Sharin Foo und Sune Rose Wagner alias The Raveonettes betonen nur allzu gerne, wie unterschiedlich ein jedes ihrer Alben in Hinblick auf den Vorgänger ist. Das 2012 erschienene Album „Observator“ ist dabei keine Ausnahme. Trotzdem fügt sich im Besonderen im Live-Spiel ein neues Stück wie „Young And Cold“ oder auch „She Owns The Street“ harmonisch in das sieben Alben umfassende Gesamtwerk des dänischen Duos ein. Auch im Gespräch vor ihrem Konzert im ausverkauftem Berliner Bi Nuu zeigt sich die Band überaus ausgeglichen, selbstsicher und kann speziell durch die vielen ehrlichen wie nachdenklichen Selbstreflexionen punkten.
Könnt ihr die Menschen durch eure jahrelangen Beobachtungen durchschauen?
Sharin Foo: Ich weiß heute mehr über die Menschen als noch vor zehn Jahren.
Sune Rose Wagner: Ich lerne immer noch dazu. Aber ich werde nur selten von der menschlichen Natur überrascht. Doch ich glaube, dass ich eine gute Grundkenntnis von dem habe, warum Menschen bestimmte Dinge tun, auch wenn ich dem nicht immer zustimmen kann.
Welche aktuellen Themen ziehen euch in ihren Bann?
Sharin Foo: Neben der Präsidentschaftswahl in den USA verfolge ich auch was in Dänemark so passiert. Erst kürzlich wurde in Kopenhagen ein Junge erstochen. Das ist aber leider kein Einzelfall. Ich finde, dass das eine Blamage für ein Land ist, welches so behütet dargestellt wird. Dänemark hat sich sehr verändert seit wir dort vor zehn Jahren weggezogen sind.
Sune Rose Wagner: Es ist dort gewalttätiger geworden.
Sharin Foo: Wenn man überlegt, dass wir schon in einigen großen Städten in der Welt gelebt haben – wie zum Beispiel London und New York – und eigentlich aus so einer unschuldigen Stadt kommen, ist es bestürzend zu sehen, wie schnell es sich dort im Gegensatz zu unseren späteren Wohnorten zum Schlechteren gewandelt hat. Das ist auch ein viel debattiertes Problem in Dänemark selbst, womit auch Themen rund um Integration und Immigration einhergehen.
Sune Rose Wagner: Hinzu kommen die milden Gefängnisumstände. Kaum jemand wird umfassend bestraft und kommt tatsächlich für seine Taten ins Gefängnis. Das wirkt nicht gerade entmutigend für Leute mit Hang zum Illegalen. Wenn man einen Menschen umbringt, muss man maximal für zwölf Jahre ins Gefängnis und hat die Chance bereits nach sieben oder acht Jahren wieder raus zu kommen. Es ist also keine große Sache. Wenn man jemanden mit einem Messer verletzt und die Person nicht stirbt, muss man höchstwahrscheinlich nicht einmal ins Gefängnis.
Die Distanz zwischen Dänemark und euch wird also immer größer?
Sune Rose Wagner: Wir sind da sehr unterschiedlich. Sharin ist oft in Dänemark und ich nicht. Ich bin um einiges distanzierter als sie. Ich habe keinen Grund dorthin zurückzugehen. Natürlich würde ich gern meine Mutter und einige Freunde wiedersehen, aber die wohnen auch nicht direkt in Kopenhagen. Und es wäre auch so eine lange Reise bis dahin… Ich fühle mich dort einfach nicht wohl. Mir missfällt die dänische Mentalität, die Art wie Dänen Dinge tun und deshalb bin ich schon nach kürzester Zeit verärgert und gelangweilt zugleich. Ich halte mich viel lieber an anderen Orten auf.
Sharin Foo: Auch wenn ich seit zehn Jahren nicht mehr in Dänemark lebe, lese ich doch jeden Tag die dänischen Nachrichten. Ich fühle mich im Kern sehr dänisch.
Fühlt ihr euch sozial?
Sune Rose Wagner: Ich bin eine sehr soziale Person. Wenn ich eine Weile nicht Menschen um mich herum habe, werde ich depressiv. Ich muss von Menschen umgeben sein. Das einzige Problem ist, dass ich das eigentlich nicht immer möchte, aber ich muss. Das ist manchmal sehr schwer für mich.
