Interview mit Patrick Wolf

Am 17. Oktober, einen Tag vor seinem Konzert in der Berliner Passionskirche, ist Patrick Wolf bereits in Berlin. Er möchte sich die Zeit nehmen, um für sein zwei Tage später erscheinendes Doppelalbum „Sundark and Riverlight“ die Werbetrommel zu rühren. Auf dem Werk, welches er in den Real World Studios von Peter Gabriel aufnahm, blickt der 29-jährige auf sein zehnjähriges Bestehen als Künstler zurück. Er schaut sich um, in dem er alte Stücke in einem neuen Arrangement präsentiert. Nun möchte er zelebrieren, Korken knallen lassen, aber gewiss nicht den Ruhestand antreten.

Es ist 18 Uhr an diesem Mittwochabend und zappenduster in dem kleinen Kreuzberger Hotelzimmer. Allein eine Kerze dient als Raumaufheller. Patrick Wolf gießt sich Prosecco ein, schiebt sich die wirren Haare aus der Stirn und setzt sich an das Licht. Dann beginnt er lächelnd in der Vergangenheit zu schwelgen, die für ihn so viele Lernprozesse und Veränderungen eingeleitet hat, dass er sich nun bereit fühlt für eine neue Phase. In dieser soll es weniger um die eigene Person als auch um seine Mitmenschen gehen. Aber zunächst wird er noch diese eine reduzierte Show am Folgetag in Berlin spielen. Rund 20 Songs, an Harfe, Klavier und Zitter gibt er zum Besten und bleibt dabei überraschend unprätentiös. „The City“ oder auch „The Magic Position“ stellen sich live gar als Komplettüberholungen dar. Doch trotz dieser recht gediegenen Art des Feierns und all der durchdringenden Wandlungen, kann sich ein jeder sicher sein: aus dem charismatischen Wolf wird wohl nie eine graue Maus werden.

Was sollte der Zuhörer über „Sundark and Riverlight“ wissen?

Dass das Album eine Möglichkeit ist, mich selbst als Musiker und Autor zu analysieren. Ich habe mich sehr weiterentwickelt, auch in meinem Privatleben. Eigentlich arbeite ich sonst nicht direkt an mir. Ich speie ein Album aus und kann dann sagen, dass ich mich so und so zu einer bestimmten Zeit gefühlt habe. Es funktioniert ähnlich wie eine Therapie. Mein Blick habe ich nun auf die Vergangenheit gerichtet und konnte schauen, wobei ich mir nicht mehr sicher bin oder welcher Klang mir nicht mehr gefällt. Somit habe ich dieses Mal viel nachgedacht und meine Hausaufgaben in Bezug auf mich als Songschreiber gemacht. Das Album ist eine Rettung des Fragwürdigen. Im Moment schließe ich ein Kapitel von zehn Jahren als Autor ab, um ein neues zu beginnen. Ich fühle mich deshalb sehr verletzlich. Auch meine Konzerte sind sehr verletzlich und intim. Denn all die Jahre konnte ich mich hinter starken Geschichten und Visualisierungen verstecken. Aber jetzt gibt es kein Versteck. Es ist eine ganz neue Erfahrung für mich, weil es nur das Auseinandersetzen mit den zehn Jahren Musik gibt.

Hast du das Gefühl, dass deine Musik Grenzen hat?

Ich bin die einzige Person, die mir Grenzen setzt. Wenn ich zu faul bin oder mich nicht genug als Songschreiber fordere. Aber dadurch, dass ich mir keine Gedanken mehr um Geld oder Ruhm mache, steht mir die ganze Welt offen. Alles, was ich tun möchte, kann ich tun. Es ist eine der erlösendsten Erfahrungen, die ich je machen durfte. Diese Reise durch die letzten zehn Jahre hat mich an einen Punkt gebracht, an dem es mir wirklich egal ist, was irgendwelche Leute oder auch mein Publikum von mir denken. Und genau aus dem Grund habe ich mein Publikum. Sie kommen zu meinen Shows, kaufen mein Album und mögen mich, weil ich diese Haltung habe.

