Kat Frankie und ich leben in derselben Stadt und haben, wie wir schnell feststellen, sogar eine gemeinsame Freundin. Dennoch treffen wir uns an diesem Tag zum ersten Mal und der Einfachheit halber „nur“ über Zoom, was uns beiden gut in die Planung passt. Denn Kat ist gerade schwer im Terminstress, der Release ihres inzwischen erschienenen, fünften Studioalbums „Shiny Things“ steht zu dem Zeitpunkt kurz bevor. Ich erhole mich gerade von einer Erkältung, und so sitzen wir uns ganz entspannt an den Bildschirmen gegenüber und sprechen über die letzten bewegten Jahre, Authentizität, Theatralik und das wunderbare Gefühl der Selbstermächtigung, seine Musik selbst zu produzieren.
Hallo Kat, schön dich zu sehen. Wie geht es dir?
Ich habe so viel zu tun! Viel zu viel. Ich glaube das ist, weil es so lange Zeit viel zu ruhig war. Und jetzt geht’s los. Ich muss mich erst einmal anpassen. Ich hatte lange nicht mehr so viel zu tun. Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefällt.
Man ist es nicht mehr gewöhnt, oder?
Nein! Es ist furchtbar (lacht). Kennst du die Geschichte von dem Frosch im kochenden Wasser? Wenn man das Wasser ganz langsam zum Kochen bringt, springt der Frosch nicht aus dem Topf. Ich fühle mich manchmal, als wäre es genau umgekehrt. Das Wasser kocht viel zu schnell. Aber egal. Lass uns anfangen.
Genau! Davon abgesehen, dass du dich wie ein Frosch in zu schnell kochendem Wasser fühlst, wie ist es dir in den letzten zwei Jahren ergangen?
Es war ein ziemlicher Schlag, als Corona anfing. Wir waren mitten in den A-Capella Shows zu „Bodies“. Und es lief so gut. Das war wahrscheinlich das Beste, was ich je in meinem Leben gemacht habe. Wir haben in großartigen Venues gespielt – in der ausverkauften Elbphilharmonie zum Beispiel. Es war unglaublich. Und dann war plötzlich alles vorbei. Eine zeitlang war ich sehr deprimiert. Ich hatte doch gerade dieses großartige Ding gemacht! Und ich wollte es mit allen teilen! Ich habe ein paar Monate gebraucht um herauszufinden, wie es weitergehen soll. Verlagere ich mich, mache ich etwas anderes? Was passiert als nächstes? Zum Glück hatte ich ein Album, das ich fertigstellen konnte. Ich hatte plötzlich Zeit, neue Sachen zu schreiben und an den Songs zu arbeiten. Also habe mich mich da hinein gestürzt. Und mich selbst ein bisschen wahnsinnig gemacht (lacht). Letzten Sommer gab es dann zum Glück ein paar Festivals, die mit Unterstützung der Regierung auf die Beine gestellt wurden. Ich glaube, das hat einigen Musiker*innen geholfen, die Nerven zu behalten. Wir hatten ein bisschen Einkommen, etwas, worauf wir hinarbeiten konnten – und Interaktion mit Menschen. Das war sehr gesund. Aber ich habe definitiv zu viel Zeit allein verbracht. Auf jeden Fall.
Ich persönlich fand das ganze Hin und Her am deprimierendsten. Und ich frage mich, wie das für euch war. Es gibt ja nie eine wirklich gesicherte Perspektive.
Es ist hart. Mit Shows verdienen wir unser Geld. Das Album und die Tour hatten wir eigentlich für letztes Jahr geplant. Dann dachten wir nein, auf keinen Fall. Also haben wir alles um ein Jahr verschoben. Es war ein bisschen dramatisch. Gleichzeitig bin ich froh, dass wir es gemacht haben. Selbst heute werden noch Tourneen verschoben, weil alles so unsicher ist. Es macht mich ein bisschen nervös, aber… was soll man machen? Man weiß nicht, wie die Leute sich verhalten werden. Ob sie noch interessiert sind. Man verliert ganz schön den Schwung. Ich habe mir mein Publikum in Deutschland dadurch erspielt, dass ich permanent auf Tour war. Ich habe mit einer Gitarre und einer Loop Station angefangen und bin mit der Bahn in jede Stadt gefahren, die mich haben wollte. Ich habe mir alles aufgebaut, indem ich mit Menschen interagiert habe, indem ich in echten Räumen mit echten Menschen war. Und plötzlich war das weg. Alle haben Streaming Konzerte oder TikTok Videos gemacht. Das hat sich so fremd für mich angefühlt. Ich habe da nicht wirklich mitgemacht und hatte deshalb lange keinen Kontakt mit meinem Publikum. Ich möchte einfach nur wieder mit Menschen in einem Raum sein. Und hoffe, dass die Menschen auch wieder mit mir zusammen in einem Raum sein wollen. Aber ich habe auch andere Dinge gemacht. Ich produziere, habe einen Filmsoundtrack geschrieben. Das gefällt mir auch. Und ganz ehrlich, das Reisen hat mir am Touren noch nie am besten gefallen. Aber die Menschen dafür umso mehr. Ich möchte einfach wieder mehr Kontakt mit Menschen offline statt online haben.
