Jim Kerr von den Simple Minds im Interview: „Wenn Jim beim Tanzen nicht in die Knie geht, wollen wir unser Geld zurück!“

In den 80ern gehörten die Simple Minds zu den ganz großen, wegweisenden Bands. „Don’t You Forget About Me“ zum Beispiel, der Song, der untrennbar mit dem Film Breakfast Club verbunden ist, die Hymne einer ganzen Generation. Lange war es eher ruhig um die Schotten, die dieses Jahr ihr 40-jähriges Bestehen feiern. Solange hält man nur durch, wenn Musik Leidenshaft und nicht einfach nur ein Job ist. Das verrät uns Jim Kerr in unserem Interview, anlässlich der neuen Platte „Walk Between Worlds“.

Ihr feiert dieses Jahr 40-jähriges Bestehen der Band. Wie fühlt sich so ein Jubiläumsjahr an?

Wir hatten letzte Woche unseren ersten Gig. Das war eine gute Gelegenheit um ein bisschen zu plaudern und alles zu reflektieren. Es ist schon eine unglaublich lange Zeit. Meine Eltern waren noch nicht mal 40 Jahre alt, als wir angefangen haben. Unser Ziel war, eine gute Live-Band zu werden und mit unserer Musik um die Welt zu reisen. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, dass wir immer noch dieses Leben leben dürfen.

Wie habt ihr es geschafft in diesem Business zu überleben? Die Branche ist ja nicht gerade einfach. Heutzutage trennen sich junge Bands schon nach vier bis fünf Jahren, weil sie den Druck nicht mehr aushalten.

Das hat mit so vielen Komponenten zu tun. Wenn ich mich mit Freunden unterhalte sage ich immer – wir hatten Glück. Dann bekomme ich oft als Antwort, nein ihr hattet nicht nur Glück, ihr habt auch hart gearbeitet. Dann antworte ich immer: doch, wir haben Glück gehabt. Viele möchten das erreichen, was wir gemacht haben, aber es liegt auch nicht jedem. Du musst schon ein spezieller Typ Mensch sein für das Musikbusiness und du musst die Hochs und Tiefs aushalten können. Zudem musst du bereit sein, immer weiter an deinem Talent zu arbeiten. Es ist oft sehr anstrengend, aber was ist heutzutage nicht anstrengend? Jeder hat doch Probleme und muss sich Herausforderungen stellen oder ist auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Das geht uns Musikern ja auch nicht anders. Der Unterschied ist der, wenn man einen Job gefunden hat, der eigentlich deine Leidenschaft ist, dann ist das wie ein Lottogewinn. Alles was noch On Top kommt ist dann eine zusätzliche Belohnung. Schwierig wird es, wenn man in einem Job arbeitet, den man so gar nicht mag. Das habe ich auch schon gemacht.

Was war das für ein Job?

Du wirst lachen, ich habe als Aushilfe bei einem Metzger angefangen. Da musste ich immer saubermachen. Kannst du dir vorstellen wie das war? Seitdem bin ich Vegetarier (lacht). Viele Menschen machen einfach ihre Arbeit um ihr Leben zu finanzieren, ihr Herz hängt aber eigentlich an etwas anderem. Ich hatte immer das große Glück, dass ich das gemacht habe, woran auch mein Herz hängt. Im Vergleich dazu war es bei mir immer noch positiv, selbst wenn es mal nicht so gut lief.

Gab es Momente, in denen ihr ans Aufhören gedacht habt?

Klar gab es die auch. Jetzt lache ich darüber. Aber es gab schon Phasen, die über einige Monate gingen, da habe ich sehr gezweifelt. Mein Partner Charlie Burchill hat das nie kommentiert. Wenn ich dann mal etwas zu ihm gesagt habe, sagte er: „Nein das tun wir ganz sicher nicht, komm darüber hinweg.“ Dann habe ich argumentiert warum wir aufhören sollten und er hat das einfach ignoriert. Damit war das Thema erledigt.

