gespielt. Das Nachthemd war dabei sehr entspannend. Es gab mir das Gefühl als würde gerade nichts Großes passieren.  Als wäre ich in meinem Wohnzimmer und würde Musik für ein paar gute Freunde machen.

Heute Abend trittst Du wieder in Berlin auf. Wie fühlt es sich diesmal an?

Es ist aufregend, vor allem weil die Tour gerade erst angefangen hat. Als Band sind wir in dieser Konstellation recht neu, wir haben erst vier Shows zusammen gespielt. Jeden Abend passiert etwas wobei ich denke „Was?? War das so abgesprochen?“ (Gelächter)

Wie reagiert das Publikum auf die neuen Songs? Dein neues Album „Compass“ ist in Deutschland ja noch nicht erschienen (Anmerkung: Inzwischen ist „Compass“ als CD, Vinyl und Download erhältlich).

Es ist natürlich immer schwierig, neue Songs erstmals vor Publikum zu spielen. Aber ich mag das, ich will unbedingt neue Songs spielen. Ich habe sie gerade erst gemacht, und es fühlt sich gut an, ein neues Repertoire zu haben. Aber es ist natürlich auch verwirrend wenn man neues Material spielt und die Leute gucken Dich an: „Hm, wie wär’s mit ‚Another Day‘?“ (Gelächter) Du musst also sehen, dass Du die neuen und die alten Sachen gut zusammen kriegst. Grundsätzlich sind die Reaktionen auf die neuen Songs aber sehr gut, obwohl die Leute sie nicht kennen. Aber ich hab da so einen Verdacht, dass viele das Album schon haben, sie singen alle mit und ich denke „wow, Moment mal…“

Was denkst Du, wie passiert so etwas?

Keine Ahnung, vielleicht durch die Presse? Die kriegt ja die ersten Kopien. Aber ehrlich gesagt ist mir das auch egal. Solange ich deshalb nicht aufhören muss, Musik zu machen. Ich liebe es, Musik zu machen, das ist meine Karriere, und ich möchte damit nicht aufhören. Ich meine, ich habe  früher auch Sachen runtergeladen, da ist wahrscheinlich Karma mit im Spiel… ich weiß auch nicht warum, aber ich habe sehr viel heruntergeladen. Wenn Du weißt, Du musst etwas nur anklicken um es zu kriegen, ist das schlichtweg zu einfach. Ich glaube, die meisten Musiker denken so. Die Sache hat schließlich zwei Seiten. Es ist schon toll, dass auf diese Weise  viel mehr Menschen Deine Musik hören. Aber es ist natürlich nicht toll, wenn Du irgendwann nicht mehr genug Geld hast, um Dir einen Döner zu kaufen. Wenn das passiert, dann denkst Du okay, ich muss wohl einen anderen Weg finden, Geld zu verdienen. Merchandise zum Beispiel. Du musst etwas finden, das greifbar ist. So wie Kuchen. Kuchen kann man einfach nicht digitalisieren. Du musst den echten Kuchen haben. Und Du musst da sein, wo es ihn gibt, um ihn zu kriegen.JamieInterview

Wie wäre es mit Jamie Lidell Kuchen?

Jamie Lidell Kuchen… der müsste frisch und gut sein. Nicht in so einer Plastikverpackung. Kennt Ihr Stereo Total? Brezel Göring macht wahnsinnig guten Kuchen. Vielleicht sollte ich Stereo Total mit auf Tour nehmen. Wir treten gemeinsam auf, und sie machen den Kuchen, den wir am Merchandise verkaufen. Großartige Idee!

Jetzt haben wir alle Hunger. Aber wir wollen auch über Dein Album reden.

Ja, das Album… wisst Ihr eigentlich dass es in Berlin einen Typen gibt, der essbare Schallplatten herstellt? Die sehen aus als wären sie aus Vinyl, sind aber aus Schokolade. Man kann sie abspielen und danach aufessen. Aber jetzt genug von dem Thema. Das Album. Was willst Du wissen?

Ich habe auf Youtube dieses großartige Video gesehen, eine kleine Dokumentation über die Aufnahmen. Das sah aus, als hättet Ihr eine tolle Zeit gehabt.