Ich mag es ja sehr, dass du in Verbindung mit deiner Musik ein sehr starkes, visuelles Konzept hast. Das kommt dir bei deiner Online-Präsenz natürlich zugute.
In der deutschen Musikindustrie, wenn man da zu originell und zu bunt ist, dann läuft man schnell Gefahr, als nicht authentisch gesehen zu werden. Authentisch zu wirken ist etwas, das hier sehr groß geschrieben wird. Als ich nach Deutschland gekommen bin, haben mir alle gesagt, ich wäre so angenehm authentisch. Ich hatte vorher noch nie gehört, dass dieser Begriff benutzt wird, um Künstler*innen zu beschreiben. Authentisch zu sein – was soll das überhaupt heißen? Ich bin ich. Ich habe darüber nie nachgedacht, bis ich hierher gekommen bin. Hier wird das sehr viel benutzt, und ich finde das wirklich interessant. Ich sage nur die braune Lederjacke – aus irgendeinem Grund wird sie mit Authentizität assoziiert. Dabei ist es nur eine Entscheidung, wie alles andere auch. Wenn du dir nicht die Haare wäschst bevor du auf die Bühne gehst, ist das genauso eine Entscheidung, wie wenn du einen Umhang und eine Federkrone trägst.
Aber das funktioniert nur für Männer, oder?
Oh nein, ich glaube das funktioniert für jeden. Du glaubst, das funktioniert nur für Männer? Meinst du, Männer kommen leichter damit durch, auf der Bühne scheiße auszusehen?
Ja, das glaube ich definitiv. Nehmen wir zum Beispiel Lewis Capaldi. Er hat seine Karriere darauf aufgebaut, wie ein Gott zu singen und wie ein Hobbit auszusehen. Und die Mädchen stellen sich früh morgens an, um bei ihm in der ersten Reihe zu stehen. Ich glaube nicht, dass das mit einer Frau funktionieren würde. Aber ich wäre absolut glücklich, wenn du mir das Gegenteil beweist.
Okay, ich denke drüber nach. Das Lewis Capaldi Beispiel ist gut. Ich glaube, ich habe zu spezifisch über die deutsche Indie-Szene nachgedacht. Nein, auch im deutschen Mainstream, da gibt es viel diese Jungs-von-Nebenan, aber auch Mädchen-von-Nebenan. Ganz besonders weiße Singer Songwriter dürfen nicht zu verrückt aussehen. Es darf auf keinen Fall theatral wirken.
Da bist du auf jeden Fall gegen angegangen.
Oh ja, da bin ich gegen angegangen. Wenn ich einen Werkzeugkasten habe, warum soll ich dann nicht alles benutzen, was drin ist? Man kann doch mit allen Farben malen die es gibt, das ist in Ordnung! Aber ich muss zugeben, es gibt nicht wirklich eine im internationalen Mainstream erfolgreiche Frau, die in Jeans und T-Shirt auf die Bühne gehen würde. Außer vielleicht du bist Country-Musikerin aus den Staaten.
Aber die tragen auch glitzernde Cowboystiefel.
Ja, du hast recht. Das muss weiter erforscht werden. Aber nicht heute (lacht). Wenn du theatralisch bist, heißt es auf jeden Fall nicht, dass du nicht authentisch bist. Wenn du so bist, dann bist du so! Let your freak flag fly!
Und es ist so wichtig. Ich bin im tiefsten, ländlichen Bayern aufgewachsen, und ich habe nichts dringender gebraucht als jemanden der mir das Gefühl gibt, dass es okay ist, ein Freak zu sein. Was auch immer ein Freak sein mag.
Ganz ehrlich, das ist doch die Macht der Vorbilder. Wenn es dir nicht gut geht und du es nicht schaffst dir darüber klar zu werden, wer du bist, dann brauchst du ein Vorbild. Jemand, der dir das Gefühl gibt, es ist okay du selbst zu sein.
Und wenn wir dann zur Abwechslung wieder über dich sprechen – ich glaube, ich habe noch nie jemanden gesehen, der den Mittelalter-Look so konsequent durchgezogen hat. Ich finde das ganz schön originell.