Ist das nicht fantastisch über all die Jahre nicht nur zusammen zu arbeiten, sondern jemanden der einen so gut kennt auch als Freund zu haben?

Absolut! Das ist ein anderer Grund warum ich immer sage, wir sind mit Glück gesegnet. Solche Menschen, die mit dir durch dick und dünn gehen findest du auch nicht oft.

Würdest du noch mal von vorne anfangen, mit all dem Wissen das du jetzt hast?

Ich glaube ich hätte gar keine andere Chance. Wenn man mit dieser Kreativität geboren ist und wenn man den tiefen Wunsch hat, dass Menschen das hören können was man macht, dann gibt es eigentlich keine andere Möglichkeit.

Gibt es einen unvergesslichen Moment in diesen 40 Jahren?

Jeder spricht immer über die ganz großen Momente wie Live Aid, Wembley oder das Mandela Konzert. Natürlich waren das herausragende ikonische Momente, aber es sind oft die kleinen Dinge die mich geprägt haben und an die ich mich erinnere. Für mich ist zum Beispiel unvergesslich, wie wir das erste Mal nach Berlin gekommen sind, 1978. Das war unser allererster Gig außerhalb der UK. Das war in der Kantstrasse am Kant Kino, da waren nicht viele Leute. Aber es war unglaublich aufregend. In dieser Zeit in Berlin zu sein war unfassbar, diese Atmosphäre. Wenn mich jemand fragt ob das aufregender war als Live Aid? Ja, absolut!

Wirklich? Das ist interessant, dass dich das so geprägt hat.

Ja und weisst du warum? In Konzerte wie Live Aid konnten wir reinwachsen, das hat sich langsam entwickelt. Aber Ende der 70er war das alles neu für uns. Wir haben alles das erste Mal gemacht, da waren ganz viele „Wow-Momente“ dabei. Manchmal haben wir nur vor drei Leuten mit einem Hund gespielt. Aber wenn es genau die drei Leute mit dem Hund waren, die danach ausgeflippt sind, hat das für uns die Welt bedeutet. Wir waren noch nicht im Radio oder in den Charts. Aber wir haben eine Idee davon bekommen, dass das funktioniert, was wir tun. Das waren für mich monumentale Momente. Versteh mich nicht falsch, die großen Dinge waren auch fantastisch. Damals war es leichter Astronaut zu werden als einen Plattendeal zu bekommen. Dass das für uns auf einmal in Reichweite war, war für uns das allergrößte.

Woher holst du dir immer wieder die Inspiration für neue Songs und neue Platten?

Musik ist einfach immer noch das was mich ständig beschäftigt. Gestern hatte ich einen Promo-Tag in Brüssel. Ich bin aber extra früher aufgestanden, da ich eine Idee im Flieger hatte, da wollte ich unbedingt dran arbeiten. Niemand fragt mich danach, das ist einfach das was mich immer noch antreibt. Es wäre übertrieben zu sagen, Musik schreiben ist für mich genau so natürlich wie laufen oder essen. Es begleitet mich aber ständig, das macht mich aus, seit ich 15 Jahre bin.

Ich finde das merkt man auch eurer Musik an, dass sie mit Leidenschaft gemacht wird und nicht, weil ein Label euch zu einer neuen Platte gedrängt hat.

(seufzt) Das würde ich mir sehr wünschen, dass das so wahrgenommen wird. Das ist ein großartiges Kompliment. Ich bin mir sicher, du würdest es auch merken, wenn es nicht da ist und das wäre wirklich erschreckend, dann wäre es vorbei. Es muss nicht immer das größte Werk aller Zeiten sein, das schafft man auch gar nicht immer. Es sollte den Zuhörer aber packen und emotional berühren. Wir wollen ja schließlich mit unserer Musik etwas überbringen.

Spürst du es sofort, das könnte einen Song für die nächste Platte sein, wenn du daran arbeitetest?

