Interview mit Sarah Neufeld

Sarah Neufeld

Sarah Neufeld und ihre Geige sind fester, schwer wegzudenkender Bestandteil der Band Arcade Fire.  Aber auch darüber hinaus ist die Kanadierin äußerst umtriebig. Immer unterwegs, immer aktiv und vor allem kreativ. Auf ihrem neuen Soloalbum „The Ridge“ verbindet sie den unverwechselbaren Klang ihrer Violine mit rhythmischen Schlagzeugarrangements und, erstmals, ihrem eigenen Gesang. Während eines kurzen, musikalischen  Zwischenstops in Berlin, wenige Tage bevor es weiter ging zum Wandern in die Schweizer Alpen, hatte ich die Möglichkeit, mit Sarah die Sauna in ihrem Zimmer im Michelberger Hotel zu bestaunen und mich mit ihr über ihre noch viel erstaunlichere Musik zu unterhalten.

Als ich deine Soloshow gesehen habe, fiel mir als erstes eine eigentlich furchtbar alberne Frage ein.

Raus damit.

Ist das nicht wahnsinnig anstrengend?

Genau. Tun dir nicht die Arme weh? (lacht) Es ist tatsächlich anstrengend. Aber gleichzeitig gewinne ich sehr viel Energie draus. Unabhängig von den Shows die wir spielen ist die Stimulation daraus, dass man jeden Abend Menschen trifft, fast der anstrengendste Aspekt beim Touren. Es macht Spaß, zieht aber auch viel Energie. Wenn man mit der Show fertig ist hat man so viel Adrenalin im Körper. Man setzt sich nicht in die Ecke und chillt. Es ist großartig, all diese Menschen kennenzulernen und alte Freunde wieder zu treffen. Aber jeden Abend, das ist schon eine ganz schöne Reizüberflutung. Ich liebe es aber unter Leuten zu sein. Die Show an sich ist so anstrengend wie wenn man eine lange Runde laufen geht. Eine sportliche Herausforderung (lacht).

Ich habe dich bereits einige Male mit Arcade Fire gesehen.

Das ist auch eine sportliche Show (lacht).

Das kann ich mir vorstellen. Aber es ist bestimmt sehr anders, mit all den Menschen auf der Bühne, als wenn du selbst im Vordergrund stehst, oder?

Absolut. Arcade Fire ist jedes Mal eine sehr intensive Erfahrung. Aber hier bin ich natürlich viel mehr unter dem Mikroskop. Ich versuche es nicht zu tun, aber ich analysiere im Kopf jeden einzelnen Sound, der auf der Bühne passiert. Ohne diesen starke klangliche Unterstützung überall um mich herum höre ich jede Einzelheit sehr intensiv.

Im Vergleich zu deinem letzten Album und deinen früheren Soloshows hast du deinen gesanglichen Einsatz weiter ausgebaut.

Ich singe mehr, es sind aber auch weitere neue Elemente dazu gekommen, wie das Schlagzeug und hier und da der Bass. Auf dem Album hat Jeremy von Arcade Fire die Drums arrangiert und eingespielt. Ich habe den Bass komponiert und wir haben ihn abwechselnd mit Synthesizern eingespielt. Dann hat Jeremy die ganzen Basslinien gesampelt und in die Schlagzeugspuren mit eingearbeitet. Dadurch wurde es ein schwieriger Job für einen Schlagzeuger, das Ganze live umzusetzen. Auf der letzten Tour hat er mich begleitet, aber jetzt gerade ist er mit Arcade Fire am komponieren. Zum Glück hatte Stefan Schneider die Möglichkeit zu übernehmen. Wir machen schon ewig Musik miteinander, bestimmt 15 Jahre, zum Beispiel in Bell Orchestre, der Instrumental Band, in der ich auch spiele, unter anderem mit Richard von Arcade Fire. Was ich eigentlich sagen wollte – ja, es ist eine andere Show geworden. Es ist auch ein anderes Album. Die Kernelemente sind natürlich immer noch da, die Art wie ich spiele und die Wiederholungsmuster, die ich beim Komponieren benutze. Ich glaube, ich habe inzwischen die Basis dessen, was ich als Solokünstlerin mache etabliert und kann jetzt variieren und neue Einflüsse ausprobieren.