(lacht) Ich nenne es Renaissance-Drag. Ich habe ehrlich gesagt ein bisschen was dazu gesehen in letzter Zeit. Die Leute fangen an, dieses Genre zu erkunden. Aber es war toll, ich habe die letzten sechs Monate damit zugebracht, mir ganz viel Kunst anzusehen und Bilder zu analysieren. Das war auf der visuellen Ebene eine sehr schöne, kleine Reise. Alles hat mit dem Song „Shiny Things“ angefangen. Er hat so eine ganz eigene Dramaturgie. Für mich hat sich das vom Vibe her irgendwie barock angefühlt. Also dachte ich, warum nicht in eine bestimmte Ära eintauchen und mit den Bildern spielen, die daraus entstehen. Und dann zu sehen, ob sich daraus ein umfassendes visuelles Konzept entwickeln kann. Mein Video zu „Spoiled Children“ ist mehr Rococo. Ich spiele alle Charaktere selbst. Es ist mein Meisterwerk (lacht). Ich habe in den letzten Jahren viel über Revolution und Utopien gelesen. Es war so eine unglaublich üppige, sinnliche Ära, die gleichzeitig vielen Aufständen und Revolutionen in Europa vorangegangen ist. Ich fand es sehr interessant, das zu erforschen und zum Teil meiner Arbeit zu machen.
Ist das visuelle Konzept parallel zur Musik entstanden, oder kam das erst später?
Es ist später passiert, als ich mit dem Album in den letzten Zügen war. Das Album war zu 90 Prozent fertig. Ich wollte einen visuellen roten Faden haben. Ich habe viele verschiedene Ideen und Konzepte ausprobiert. Und das hier hat irgendwie sehr natürlich gepasst, zur Musik und dem ganzen Vibe. Außerdem konnte ich in den Kostümfundus gehen und all diese verrückten Kostüme anprobieren. Das hat sehr viel Spaß gemacht.
Das bringt mich aber auch schon wieder auf eines meiner Lieblingsthemen, nämlich dass Künstlerinnen selbst heutzutage noch gerne unterstellt wird, dass sie das alles gar nicht selber machen. Dass da jemand im Hintergrund stehen muss, der die Ideen hat und die Fäden zieht.
Deshalb erzähle ich es auch so vielen Menschen wie möglich. Jedes Mal wenn ich gefragt werde, wer meine Musik produziert sage ich: nun, ich selbst! Womit wir wieder bei den Vorbildern wären. Ich bin nie auf die Idee gekommen Gitarre zu spielen, bis ich PJ Harvey gehört habe. Ich habe das nicht als etwas für mich wahrgenommen, bis ich eine Frau gesehen habe, die es gemacht hat. Das gleiche gilt fürs Produzieren. In der elektronischen Musik gibt es einige Frauen, die sich selbst produzieren. Es ist ein unglaublich gutes Gefühl von Selbstbemächtigung, sich selbst zu produzieren. Wenn du die Fähigkeiten hast, deine eigene Vision zu kreieren, dann kannst du machen, was immer du willst. Du musst mit niemandem darüber reden, du kannst es einfach machen. Da gibt es nichts zu verhandeln. Ich möchte, dass es mehr Produzentinnen auf der Welt gibt, also fange ich am besten bei mir selbst an, erzähle allen davon und vielleicht denken die Leute ja: also wenn Kat Frankie das kann, dann kann ich das auf jeden Fall auch (lacht).
Und wenn ich es nicht kann, dann kann ich zumindest Kat Frankie fragen!
(lacht) Ich mache das gerade, ich produziere für eine andere Künstlerin ihr Album. Aber ich hoffe, dass sie dadurch den Mut findet, sich mehr selbst zu produzieren. Ich möchte einfach, dass jeder seine eigene Musik produziert. So entstehen die wirklich guten Sachen. Du brauchst von niemandem die Erlaubnis dafür.
Abschließend möchte ich dir sagen, dass ich dein Album wirklich faszinierend finde. Weil ich es nachdenklich und introspektiv finde und gleichzeitig üppig und extrovertiert.
Das ist schön. Das gefällt mir (lacht). Ja, ich denke es bewegt sich zwischen den beiden Extremen meiner Persönlichkeit. Vielleicht weil ich gleichzeitig ein nachdenklicher, leicht melancholischer Mensch bin und gleichzeitig jemand, die ein extremes Selbstbewusstsein hat. Diese beiden Seiten kämpfen die ganze Zeit miteinander. Da ist immer diese Anspannung zwischen sich sehr, sehr klein zu fühlen und gleichzeitig von den Dächern schreien zu wollen. Deswegen sind die Songs auch so extrem unterschiedlich. Ich springe die ganze Zeit zwischen den beiden Enden des Spektrums hin und her.
Foto © Elina Kechicheva