SoKo hätte gern etwas Privatsphäre beim Interview. Da im Aufenthaltsraum des Berliner Clubs Gretchen Freunde und Bandmitglieder abhängen, räumt sie kurzerhand resolut das angrenzende Büro, wo wir uns in etwas lustiger Vorstellungsgespräch artiger Atmosphäre gegenüber sitzen. Das ist aber auch das einzige spießig-erwachsene an unserem Gespräch. SoKo stammt aus Frankreich, lebt in Los Angeles und ist sowohl als Sängerin und Songwriterin als auch als Schauspielerin extrem beschäftigt. Vor kurzem waren ihre Haare noch strohblond, jetzt sind sie wieder schwarz. Sie trägt pinkfarbenes Glitzer-Make-Up, Jogginghosen und einen Mickey Mouse Pullover. Warum sie denkt, dass sie unter „Peter-Pan-Syndrom“ leidet, wie sie ihre Lebensgefärtin dafür straft, dass diese immer noch auf Tinder aktiv ist und wie sich das anfühlt, wenn man nie so recht weiß wo man Zuhause ist, erzählt sie mir in der folgenden halben Stunde sehr lebendig und unter viel Lachen. Und erst als ein heftiger Hustenanfall unser Gespräch beendet, erfahre ich, dass sie eigentlich ganz schön angeschlagen ist. Willkommen in SoKos kunterbunter Welt!
Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass du das letzte Mal in Berlin warst.
Drei Monate, ungefähr.
Dabei hast du auf Facebook letztens geschrieben, wie froh du bist, endlich wieder Shows zu spielen.
Ja, weil ich gerade einen Film gedreht habe. Das ist immer ein bisschen… ugh. Ein Teil von mir findet es gut, ich kann aus meiner Haut schlüpfen, andere Dinge tun, mit verschiedenen Leuten arbeiten, neue Sachen lernen… Der Film den ich gerade gemacht habe wurde in Griechenland gedreht, ich kann reisen und lerne andere Kulturen kennen. Aber ein anderer Teil von mir dreht förmlich durch. Was tue ich hier? Ich sollte doch Musik machen und über meine Gefühle schreiben, mein seltsames Ich sein und es genießen. Und dann muss ich diesen Charakter darstellen, diese Frau, die sich so schrecklich mit sich selber fühlt und alles ist falsch in ihrem Leben. Alles ist so dramatisch! Dabei bin ich selber doch so glücklich! Ich liebe mein Leben, das was ich erreicht habe, die Menschen mit denen ich arbeite, meine Kreativität, ich liebe es Musikvideos zu machen, mein Artwork zu gestalten, ich liebe es in LA zu leben! Und diese Figur zieht mich so runter! Ich denke am Anfang immer nicht, dass es so nah an mich ran kommen wird, aber am Ende ist es so. Und ich jammere und frage mich: Warum tue ich das? Ich will doch einfach nur glücklich sein! Ach ja, manchmal muss man tun was man tun muss (lacht).
Das heißt, wenn du einen Film machst, hast du wahrscheinlich auch gar nicht die Möglichkeit, dich parallel mit Musik zu beschäftigen.
Ich zwinge mich es nicht zu tun. Ich nehme keine Instrumente mit und verbiete mir etwas zu schreiben. Das ist hart, aber ich muss es tun, um mich zu fokussieren. Als wir mit den Proben für diese Shows angefangen haben, habe ich gedacht ich kann mich an keinen einzigen meiner Songs mehr erinnern. Keine Texte, keine Akkorde, welches Instrumente ich eigentlich gespielt habe… aber es kommt sofort zurück. Die Musik ist in mir drin, das geht nirgendwo hin.
Geht es dir andersrum genauso? Hast du ähnliche Ängste, wenn du nach längerer Zeit wieder einen Film machst?
Nein, die Schauspielerei ist irgendwie offensichtlich für mich. Da kann ich immer leicht drauf zurückgreifen. Natürlich möchte ich dem Charakter den ich spiele gerecht werden, ich gebe immer mein Bestes. Aber ich bin da irgendwie sehr intuitiv, es fällt mir nicht so schwer. Außer dass die seltsamen Figuren, die ich spiele, mir so nahegehen. Bei der Rolle jetzt waren die Anweisungen immer: intensiver! düsterer! trauriger! dunkle Gefühle! Das erschreckt mich manchmal und ich denke nein, ich will da nicht hin…
Ist es nicht für einen so kreativen Geist wie dich nicht auch schwierig, sich in das doch recht strukturierte Konstrukt eines Filmsets einzuleben?
Es ist hart! Mir ist es lieber die Kontrolle zu haben. Ich liebe es Projekte selber anzuleiern. Der nächste Film den ich mache heißt „The Dancer“. Da bin ich sehr involviert. Ich habe geholfen, den Cast zusammenzustellen, Teammitglieder auszuwählen, habe Musik vorgeschlagen, Sounddesigner, Make Up Designer… An dem Drehbuch hat eine gute Freundin von mir sechs Jahre lang geschrieben, sie hat es speziell für mich geschrieben. So etwas finde ich aufregend. Das ist ähnlich wie wenn man ein Album macht und den richtigen Produzenten, das richtige Studio und die richtigen Musiker auswählt. Ich liebe es, ein Teil vom Großen Ganzen zu sein.
Es gab aber auch Zeiten, da warst du sehr unglücklich mit der Musikindustrie und hast überlegt, nichts mehr zu veröffentlichen.