Wer ist dein Publikum?

Ich bin immer wieder von der Mannigfaltigkeit meines Publikums überrascht. Oft stehe ich auf der Bühne und wundere mich darüber, wie die Leute dazu gekommen sind ausgerechnet meine Musik zu hören. Das finde ich sehr spannend. Zum Beispiel kommt in Amerika immer ein sehr netter Polizist zu den Shows. Aber im nächsten Moment denke ich mir dann, dass es sehr dumm von mir ist, zu glauben, dass eine Person aufgrund eines bestimmten Alters oder Jobs nicht von Werwölfen träumen kann. Diese Diversität auf den Konzerten ist für mich ein Lernprozess. Denn egal wer die Leute sind: durch ihre Emotionen sie sind miteinander verbunden.

Wieso das Vorurteil gegenüber dem Polizisten? 

Ich wurde in dem Glauben aufgezogen, dass Außenseiter das Gegenteil von Polizisten sind. Ich habe definitiv ein großes Problem mit Autoritäten. Weil ich zum Beispiel in der Schule schikaniert wurde. Polizisten sind typische Autoritätspersonen. Aber nun habe ich gelernt, dass auch ein Mensch hinter all dem stecken kann. Auf meinen Konzerten gibt es so viele unterschiedliche Menschen. Das ist genau das, was ich wollte. Wenn man einen Blick auf meine ersten Interviews wirft, habe ich auf die Frage, was ich mit meiner Musik erreichen möchte, geantwortet, dass jeder zu meinen Shows kommen soll. Es ist keine Cliquen-Sache. Ich habe es wahr werden lassen. Und dadurch, dass alle meine Träume in Erfüllung gegangen sind, fühle ich mich nie so als würde ich arbeiten.

Ist vollkommenes Glück Gift für Freundschaften? 

Ich habe die besten Freunde der Welt. Wir unterstützen einander in allem was wir tun. Einige kenne ich seit ich 12 oder 13 Jahre alt war. In der Liebe und der Freundschaft geht es nicht um Geld. Wenn du eine Person kennst, die neidisch auf dich ist, dann ist sie nicht dein Freund. Darin liegt nicht der Sinn. Eine Freundin von mir hat in der Lotterie viele Millionen Pfund gewonnen und ihre engen Freunde waren nicht neidisch. Es gab auch Leute, die nicht mehr mit ihr gesprochen haben. Aber wir freuten uns einfach nur sehr für sie. Man möchte doch auch Menschen an seiner Seite haben, die stolz auf einen sind. Ich bin stolz auf meinen Freund, der nun ein Kind hat und denke nicht grimmig, dass ich auch eines möchte.

Entschuldigst du dich oft?

Ich habe mich in der Vergangenheit für zu viele Sachen entschuldigt. Mit dem Älter werden habe ich gelernt, dass es keinen Grund dafür gibt. Es zeigt mehr Charakterstärke, wenn man die Dinge in seinem Leben ohne Entschuldigungen tut. Es ist natürlich eine andere Sache, wenn man jemanden weh tut. Nur werden wir Menschen fortwährend dazu forciert uns für unsere Handlungen zu entschuldigen. Und ich glaube nicht daran. So wie ich auch nicht an Scham oder Schuld glaube.

Woran glaubst du? 

Ich glaube daran, dass Menschen zu dem stehen, was sie sagen. Egal, ob es andere Menschen angreifen könnte. Durch soziale Netzwerke wie Facebook werden wir dazu gebracht, ständig auf unsere Wortwahl zu achten um nicht andere Menschen anzugreifen. Aber ich finde, dass es wichtig ist Leute vor den Kopf zu stoßen und sie so herauszufordern. Damit dieses veraltete, ständige Entschuldigen nicht der Redefreiheit im Weg steht. Schließlich muss man sich vorher überlegen was man sagen möchte, den eigenen Worten vertrauen und sich nicht im Nachhinein dafür entschuldigen. In zehn Jahren voller Interviews habe ich die Macht von Worten kennenlernen müssen. Man merkt dann, dass schon ein Satz genügt, um die Wahrnehmung der anderen von einem selbst zu verändern.