Manchmal ja, aber es gibt auch Songs, für die ist einfach die Zeit noch nicht reif. Ganz schwer zu sagen, warum. Wir sind manchmal sehr hart zu uns selbst. Auch die Leute, die mit uns arbeiten sind sehr kritisch. Das braucht man auch als Band. Loyale Menschen, die man nicht verarschen kann. „Magic“ ist zum Beispiel so ein Song. Wir haben schon seit langem den Rahmen für diesen Song. Ich wurde dann zum Problem für den Song. Ich habe immer gesagt: Magie? Das ist doch heutzutage gar nicht mehr angesagt, das ist kindisch. Können wir überhaupt über so etwas singen?! Was kann man über Magie sagen, das macht alles keinen Sinn. Es hat aber kein anderes Wort so gut zur Musik gepasst wie „Magic“, daher musste ich einen Kontext finden. Die Musik ist so voller Lebensfreude, da dachte ich irgendwann, vielleicht ändere ich einfach die Perspektive und schreibe aus der Sicht als ich 18 Jahre alt war, da hat man noch einen anderen Blickwinkel auf Dinge. Ich glaube an Magie, aber auf eine andere Art. Als Charlie das erste Mal seine Verstärker benutze und wir in der Lage waren ganz andere Sounds zu produzieren, das war für mich Magie. Daran habe ich mich versucht zu erinnern. Mit machen Songs muss man kämpfen, wir nennen sie liebevoll die verwöhnte Verwandtschaft (lacht), andere fließen einfach so heraus. Den Songs, die ich in einer halben Stunde schreibe, den traue ich aber auch nicht so richtig.

 

 

Ihr habt zuvor ein Acoustic Album gemacht. Hat das einen Einfluss auf eure neue Platte gehabt?

Es war eher der Prozess, der das neue Album beeinflusst hat als die Art der Musik. Wenn wir an einem Album arbeiten, machen wir dazwischen immer mal eine Pause, um eine andere Perspektive darauf zu bekommen. Unser Manager schlug uns das Acoustic Album vor. Er hat ein sehr gutes Gespür für so etwas, daher haben wir uns darauf eingelassen. Es war ein schönes Projekt, für die Tour haben wir eine Band mit einer anderen Instrumentierung als sonst gebraucht. Das waren so tolle Musiker, mit einer wunderbaren Energie, da haben wir uns überlegt, dass wir sie mit integrieren, wenn wir an unserem neuen Album weitermachen. Das hatte dann schon noch mal einen Einfluss auf die Songs.

Ihr habt in den legendären Abbey Road Studios aufgenommen. Ist das als würde man heilige Hallen betreten?

Es ist ein Tempel. Da waren die Beatles, die Stones, sie zeigen dir die Mikrofone, wer womit gesungen hat. Das ist wirklich Musikgeschichte. Das Schöne daran ist aber, dass wir bei unserem ersten Album „Life In A Day“ kein großes Budget hatten. Unser Producer damals hat in den Abbey Road Studios gelernt, dadurch hatte er Beziehungen. Seine Idee war das ganze Album in irgendwelchen billigen Studios aufzunehmen, um es dann in einer Woche in den Abbey Road Studios fertig zu machen. Er meinte das würde uns total inspirieren. Ich war vorher erst ein, zwei Mal in London. Was dann aber passiert ist, die Hälfte der Band war wirklich beeindruckt und inspiriert und die andere Hälfte -dazu habe ich gehört- waren völlig eingeschüchtert. Ich hatte so viel Respekt, dass ich das gar nicht genießen konnte. Diese Woche hat sich für mich angefühlt, als müsste ich jeden Tag eine Prüfung schreiben. Wie ich jetzt zurück kam, war es ein ganz anderes Gefühl. Ich konnte es richtig genießen und es war fantastisch mit so tollen Musikern dort zu arbeiten. Es ist ein wunderbarer Ort.

Es fühlt sich schon besonders an, wenn man nur davorsteht und draußen über den berühmten Zebrastreifen geht.