Sharin Foo: Bis zu einem gewissen Grad bin ich auch eine soziale Person. Doch je älter ich werde desto weniger sozialisiere ich mich. Denn nun kenne ich immer besser meine Grenzen in Bezug auf das Soziale. Ich weiß wann ich mich dem entziehen muss und mehr für mich sein sollte. Das war schon mal anders. Als ich zwanzig Jahre alt war, waren meine sozialen Aktivitäten grenzenlos. Jetzt bin ich müde. Müde von dem Lärm auf großen Festivals und anderen Orten mit vielen Menschen und vielen Konversationen.
Entwickelt sich Kreativität aus der Stille oder aus dem Lärm heraus?
Sune Rose Wagner: Aus beidem. Zuerst kommt aber die Stille. Damit man sich in die tiefsten Gedanken hineinversetzen, also nachdenklich werden kann. Das meint die Momente, wenn man wach wird oder beispielsweise einen Spaziergang macht.
Sharin Foo: Ich würde sagen, dass der Lärm zuerst kommt. Erst durch den Lärm entsteht Inspiration und Stimulation. Die Stille hilft danach zu verstehen.
Was war der beste Ratschlag, den man euch mit auf den Weg gegeben hat?
Sune Rose Wagner: Ich glaube, dass ich noch nie einen wirklich guten Ratschlag von jemanden erhalten habe.
Sharin Foo: Dinge, die am meisten bei mir nachhallen, sind Zeilen aus Zen-Büchern. Da heißt es zum Beispiel, dass man nicht gegen Träume ankämpfen, sondern mit ihnen gehen sollte. Aber auch mein Großvater aus China hat mir schon viel weitergeholfen. Er erzählte mir immer von der Familie, die man sich wie die Wurzeln eines Baumes vorstellen könne und wie wichtig diese Wurzeln für die Entwicklung seien.
Wenn ihr euch heute im Spiegel betrachtet, glaubt ihr, dass eure Eltern einen guten Job erledigt haben?
Sharin Foo: Ich kann definitiv einige Mängel erkennen, auch wenn sie im Großen und Ganzen einen guten Job gemacht haben. Aber mir fällt im Besonderen einiges auf, seit ich selbst eine Mutter bin. Seitdem denke ich viel darüber nach, welche Auswirkungen das eigene Handeln auf das Kind haben kann und wie man sie richtig auf das Leben vorbereitet und wie man es besser nicht machen sollte.
Sune Rose Wagner: Meine Eltern haben nie versucht mich zu irgendetwas zu zwingen. In dieser Hinsicht denke ich, dass sie einen sehr guten Job erledigt haben. Ich konnte immer für mich selbst entscheiden, was ich möchte. Ich habe viel Zeit allein verbracht. Ich hatte die Freiheit alles zu tun, was ich tun wollte. Mein Vater war so gut wie nie da und meine Mutter hatte immer sehr schlechte Laune. Also habe ich mein eigenes Universum und mein eigenen Weg im Leben kreiert.
Habt ihr bereits genug Distanz zu eurem aktuellen Album „Observator“, um an einem neuen zu arbeiten?
Sune Rose Wagner: Songs zu schreiben ist keine schwierige Sache für mich. Ich kann immer schreiben, wenn ich denn möchte. Aber ob ich das Gefühl habe, dass es gerade eine Notwendigkeit dafür gibt, ist eine andere Frage. Im Moment fühle ich kein brennendes Verlangen danach. Ich finde es nicht interessant etwas Neues für The Raveonettes zu machen. Vielleicht habe ich in einer Woche oder einem Monat eine gute Idee.
Gibt es keine Themen, die dich textlich interessieren könnten?