Fühlst du dich älter als andere Menschen in deinem Alter?

Manchmal fühle ich mich wie der Weihnachtsmann. Dieses Gefühl gefällt mir aber nicht so gut. Ich weiß, eine Menge Leute hören sich meine Musik an, projizieren alles Mögliche in mich hinein und denken, dass ich die Antwort auf alle Fragen habe. Doch die habe ich nicht. Ich stecke mein bisschen Weisheit in meine Musik. Mir werden so viele große Fragen in Interviews gestellt. Dabei bin ich ziemlich dumm. Mitunter mag ich Interviews lieber, in denen es um meine Lieblingsfarbe oder mein Lieblingsessen geht. Da muss ich nicht erklären wie man den Weltfrieden herstellen kann.

Magst du lieber Schoko- oder Vanilleeis?

Vanille!

Wodurch bist du zum Erwachsenen geworden?

Durch den Auszug von zu Hause mit 16 Jahren. Da musste ich mit einem Mal viel Verantwortung übernehmen. Weit weg von den Eltern und jeglicher Erziehung hatte ich plötzlich mein Leben und mein Schicksal selbst in der Hand. Ich war auch noch sehr jung als ich meine ersten Konzerte gab. Und da habe ich dann eine großartige Gruppe aus Musikern, Performern, Drag-Queens und Cabaret-Stars kennengelernt, die wie eine Familie für mich waren.

Wie kann man sich deine Kindheit vorstellen?

Ich war extrem nervig und extrovertiert. Einmal habe ich die Party meiner Schwester ruiniert, indem ich nackt umhergerannt bin. Ich habe immer die Aufmerksamkeit gesucht und war gleichzeitig ein echter Träumer. Ich wollte Erfinder werden, weshalb ich viele kleine Modellstädte aus Pappkarton gebastelt habe. Aber dann habe ich durch die Violine zur Musik gefunden.

Denkst du manchmal darüber nach mit der Musik aufzuhören?

Ich werde niemals aufhören Alben zu machen. Nur manchmal ist die Musikindustrie sehr hart. Zwar hat man jetzt die digitalen Möglichkeiten, welche einem die Freiheit geben, sich gar nicht mehr mit dem ganzen Zirkus abgeben zu müssen. Früher, als ich jünger war und noch nicht so viel Erfahrung hatte, war das schwieriger. Da gab es Momente, in denen ich mich aus der Musikindustrie zurückziehen wollte. Denn ich wusste nichts von Therapiemöglichkeiten oder das ich mich um mich selbst kümmern müsste. Ich war einfach nur besessen davon meine Musik zu veröffentlichen und zu touren. Dabei wusste ich gar nicht mit Kritik umzugehen. Selbst Kritik von fremden Menschen hat mich beeinträchtigt. Deshalb war ich nah dran keine Interviews mehr zu geben und nicht auf Tournee zu gehen. Aber ich liebe nunmal das Touren und jetzt habe ich auch einen Weg gefunden, es genussvoll und zu dem Abenteuer zu machen, das ich mir früher immer vorgestellt habe. Vorher habe ich nicht realisiert, dass ich die Macht habe die Leute auszuwählen, die mit auf Tour kommen und es sich richtig anfühlen lassen.

Zweifelst du weniger an dir?

Manchmal muss ich hinterfragen was ich gerade tue. Ich muss mich selbst kritisieren können, da ich keinen anderen Produzenten in die Arbeit an einem Album mit einbeziehe. Das ist ein mühsamer Prozess. Bei diesem Album hat es zwar nur zwei Monate gedauert, aber es waren ziemlich lange zwei Monate, voller Verurteilungen. Aber am Ende ist dieses Editieren sehr wichtig.