Ich weiß genau was du meinst. Und weißt du was? Natürlich bin ich auch dieses Mal wieder den Zebrastreifen gelaufen. Man geht auch sofort ganz anders, so mit den Armen an der Seite, wie die Beatles. Es macht etwas mit einem.

Euer neues Album heißt „Walk Between Worlds“ – zwischen welchen Welten wandelt ihr?

Was ich an diesem Titel sehr mag ist, dass er offen für Interpretationen ist und sich jeder etwas für sich dabei denken kann. Für mich ist es etwas Besonderes, weil der Song von Empathie handelt. Ein Wort, das heutzutage sehr selten benutzt wird und häufig mit Sympathie verwechselt wird. Aber Empathie kommt noch davor, man muss sich versuchen in jemanden rein zu versetzen. In der heutigen Zeit, die immer technologischer wird, ist es immer schwieriger emphatisch zu sein, die Menschen werden immer härter.

Sommer scheint deine Lieblings-Jahreszeit zu sein. Nach „Someone Somewhere in Summertime“ gibt es jetzt einen Song „Summer“.

(lacht) Ja das stimmt. Daran dachte ich auch sofort. Dabei mag ich auch Winter sehr gerne. Wir waren in Skandinavien, während der Mitternachtssonne. Es war eine kleine Stadt, alle waren draußen und hatten Spaß. Es war so ein tolles Gefühl. Da kam mir die Idee für den Song. Am nächsten Tag als ich geschrieben habe, hat es dann geregnet. So kamen mir die Textzeilen „…here comes summer, here comes rain …“.

Wie bereitet ihr euch auf die Tour vor?

Meinst du musikalisch oder körperlich?

Beides. Ich erinnere mich an eure Konzerte, die immer sehr intensiv waren, du tanzt viel und tauchst immer ganz tief Richtung Boden ab. Dein Signature Move quasi.

Oh ja. Man braucht eine gute Energie. Ich gehe jeden Tag anderthalb Stunden laufen. Ich bewege mich immer noch so auf der Bühne. Meine jüngeren Bandkollegen fragen mich dann immer, wie machst du das? Ich sag dann, ich kann das im richtigen Leben nicht machen, nur im Film. Und so ist es wirklich, sobald ich auf der Bühne stehe geht das alles, ich muss das machen, das bin ich. Ich leide halt danach immer ein bisschen mehr als früher und brauche mehr Pausen (lacht). Ich bekomme auf der Bühne eine Energie, die ich normalerweise nicht habe. Aber ganz ehrlich, das erwarten die Fans doch auch von dir. Wenn Jim beim Tanzen nicht in die Knie geht, wollen wir unser Geld zurück! Das macht einen aber doch auch aus, dass man etwas ganz Spezielles hat, was die Leute von einem erwarten. Es ist das gleiche mit „Let Me See Your Hands“. Das gehört mittlerweile einfach dazu, jeder wartet drauf.

Du hast meine Hände bestimmt schon ganz oft gesehen.

Siehst Du, das macht mich glücklich und gibt mir Mut weiter zu machen. Dafür macht man das doch alles. Damit man gemeinsam eine gute Zeit hat. Wenn man diese Lücke zwischen Bühne und Publikum verschwinden lassen kann, dann hat man etwas gewonnen. Das ist magisch. Siehst du, da ist es wieder, das Wort (lacht). Manche denke, das ist uncool aber hey, das sind wir und ich bin stolz darauf.

Was für ein schönes Schlusswort. Ich wünsche euch ganz viele magische Momente auf der kommenden Tour mit ganz vielen Händen in der Luft.

Ich danke dir und ich hoffe, ich werde auch deine Hände wieder sehen.

Simple Minds Live:

22.07.2018 Das Fest, Karlsruhe, Germany
25.07.2018 Kunst!Rasen, Bonn, Germany
26.07.2018 Summertime @ Norderney, Norderney
27.07.2018 Summer in the City (Zitadelle), Mainz, Germany
01.08.2018 Meersburg Festival, Meersburg, Germany
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Interview: Kate Rock
Foto Credits: Dean Chalkley