Ich stelle es mir sehr schwierig vor, sich beim Singen selbst auf der Geige zu begleiten. Das dachte ich schon, als ich Owen Pallett das erste Mal live gesehen habe.

Ja, das ist wirklich interessant. Es ist auf jeden Fall etwas, das sich nicht natürlich anfühlt. Die Geige drückt einem beim Spielen ja automatisch ein wenig die Luft ab. Man muss beim Singen also die Geige ein wenig weiter weg vom Körper halten, damit die Stimme sich entspannen kann. Trotzdem muss man sie nah genug bei sich haben um die entsprechende Kontrolle über das Instrument zu haben, die man für die Art von Musik die ich mache braucht. Die Fiddle Spieler halten sie ja weit weg vom Hals, unten am Körper, beim Folk oder Country ist das kein Problem. Als ich das erste Mal Owen habe spielen sehen dachte ich auch, wie zum Teufel macht er das…

Bei euch beiden sieht es aus, als wäre es die einfachste Sache der Welt.

Man muss es üben, es wird einfacher mit der Zeit. Inzwischen bin ich an dem Punkt wo ich auch improvisieren kann. Wenn man auf diese Weise improvisieren kann, Geige und Gesang zusammen, das ist eine ganz neue musikalische Freiheit, die sich einem eröffnet. Es ist wahnsinnig unbequem, aber eine große Herausforderung, die am Ende auch Spaß macht.

Wie alt warst du, als du angefangen hast Geige zu spielen?

Ich war noch sehr klein. In unserem Viertel gab es eine Lehrerin, die nach der Suzuki Methode unterrichtet hat. Bei dieser Methode fängt man schon sehr jung an zu spielen. Ich war aber auch die Art von Kind, die es unbedingt lernen wollte. Mein Bruder ist älter als ich und hat damals schon gespielt, dementsprechend scharf war ich drauf auch endlich anzufangen (lacht). Ich bin dann die meiste Zeit dabei geblieben. Mit 13 habe ich mich von der klassischen Musik verabschiedet. Die Arbeit die man hineinstecken muss um Repertoire zu spielen hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Ich wollte als Kind schon immer improvisieren. Aber es herrscht natürlich allgemein die Ansicht, dass man erst gelernt haben muss Repertoire zu spielen, bevor man zu etwas anderem in der Lage ist. Ich habe mir auch nie eine wirklich gute Methode zugelegt die Technik zu trainieren. Ich war eine lustige Kombination, einerseits faul wenn es um die Technik ging, andererseits wollte ich nie etwas anderes als spielen. Aber auf meine eigene Art. Zum Glück habe ich sehr entspannte Eltern, sie haben mir immer vermittelt dass es okay ist, die Dinge so zu tun wie ich sie tun will. Also habe ich mit 13 aufgehört, orchestrale Kompositionen zu spielen. An der Universität habe ich mich wieder sehr intensiv in die Arbeit gestürzt, aber andere Stile ausprobiert, Jazz zum Beispiel. Zum Glück hatte ich einen Lehrer der mich geschickt ausgetrickst hat, sodass ich ohne es wirklich zu merken meine Technik weiter trainiert habe. Letztendlich ist die Technik einer klassischen Ausbildung einfach fantastisch und vor allem essenziell. Es ist wie beim Sport, wenn du die Grundlagen nicht beherrschst, verletzt du dich.

Mit dem Komponieren für die Geige hast du aber eher spät angefangen, oder?