Womit beschäftigst du dich zurzeit? 

Beim Touren hat man viel Zeit zum Lesen. Also habe ich begonnen die Keith Richards Biografie und ein Buch über Laurel Canyon zu lesen. Ich wohne derzeitig in Laurel Canyon und in dem Buch bekommt man einen Einblick in die Musikgeschichte der 60er und 70er. Es ist großartig. Ich versuche auf Tour eher nicht fiktionale Bücher mitzunehmen, da ich es schwer finde mich unterwegs in Fiktion zu verlieren. Als ich Urlaub in Griechenland gemacht habe, habe ich zum Beispiel nur Mythologie-Bücher gelesen, weil ich es so inspirierend fand.

Hast du noch Songs in der Hinterhand, die es nicht auf „Sundark and Riverlight“ geschafft haben?

Ja. Für das Album wurden einige wundervolle Arrangements aufgenommen, zu denen ich leider absolut nicht singen konnte. Aber man muss ja sowieso immer viel herausschneiden, damit man zu einem prägnanten Ergebnis kommt.

Kam es für dich nicht in Frage Gesangsunterricht zu nehmen?

Nein, ich finde so etwas nicht gut. Ich wärme mich auch nicht auf. Am liebsten mag ich es wenn Musiker fast genauso singen wie sie sprechen. Wie zum Beispiel Patti Smith. Sie wärmt sich auch nicht auf oder nimmt Gesangsunterricht. Aber wenn sie redet, klingt es wie Gesang und das liebe ich.

Hast du „Just Kids“ von Patti Smith gelesen?

Noch nicht. Sie hat mir ein kleines Buch gegeben, ein wundervolles Memoire über ihre Kindheit und Jugend. Ich fühlte mich von der Art und Weise wie sie schreibt sehr inspiriert. Patti ist in den letzten drei Jahren eine sehr große Inspirationsquelle für mich gewesen. Gerade in Bezug auf die Frage womit ich nach diesen zehn Jahren weitermachen möchte, worin ich meine Energie investiere und trotzdem sicherstelle, dass ich mit dem Herzen dabei bin.

Ist Wiederholung eine schlechte Sache?

Für einen Songschreiber ist Wiederholung ungesund. Um Songschreiber wie Joni Mitchell, Bob Dylan und Leonard Cohen, zu denen ich aufschaue, existiert ein Mythos, weil sie sich auf einer konstanten Reise befinden. Man kann tatsächlich sehen wie sie sich durch unterschiedliche Länder und Affären bewegen und erkennt in ihrer Musik ihre andersartige Sichtweise auf die Welt. Das ist mir wichtig. Stagnation ist das Schlimmste, was einem abenteuerlustigen Autor passieren kann.

Worüber würdest du in Zukunft mehr singen wollen?

Ich würde gern weniger egoistisch sein. Der Rückblick hat mir gezeigt, wie besessen ich von meinen Gefühlen zur Welt war. Ich habe dabei zu oft außer Acht gelassen, was in der Welt geschieht oder was andere Menschen fühlen. Es wäre schön, wenn ich dem nun entwachsen wäre.

Denkst du schon über deine nächste äußerliche Veränderung nach?

Nein. Ich verändere mich, wenn ich mich nicht mehr im Spiegel erkenne, aber das Gefühl habe es wieder tun zu müssen. Es ähnelt dem Gefühl nach dem Beenden einer Tour oder eines Albums. Man merkt, dass alles veraltet und nichts mehr mit dem aktuellen Zustand zu tun hat und es Zeit für etwas komplett Anderes ist. Ich habe eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne.

Was ist dein nächstes großes Ziel? 

Ich würde gerne mal auf die Osterinseln. Das ist so ein Lebenstraum von mir. Aber irgendwie fühlt er sich unerreichbar an.

Interview: Hella Wittenberg
Fotos (c) Saga Sig