Ja, aber das ist lange, lange her. Das ist kein Thema mehr. Es ist wie mit allem, du musst die richtigen Leute finden, mit denen du arbeiten möchtest, die dich inspirieren. Nur so kannst du dahin kommen der Mensch zu sein, der du sein möchtest. Du darfst dich nicht mit Arschlöchern umgeben und dann enttäuscht sein. Bevor ich Ross Robinson getroffen habe, mit dem ich mein letztes Album produziert habe, hatte ich ständig mit Producern zu tun die so Sachen meinten wie: „Meine Arbeit kostet so und so viel und entweder du kannst es dir leisten oder nicht.“ So jemand ist dann einfach nicht der Richtige für mich. Und plötzlich treffe ich jemanden, der ist perfekt. Er sagt zu mir: „Ich habe mein eigenes Studio und gebe dir alle Zeit der Welt. Und mach dir keine Sorgen um die Kohle.“ Ich meine, wow! Das ist wie wenn man ein Match auf Tinder hat! (schreit) That’s a match!
Sag mir nicht, dass du wirklich nach Matches auf Tinder suchst…
Ich finde es lustig (lacht). Ich habe es ein, zweimal versucht, es war nicht erfolgreich. Jetzt habe ich eine Freundin und brauche das nicht mehr. Aber manchmal schnappe ich mir mein Telefon und gehe auf ihren alten Tinder Account. Und dann matche ich ganz schreckliche Personen und schreibe ihnen: „Hey, ich date dieses Girl, sie ist schrecklich, ihre Musik ist scheiße. Können wir bitte ausgehen, auf eine Techno Party?“ Wir hassen Techno!
Wundert sie sich nicht, warum ihr all diese schrecklichen Leute plötzlich zurückschreiben?
Nein, sie findet es lustig. Sie weiß dass ich es tue. Ich habe ihr gesagt: „Ok, du hast immer noch Tinder auf deinem Telefon? Dann schreibe ich dafür diesen ganzen grauenvollen Leuten!“ Sie lacht sich immer tot wenn Leute ihr antworten.
Das bringt mich auf einen Satz, den ich zu deinem Album gelesen habe: „Auf diesem Album darf Soko endlich der rebellische Teenager sein, der sie früher nie sein konnte.“ Aber dann habe ich gelesen, dass du mit 16 von Zuhause ausgezogen und auf die Schauspielschule gegangen bist. Das klingt ja nicht gerade angepasst…
Nein, ich glaube das war eher so, dass ich mir früh beweisen wollte, wie erwachsen ich bin. Es gab nicht viel, wogegen ich damals hätte rebellieren können. Meine Eltern nicht, weil ich nicht bei ihnen gelebt habe. Keine Autoritäten, gegen die ich mich hätte auflehnen können. Ich musste einfach überleben. Geld verdienen, meine Rechnungen bezahlen, erwachsen sein. Ich musste viel zu früh viel zu viel Verantwortung übernehmen. Aber ich mochte das auch. Es hat meinen Charakter geformt. Heute denke ich, dass ich alles tun kann, was ich tun will, solange ich meinen Kopf dafür einsetze. Das ist gut, wenn man das kann.
Und heute? Kannst du es dir heute leisten, die Dinge etwas verspielter anzugehen?
Oh nein! Ich arbeite mir immer noch den Arsch ab! (lacht) Aber ich liebe es! Es ist der reinste Adrenalinkick für mich. Wenn ich von einer Tour nach Hause komme und nichts zu tun habe werde ich so depressiv. Nichts stimuliert dich. Ich werde ganz verwirrt. Wer bin ich? Was ist mein Daseinszweck auf dieser Erde? (lacht) Aber ich mag es schon, manche Dinge verspielt anzugehen. Formalitäten sind nicht so mein Ding. Ich lasse nicht gern den Spaß außen vor. Auch wenn ich auf Tour bin, ich brauche immer noch einen extra Kick hier und da. Viele Musiker bewegen sich auf Tour nur vom Hotel zum Venue und wieder zurück. Ich versuche, kleine Extras mit einzubauen, spazieren zu gehen, auf den Flohmarkt, in ein schönes veganes Café…
Dafür muss man aber auch erst mal die Energie aufbringen.
Ich trinke viel Kaffee! (lacht) Außerdem kann ich gut überall kurz einschlafen und zwischendrin ein Nickerchen einlegen. Ich beschwere mich bei meiner Freundin immer, dass sie ständig müde ist und sich ausruhen will. Neulich hat sie die Beherrschung verloren und mich angeschrien: „Ich bin nicht diejenige, die immer müde ist! Du bist diejenige, die total hyperaktiv ist!“ (lacht)
Du hast zu dem Thema ja auch einen Song auf deinem Album, „Peter Pan Syndrome“. Wie ernst ist dir die Aussage, dass du nicht erwachsen werden willst?
Oh, das ist mir völlig ernst! Ich möchte mich nicht wie ein Erwachsener anziehen. Wenn mir danach ist, setze ich einen Bananenhut auf! Ich trage alberne Mickey Mouse Sweater und dämliche Sonnenbrillen. Ich kann mich auch immer noch nicht dazu durchringen, mir einen festen Wohnsitz zuzulegen, Miete und Rechnungen zu bezahlen. Also lebe ich immer noch aus dem Koffer, bei Freunden Zuhause. Ich bin auch ein sehr guter Hausgast! Ich mache mich gerne nützlich. Ich passe auf Kinder auf, mache die Wäsche und Frühstück…
Aber ist es dann nicht noch viel schwieriger, zwischen dem Touren und dem Filmemachen ein bisschen runter zu kommen, wenn man keinen Heimathafen hat?
Oh ja. Ich habe ständig Heimweh. Nur dass ich noch nicht herausgefunden habe, wo Zuhause ist.
Interview: Gabi Rudolph