Im formalen Sinne ja. Mein erstes Album habe ich 2012 raus gebracht. Aber bei Bell Orchestre spiele ich einen sehr ähnlichen Stil, und dort habe ich schon früher komponiert, gemeinsam mit den anderen. Die Technik, durch Wiederholungen und Improvisationen zu einem voll durchkomponierten Musikstück zu gelangen, habe ich durch Bell Orchestre gelernt. Aber meine ersten Solostücke sind 2012 entstanden, hier in Berlin, zusammen mit Nils Frahm. Das war eine tolle Erfahrung und so eine wichtige Zeit. Alles war neu für mich, ich kannte Berlin auch kaum. Ich habe wahnsinnig viel gelernt damals.

Schreibst du deine Kompositionen im klassischen Stil nieder?

Nein. Ich nehme alles auf. Wenn ich für mich und mein eigenes Instrument schreibe, muss ich nichts notieren. Ich fange mit etwas an und wiederhole es so oft, bis es zu etwas wird, das ich behalten möchte. Bis ich an dem Punkt bin habe ich es so oft wiederholt, dass ich es nicht mehr vergesse. Ich nehme alles auf meinem iPhone auf. Das ist eigentlich mein wichtigstes Instrument (lacht). Ich übe meine Tonleitern, fange dann an daraus zu improvisieren und nehme das auf.

Wie weit waren deine Kompositionen für „The Ridge“ als dir klar wurde, dass sie diesmal rhythmischer werden würden? Oder einfacher gesagt, wann kam das Schlagzeug dazu?

Sie waren im Prinzip fertig. Aber ich habe mir von Anfang an vorgestellt, dass Schlagzeug dazu kommen würde. Jeremy und ich waren mit Arcade Fire auf der Reflektor Tour und ich habe geschrieben. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht und darüber geredet, was alles möglich wäre. Dann hatte ich die Stücke fertig und wir haben gemeinsam mit elektronischen Elementen experimentiert, das hat sich aber nicht richtig angefühlt. Also meinte ich, lass es uns richtig mit Live Drums versuchen. Ich dachte, wenn ich schon zum ersten Mal so etwas mache, möchte ich die organische Version beider Instrumente verbinden.

Das mag sich etwas seltsam anhören, aber wenn man deine Stücke auf „The Ridge“ hört, vor allem live, dann kann man ab einem gewissen Punkt fast vergessen, aus welchen Instrumenten sie sich zusammen setzt. Es wird irgendwie nebensächlich.

Das ist nicht seltsam, das ist toll!

Bei vielen Acts, bei denen die Geige im Zentrum steht. stört mich diese ausgestellte Virtuosität. Bitte versteh mich nicht falsch, ich finde du spielst natürlich sehr virtuos, aber du hast dabei nicht die Energie es allen beweisen zu müssen, was für ein Genie du bist.

Ich verstehe genau was du meinst. Diese Art von Energie stößt mich selber ab. Ich verstehe warum so etwas existiert. Man kann mit der Geige so unglaubliche Sachen machen. Das verführt natürlich. Ein großer Teil meines Interesses an dem Instrument besteht darin, es als Instrument an sich zu überwinden. Aber nicht dadurch, dass man es so experimentell bearbeitet, dass einem am Ende keiner mehr glaubt, dass das was er da gerade hört eine Geige ist. Sondern genau so, wie du es gerade beschrieben hast: dass man vergisst, was sie ist. Du gibst also meine geheimsten Vorstellungen wieder (lacht). Wenn man hört, dass das was man macht genau so ankommt wie man es sich vorstellt, das ist die größte Belohnung überhaupt. Ich weiß dass das, was ich versuche rüber zu bringen eher subtil ist, aber ich sehe es bei den Shows und treffe immer wieder Leute, die es genau richtig reflektieren. Das ist so cool! Ein ganz besonderes Gefühl.

Sarah Neufeld Live

Mit Arcade Fire:
07.07.2016 Bilbao BBK Live Festival, Bilbao, Spanien
09.07.2016 NOS Alive Festival, Lissabon, Portugal

Solo:
27.07.2016 A L’Arme! Festival, Berghain Berlin

Interview: Gabi Rudolph

www.sarahneufeldmusic.com