Sune Rose Wagner: Es ist immer dasselbe. Das, was funktioniert, wird genommen. Ich habe aber zum Beispiel kein Interesse daran einen politischen Song zu schreiben. Zum einen habe ich nicht das Gefühl, das ich genug über den derzeitigen Zustand der Welt weiß, um darüber zu schreiben und zu singen und zum anderen möchte ich es auch nicht verteidigen müssen. Es handelt sich schließlich nur um die Meinung eines Einzelnen und ein Einzelner sollte sich nie erklären müssen. Aber ich weiß wie es läuft. Wir haben einen Song über Vergewaltigung geschrieben und dazu bekommen wir die meisten Fragen gestellt. Nur irgendwie gibt es dazu nicht mehr viel zu sagen. Denn es ist bereits alles im Song gesagt und die meisten Leuten stimmen dem eh zu. Ich mag es auch nicht über meine Songs zu sprechen. Die Leute sollen sie für sich selbst interpretieren können. Das macht auch immer mehr Spaß. Wenn es einen Song gibt, der jemanden wirklich hilft, dann funktioniert es nicht, wenn ich ihnen sage, dass sie möglicherweise völlig falsch liegen. Das würde doch ihr Universum erschüttern. Und es sind doch nur Worte. Es verhält sich so wie mit Poesie. Da möchte man auch nicht genau wissen was der Autor mit jedem einzelnen Wort gemeint hat. Es sollte nicht auseinandergeschnitten und überanalysiert werden. Wenn es für dich eine Bedeutung hat, dann ist das die ganze Kraft, die es braucht.
In einem Interview betontest du wie sehr du es schätzt, dass Menschen glücklich wie auch traurig zu eurer Musik sein können. Wieso ist die Traurigkeit mit dem Glück ebenbürtig?
Sune Rose Wagner: Es ist einfach ein Teil der menschlichen Natur. Sehr wenige Menschen laufen jeden Tag nur glücklich umher.
Sharin Foo: Diese Gefühle koexistieren. Man benötigt immer das eine Extrem, um das andere spüren zu können. Wenn man Angst vor der Traurigkeit hat, dann kann ich mir kaum vorstellen, dass man auch richtig glücklich werden kann.
Sune Rose Wagner: Genau. Erst ist man glücklich verliebt und dann wird man verlassen und fühlt sich traurig.
Ihr habt keine Angst vor der Traurigkeit?
Sune Rose Wagner: Nein, ich fördere sie sogar. Man kann viel davon lernen, wenn man an die Grenzen geht und das Leben in Extremen lebt. Es ist eben ein Teil von uns.
Sharin Foo: Ich sehne mich nicht unbedingt nach Tragödien in meinem Leben. Ich kenne Menschen, die echte Drama-Queens sind und sich versuchen an Tragödien festzuhalten. Doch nur für diese starken Gefühle zu leben, finde ich nicht gut. Zwar sind Glück und Traurigkeit auch wichtig für mich, aber man muss wissen was dabei echt ist.
Ist es einfach in einem Song zu lügen?
Sune Rose Wagner: Ich denke es wäre sehr einfach. Aber ich habe da gar kein Beispiel parat, weil ich glaube, dass ich noch nie eine echte Lüge in einem Song erzählt habe.
Sharin Foo: Ich finde es sehr einfach in einem Song zu verführen. Ich glaube, dass es mehr darum geht. Denn meiner Meinung nach gibt es keine Lügen in der Kunst. Denn in der Kunst ist alles relativ. Es werden eher Träume als Lügen mitgeteilt. Mir geht es darum mich, den Song oder den Zuhörer zu verführen. Als Künstler und Songschreiber drückt man eine Art Traum aus. Was passieren könnte. Oder wie die Welt sein könnte. Man drückt das innere, emotionale Leben aus, das so gar nicht in der Realität existiert. Somit handelt es sich nicht um Lügen, sondern um eine alternative Realität, eine andere Quelle, die man anzapft.
In welchen Situationen hat eure Musik den besten Effekt?
Sharin Foo: Die Nachtzeit ist dafür sehr gut geeignet. Im Besonderen bei Konzerten. Wenn wir live spielen, präferiere ich ein intimes Umfeld am Abend. Aber unsere Musik funktioniert eigentlich in den meisten Situationen.
Sune Rose Wagner: Für mich funktioniert die Musik am besten in dem Moment, in dem ich sie schreibe. Nur dann bin ich wirklich drin. Danach ist es nicht mehr das Gleiche.
Gibt es Songs, die ihr gar nicht mehr hören könnt?
Sune Rose Wagner: Wir können unzählige Songs nicht mehr hören. Nur bei Konzerten ist das nochmal etwas ganz anderes. Da wollen wir nur das Publikum glücklich machen. Wir sind nämlich nicht besonders gute Entertainer. Wir kommen nicht in einen Raum und alle springen und schreien. Das heißt: wenn das Publikum nicht mitgeht, dann können wir das auch nicht. Es ist schade, dass es so einen starken Effekt auf uns hat. Aber es ist nun mal so, dass unsere Show sehr stark davon abhängt wie das Publikum drauf ist.
Sharin Foo: Wir sprechen oft darüber. Wir haben das Gefühl diesbezüglich sehr schizophren zu sein. Den einen Abend können wir ein super poppiges Set spielen und den anderen Abend ein sehr düsteres, noisiges Set. Es gibt so viele unterschiedliche Herangehensweisen an so ein Konzert und manchmal spüren wir hinterher, dass wir eine andere hätten wählen sollen, weil es keine Resonanz vom Publikum gab. Sobald es keine Resonanz gibt, können wir auch nicht mehr sagen, dass wir es nur für uns genießen. Leider läuft es so nicht und das macht es manchmal sehr kompliziert für uns. Es ist schwer sich zu entscheiden welche Atmosphäre wir kreieren wollen, da wir so viele verschiedene Gefühle und Stimmungen in unserer Musik haben. Zum Beispiel gibt es einen großen Unterschied zwischen „Last Dance“ und „Aly, Walk With Me“. Wenn wir all die unterschiedlichen Perioden von The Raveonettes in einer Show unterbringen würden, wäre das ein sehr verwirrendes Erlebnis für das Publikum.
Was macht ihr auf Tour um Verwirrungen zu vermeiden?
Sune Rose Wagner: Wir tun immer das Gleiche. Wir sind unterwegs, machen Interviews. Es ist ziemlich trivial. Aber das sind die Sachen, die wir tun müssen. Sie sind Teil des Jobs. Ich würde viel lieber im Studio sein oder Songs schreiben als auf Tour zu sein. Allein die Momente bei richtig guten Shows, wo man den Leuten wirklich etwas geben kann und auch etwas zurückbekommt, sind erinnerungswürdig. Aber es tut gut manchmal einen Tag frei zu haben. München konnten wir zum Beispiel dadurch richtig genießen. Solche Augenblicke muss man festhalten.
Sharin Foo: Wir touren jetzt schon seit über zehn Jahren. Die richtig tollen Momente gibt es noch, wenn wir an zuvor unbekannte Orte reisen dürfen. Wir waren zum Beispiel kürzlich in Asien, was sehr interessant war. Plötzlich hatten wir wieder das gleiche Gefühl wie zum Beginn der Band, wo alles noch neu und aufregend war. Aber im Allgemeinen hat sich das schon sehr geändert. Wenn wir in den USA oder in Großbritannien touren ist da sehr viel Routine. Ich versuche mich immer auf die Shows zu fokussieren, so dass sie gut werden und vernachlässige dabei das Auskundschaften von Städten. Dafür hat man eh nie genug Zeit.
Gibt es Momente, in denen ihr nicht auf die Bühne gehen wollt, weil keine Begeisterung dafür aufkommen will?
Sune Rose Wagner: Nicht sehr oft.
Sharin Foo: Es gab eine Show auf dieser Tour, wo ich mich so gefühlt habe. Als wir in Liverpool gespielt haben, war ich einfach nicht in der richtigen Stimmung dafür. Aber da ist man mittlerweile professionell genug, um es trotzdem durchzuziehen. Man setzt das Rock-Gesicht auf und legt los. Dabei muss es nicht notwendigerweise weniger bedeutungsvoll für den Zuschauer werden, was ich irgendwie interessant finde.
Lebt ihr intensiv?
Sune Rose Wagner: Ich finde mein Leben ziemlich intensiv.
Sharin Foo: Ich bin eine sehr entspannte Person. Ich glaube das ist der Grund, weshalb ich nicht denke, dass mein Leben super intensiv ist. Aber ich weiß, dass ich extrem privilegiert bin. Ich bin ziemlich zufrieden.
Interview und Fotos: Hella Wittenberg