In der Ruhe liegt die Kraft: Es passt wohl kein anderes Sprichwort so gut zu José González wie dieses. Mit jedem Album erschafft der schwedische Singer-Songwriter wieder völlig neuartige, atmosphärisch warmherzige Klangwelten, mit denen man sich ganz herrlich von dem lauten Alltag abschotten kann. Über allem schwebt stets die samtweiche Stimme des 37-Jährigen, die wie eine unsichtbare Kuscheldecke in stressigen Phasen ohne viel Schlaf wirkt.
Doch das alles heißt nicht, dass man bei einem Konzert von ihm mal einfach so ein bisschen wegdösen könnte. Ganz im Gegenteil: Im Berliner Tempodrom, nur teils bestuhlt, weiß González an diesem Dienstagabend im November sein Publikum von Anfang an hellwach und bei Laune zu halten. Das liegt zum einen an der vielseitigen Setlist, auf der Stücke von dem aktuellen Album „Vestiges & Claws“ genauso Platz finden wie alte Bekannte (zum Beispiel das The-Knife-Cover „Heartbeats“), aber zum anderen auch an Josés Geschichten. In seinen Songs nimmt er die Menschen mit in eine höchst poetische Parallelwelt – der knapp anderthalbstündige Gig gestaltet sich somit zu einer emotionalen Reise, bei der die Gäste und auch alle Musiker bis an ihre Grenzen gehen. Das ergreift und lässt wohl keinen im Saal so einfach kalt. Dennoch weiß der sympathische Lockenkopf mit dem obskur gemusterten schwarzen Hemd die Stimmung immer wieder gekonnt aufzulockern. Mal erzählt er davon wie er durch Berlins Straßen lief und dabei ganz irritiert von all den Postern mit seinem Gesicht darauf war und schließlich jede Menge „Double-Selfies“ schoss. Und dann übergibt er das Mikrofon an seinen Bandkollegen James Mathé, alias Barbarossa, der ein Lied von seinem neuen Solo-Album anstimmt. Ein weiteres Highlight des Abends. Denn Barbarossa erweist sich vom Sound her etwas mutiger, lauter, gar breitbeiniger als González, könnte aber stimmlich dennoch sein Zwilling sein.
Die Mischung, das durchdachte Bad der Gefühle, geht auf. Nach dem Zugaben-Slot, der ebenso reduziert und melancholisch schön ausfällt wie der Rest der Show, scheint ein jeder Besucher des Tempodroms dank José González verwandelt. Während des Konzerts wurde im Publikum zwar ausgiebig geknuddelt, aber dabei aufgrund der vollen Konzentration auf die Bühne kaum ein Wort miteinander gewechselt. Unglaublich: Selbst nach dem Konzert werden die Gespräche noch in gedämpften Ton geführt. Außerdem wird jedes Gesicht mit einem leichten, zufriedenen Lächeln umschmeichelt. Die Welt scheint plötzlich einfach eine viel nettere zu sein.
War dabei: Hella Wittenberg
Fotos: Markus Werner