Oh ja. Alles ging sehr schnell. Ich glaube es hat insgesamt fünf Monate gedauert, vom Schreiben der ersten Songs bis zur fertigen Aufnahme. Für die Art von Musik, die ich mache, ist das eine kurze Zeit. Ginge es  um Drum and Bass, könnte man das wahrscheinlich auch innerhalb einer Woche machen. Aber jeder Titel auf „Compass“ ist anders, und es haben so viele verschiedene Leute daran mitgewirkt. Als ich das Grundgerüst zu jedem Song hatte, habe ich überlegt – okay, wer wäre da jetzt gut dafür? Wen und was höre ich da? Ich höre Pat Sansone und Chilly Gonzales, die alle etwas dazu beigetragen haben. Es war eine verrückte Art, ein Album zu machen. Und es war ein großer Spaß. Angefangen hat alles mit einer verrückten Aufnahmesession in den Ocean Way Studios. Aber was erzähle ich Dir, das hast Du ja alles in dem Video gesehen. Es war etwas ganz Besonderes. Wahrscheinlich würde ich es so nicht noch einmal machen, aber auch nur, weil ich es so jetzt schon einmal gemacht habe. Ich versuche immer, mich nicht zu wiederholen. Ich war aber auch sehr gestresst in der Zeit. Es gab so viel zu tun. Wenn ich einen Song heute höre, erinnere ich mich an alles, das da mit hineingeflossen ist. Wahnsinnig viel Arbeit ist es, so etwas zu machen. Heute höre ich anderer Leute Musik auch mit viel mehr Wertschätzung. Als ich jünger war habe ich immer schnell gedacht, ahhh, das ist doch Scheiße. Aber jetzt höre ich die verschiedenen Elemente und kann viel mehr schätzen, was die Leute da gemacht haben, selbst wenn ich es nicht mag. Es ist ein bisschen so wie mit Schmuck. So vielen findet man grässlich, aber wenn man sich das genauer ansieht, wie das gemacht ist muss man sagen, wow, gute Arbeit, irgendwie…

Wie fühlt man sich wenn so eine intensive Zeit vorbei ist? Wenn das Album plötzlich fertig ist – fällt man da nicht vielleicht sogar in ein Loch?

Das ging, denn das Timing war gut. Ich hatte nur ein sehr kleines Zeitfenster, innerhalb dessen ich mit Chris Taylor arbeiten konnte. Ich wollte von Anfang an das Album mit ihm mischen. Aber wir hatten nur zwei Wochen Zeit, Anfang Dezember. Er musste danach auf Tour, ich mit meiner Familie Weihnachten feiern. Alles war gebucht, nichts hätte verschoben oder verlängert werden können. Also war es ein Rennen gegen die Zeit, und als wir fertig waren, blieb fast keine Zeit, das zu feiern. Hurra, ein Glas Champagner, dann Taxi zum Flughafen, weiter geht’s! Auf eine Art habe ich immer noch nicht die Zeit gehabt, es wirklich zu fühlen. Das Album als solches habe ich selber erst vor zwei Tagen gesehen. Und selbst das war mehr so wow, cool. Ich hatte nicht diesen richtigen Moment.

Jamie2Ich höre in Deiner Musik viel von Prince. Zum Beispiel in „I Wanna Be Your Telephone“, einem meiner Lieblingssongs auf „Compass“.

Oh ja!

In einem Interview mit Dir habe ich gelesen, dass Du als Jugendlicher als uncool angesehen wurdest, weil Du Prince gehört hast. Ich musste schmunzeln, weil es mir damals genauso gegangen ist.

Die Kids in der Schule haben hauptsächlich Indie-Rock gehört. The Cure, The Smiths, das waren coole Bands. Prince war mehr so… ist der jetzt schwul oder nicht? Und was ist das überhaupt für ein Stil? In den Pubs, in die wir gegangen sind, liefen so Sachen wie Black Sabbath. In dem Teil von England haben die Leute einfach mehr so richtigen Hard Rock gehört. Ich bin also gegen die Masse geschwommen. Meine Schwester mochte Prince, was seltsam war, da wir uns sonst in nichts einig waren.

Genauso war es bei mir!

Siehst Du, das liebe ich an Prince. Er bringt die seltsamsten Leute zusammen.

Seid Ihr Euch jemals begegnet?

Nein. In L.A. war er einmal bei einer meiner Shows. Aber er wollte nicht mich sehen, sondern meine Vorband, wie ich später erfahren habe (Gelächter). Jemand hat mir fünf Minuten bevor ich auf die Bühne gegangen bin gesagt, dass er da ist. Und ich dachte nur Scheiße, Prince! An „Compass“ habe ich ja mit Justin Stanley gearbeitet, der bereits mit Nikka Costa gearbeitet hat, und Nikka Costa hat ja wiederum mit Prince gearbeitet, und sie sind alle befreundet. Eines Tages sagte Justin zu mir komm, wir fahren zu Prince nach Hause. Aber er war nicht da. Ich war etwas erleichtert weil ich glaube, wenn wir uns begegnet wären, wäre mir schlecht geworden.

Ich sehe, unsere Zeit ist rum.

Oh, das tut mir leid! Tut mir auch leid, dass ich so spät gekommen bin. Dafür spielen wir heute Abend „Telephone“ besonders schön für Euch.

Oh, danke! Und vielen Dank für das Interview.

Interview: Gabi Rudolph

Fotos Interview (c) Michaela Marmulla

Das Video zur Entstehung von „Compass“, über das wir im Interview reden, könnt Ihr übrigens hier sehen: