The Lumineers sind die Band der Stunde. Hier ein Foto, da ein Autogramm und noch eine Frage hinterher. Ein jeder möchte etwas von ihnen. So ist das Trio auch schon einen Tag vor dem ausverkauften Konzert im Festsaal Kreuzberg in Berlin zugegen. Mit einer Engelsgeduld geben sie den gesamten Tag Interviews in verschiedenster Form. Während Sänger Wesley Schultz sich nach einem Begrüßungsbild sogleich für ein Telefoninterview zurückzieht, lassen sich der Schlagzeuger Jeremiah Fraites und die Cellistin Neyla Pekarek müde auf die Stühle des neonbeleuchteten Konferenzraumes fallen. Immerhin ist es fast 18 Uhr und Tageslicht haben sie keines gesehen. Das mag ein Grund dafür sein, dass die Zwei trotz größter Anstrengung wie Zombies wirken als sie über die Chancen sprechen, die sie so gern nutzen wollen oder auch über ihre Liebe zum Live-Spielen. Die Auftritte sind ihre Perspektive, die Stütze im momentanen Alltag. Und das merkt man ihnen auch am nächsten Tag sehr deutlich an. Auf der Bühne stellen sie sich quicklebendig dar, zu Späßen aufgelegt, wie ausgewechselt. Nach diesen anderthalb Stunden voller Glückseligkeit kann man The Lumineers nur wünschen, dass sie auch längerfristig die Anerkennung und Zuwendung erhalten werden, die sie sich in diesem Jahr in jedweder Art so hart erarbeitet haben.
Wie intensiv lebt ihr im Moment euer Leben?
Neyla Pekarek: Sehr intensiv. Nur habe ich das konstante Gefühl von Desorientierung, weil wir immer wieder an einem anderen Ort sind.
Jeremiah Fraites: Für uns ist ständig alles anders. Wir haben keinen Alltag, bei dem man genau weiß wer der Chef ist, wer die Kollegen oder was die Arbeitszeiten sind. Wir treffen fast jede halbe Stunde auf eine neue Person. Damit müssen wir erst noch lernen auf eine professionelle Art und Weise umzugehen. Wir sind im Musik machen besser als im Reden darüber.
Wann habt ihr Euch entschieden, mit der Musik euren Lebensunterhalt zu bestreiten?
Jeremiah: Als die Leute anfingen unsere Musik zu mögen, haben sie das für uns entschieden. Wir wollten natürlich liebend gern unsere Nebenjobs aufgeben, aber die Entscheidung lag nicht bei uns. Erst als wir ein bisschen Erfolg hatten, erlaubte uns das unsere Jobs aufzugeben. Auch wenn wir harte Tage haben, ist es wichtig dankbar zu sein und daran zu denken, wo man herkommt. Ich habe früher Tische gesäubert und auch mal auf dem Bau gearbeitet. Es war gut, das gemacht zu haben. Dabei habe ich gelernt, dass, egal was man tut, man es ernst nehmen muss. Wir nehmen unsere Band sehr ernst. Denn wir kennen den Unterschied zu anderen Jobs genau.
Ihr würdet auch wieder andere Berufe ausüben, wenn ihr müsstet?
Neyla: Ich habe als Lehrerin gearbeitet und würde es wieder tun. Erst als ich keine Vollzeit-Anstellung erhielt, ging ich zur Band. Ich dachte mir: ich bin jung und spontan und das passt schon. In einer Band zu sein, heißt auch bessere Arbeitszeiten zu haben. Als Lehrerin musste ich immer sehr früh aufstehen und ich bin eigentlich eher ein Nachtmensch. Aber wer weiß schon was die Zukunft mit sich bringt. Vielleicht werden wir immer in einer Band sein oder unterschiedliche Wege einschlagen. Denn auch wenn es nicht die Basis ist, so ist es doch schwer Geld zu keinem großen Thema zu machen.
Wie hat eure Musik-Leidenschaft begonnen?
Neyla: Mit acht oder neun Jahren habe ich Cello-Unterricht bekommen und mir die unterschiedlichsten Sachen angehört. Musik war das einzige Fach in der Schule, in dem ich immer richtig gut war und trotzdem war es nicht geplant, dass ich in einer Band spielen würde.
Jeremiah: Als ich in der achten Klasse war, habe ich mein erstes Schlagzeug bekommen und seitdem nicht mehr aufgehört zu spielen.
Ihr hattet also familiäre Unterstützung?
Jeremiah: Meine Eltern haben mich unterstützt, so lange wie es ein Hobby war.
Neyla: Ihre Freude hält sich in Grenzen, wenn sie sehen, dass ihr Kind eine solche Karriere einschlägt.
Jeremiah: Wir waren darauf vorbereitet, dass wir nicht das große Geld damit machen würden. Wir wollten Songs schreiben und Musik mit einander spielen. Das war der Traum. Es ist großartig, dass wir ihn im Moment ausleben können. Dabei wollen wir aber nicht unsere mentale und physische Gesundheit vernachlässigen. Deshalb ist es wichtig immer ein Ziel vor Augen zu haben.
Was ist das Ziel?
Jeremiah: Die Konzerte sind das Ziel. Letzte Nacht haben wir eine Show in Paris gespielt und für anderthalb Stunden ist man in solch einem Rausch, dass man jegliche Probleme vergisst. Erst im Hotelzimmer übermannt es einen wieder und man fühlt sich oft einsam. Es ist schon ironisch, wenn man die meiste Zeit so viele Leute um sich herum hat und trotzdem einsam ist. Wir lieben es auf der Bühne zu stehen, aber den Rest müssen wir noch lernen. Wir hätten nie gedacht, dass es mit dem Album so gut laufen würde. Jetzt befragen uns viele Leute dazu und Freizeit haben wir kaum.
Wofür nutzt ihr die freien Momente?
Jeremiah: Ich schaue mir gern etwas Witziges im Fernsehen an. So was wie „Seinfeld“ oder „Die Simpsons“ hilft mir beim Entspannen.
Worauf habt ihr beim Entstehungsprozess des Albums euer Hauptaugenmerk gerichtet?
Jeremiah: Die Texte waren uns am wichtigsten. Sie machen einen Song kraftvoller. Künstler wie Bob Dylan, Talking Heads, Tom Petty und Bruce Springsteen haben sehr starke Lieder geschrieben und auch wir wollen mit unseren Stücken erreichen, dass Leute eine emotionale Bindung damit eingehen können. Es geht nicht darum eine Sammlung von Ideen aufzunehmen, sondern etwas mit Substanz. Wes schrieb die Texte und ich bin sein größter Fan. Er hat ein echtes Gespür für das Kreieren von Charakteren und passenden Bildern zu seinen prägnanten, autobiografischen Geschichten.
Neyla: In dem Song „Flapper Girl“ heißt es zu Beginn „Cut off all your hair“ und das ist genau das, was ich gemacht habe, kurz bevor ich zur Band kam. Im Song geht es zwar nicht um mich, aber er fühlt sich symbolisch für meinen Lebenswandel zu der Zeit an. Ich wollte eine große Veränderung und ich habe sie bekommen. Und das Album ist großartig geworden. Wir sind sehr glücklich wie sich alles zusammengefügt hat. Die Konzerte sind gut, um weitere Facetten von uns zeigen zu können. Denn die Leute kriegen nicht einfach nur das, was sie auf Platte hören. Die Shows haben eine ganz eigene Energie.
Welchen Stellenwert nimmt die Örtlichkeit ein, an der man kreativ wird?
Jeremiah: Es ist schwer, Musik in Hotelzimmern zu schreiben. Ein Gefühl von zu Hause ist sehr wichtig. Unsere Heimat ist jetzt in Denver und das ist auch der beste Ort, um an Musik zu arbeiten.
Neyla: Deswegen brauchen wir auch den Januar frei. Aber es gibt so Kleinigkeiten, die uns auch unterwegs weitermachen lassen. Wenn ich zum Beispiel einen frischen Saft am Morgen bekomme, fühle ich mich gleich besser. Wes braucht einfach nur seinen Schlaf. Manchmal reichen auch schon ein Cheeseburger und ein Milchshake aus, um sich an zu Hause zu erinnern.
Konnte Berlin Heimatgefühle bei euch wecken?
Neyla: Wir haben noch nicht genügend Zeit in Berlin verbracht. Heute und auch bei unserem letzten Besuch haben wir nur Promotion gemacht. Die Konzerte helfen, um solche Tage zu überstehen. Wir hatten auch mal einen Promotion-Tag in einem Keller in Paris, wo wir zwölf Interviews hintereinander gegeben haben. Danach waren wir so müde und hatten noch nicht einmal die Stadt gesehen. Das hat mich schon traurig gemacht, weil ich zum ersten Mal in Paris war. Umso schöner war es danach wiederzukommen und auftreten zu können. Als dann die Konzerte ausverkauft waren und jeder die Texte mitsang, wusste man aber, dass es all die harte Arbeit im Vorhinein wert war.
Jeremiah: In Europa zu sein, ist schwierig für uns. Alles ist anders. Wir entschuldigen uns oft, dass wir nicht die Landessprache sprechen können. Ich habe es auch schon seit fünf Tagen nicht geschafft meine Wäsche zu waschen. Das Shirt riecht schrecklich und es ist eigentlich weiß, sieht aber langsam gelb aus. Außerdem können wir nicht so einfach unsere Telefone benutzen. Die kleinen Dinge multiplizieren sich und machen es schwerer. Auch der Jetlag. In den Staaten ist es ein bisschen einfacher für uns. Jetzt fliegen die Tage nur so an einem vorbei.
Neyla: Wir haben gerade erst unser erstes Album herausgebracht und machen so viel Promotion. Ich weiß nicht, ob wir noch einmal so etwas erleben dürfen. Deshalb ist es schwierig, sich darüber zu beschweren. Man ist dankbar für die Chancen, aber zur gleichen Zeit hat man oft keine Energie mehr. Andere Leute machen den Ablaufplan für einen. Unser Tour-Manager setzt uns in ein Auto, wir werden an einen anderen Ort gebracht, man füttert uns, dann sind wir wieder in einem Auto, an einem anderen Ort und man weiß nie so richtig was gerade passiert. Das ist komisch.
Jeremiah: Es ist ein verrücktes Jahr. Aber alles ist besser als sich zu langweilen. Ich habe viel gelacht, mich viel gesehnt und dann auch schon mal ein bisschen geweint. Es ist eine aufregende Zeit für uns.
Interview und Fotos: Hella Wittenberg