Little Dragon sind vielen erst ein Begriff, seitdem sie an dem Album „Plastic Beach“ der Gorillaz mitwirkten und diese gemeinsam mit De La Soul, Neneh Cherry und Bobby Womack auf Tour begleiteten. Dabei veröffentlicht die Band aus Göteborg mit „Ritual Union“ bereits ihr drittes Album und beweist darauf erneut auf eindrucksvolle Weise, dass Electro-Pop so viel mehr sein kann als seelenlose Tanz-Bums-Maschinerie. Der Name Little Dragon geht übrigens zurück auf einen Spitznamen, den Sängerin Yukimi Nagano zu Anfangszeiten der Band von ihren Kollegen Erik Bodin, Fredrik Wallin und Håkan Wirenstrand verpasst bekam, da sie immer schnell wütend wurde, wenn bei den Aufnahmen etwas nicht so klappte, wie sie es sich vorstellte. Beim Interview in Berlin zeigten sich Yukimi, Erik und Fredrik jedoch fröhlich und gelassen, trotz brütender Hitze im winzigen Hinterzimmer des Frannz Club. Sie vermittelten den Eindruck eines eingespielten Teams, das seine Arbeit liebt und gerne darüber spricht. Es wird Zeit, dass die Welt sich in Little Dragon verliebt!
So mancher hat euch erst letztes Jahr durch eure Zusammenarbeit mit den Gorillaz und die gemeinsame Tour entdeckt. Hat sich seitdem viel für euch verändert?
Erik: Gar nicht so viel. In unserem realen Leben hat sich seitdem nicht viel verändert.
Yukimi: Ich denke, es war ein großer Anschub. Viele Leute kommen nach den Shows zu uns und erzählen, dass sie uns durch die Gorillaz entdeckt haben. In dieser Hinsicht hatte es einen starken Effekt auf uns. Wir sind bekannter geworden.
Fredrik: Ich würde auch sagen, dass wir wahnsinnig tolle Begegnungen auf dieser Tour hatten, De La Soul zum Beispiel. Bobby Womack! Er ist seit den 50er Jahren dabei. Wenn man mit ihm zusammen ist redet man über Musik, nicht über das Musikgeschäft. Dann natürlich Damon Albarn. Diese Leute sind alle Legenden und sie machen ihr Ding. Das war etwas Besonderes.
Yukimi: Ja, die Begegnung mit Bobby Womack hat uns definitiv verändert. Fred und ich waren im gleichen Bus mit ihm. Viele Musiker sagen ja, dass es nicht um das Musikgeschäft, sondern um die Musik und die Leidenschaft dafür geht. Aber ihn das sagen zu hören, ihn, der schon in den 70ern da war und alles erlebt hat, das eine Musiklegende oder ein Künstler erlebt haben sollte – er war der letzte, der Janis Joplin getroffen hat, bevor sie gestorben ist, er war auf Tour mit den Stones… und jetzt ist er in einem Alter, in dem er es liebt, Geschichten zu erzählen, darüber zu reden. Das war wie eine persönliche „Behind The Scenes“-Führung durch die Musikgeschichte. Danach denkst du nicht mehr: „Wie werde ich mich fühlen, wenn ich 70 bin? Wo werde ich sein? Was für Musik werde ich machen?“ Jemanden zu sehen, der an diesem Punkt ist und dabei so leidenschaftlich, das ist so eine bereichernde Erfahrung. Ja ich glaube, wir haben uns nach der Tour ein kleines bisschen neu gefühlt.
Wann habt ihr euer Album „Ritual Union“ aufgenommen, wo ihr letztes Jahr doch so viel unterwegs wart?
Erik: Immer wieder, kontinuierlich. So machen wir es immer. Sobald wir zuhause sind gehen wir ins Studio und nehmen auf. Und wenn es dann Zeit ist für ein neues Album sammeln wir die Einzelteile zusammen. Wir hatten keinen Stress dabei. Höchstens am Ende, als es ans Mischen ging, da wir das selber machen und wollen, dass alles richtig wird.
Yukimi: Die meisten Songs waren schon vor der Gorillaz Tour fertig.
Und es ist schon euer drittes Album.
Erik: (strahlt) Ja. Wir wollen noch 300 Alben machen! Das erste Album ist eine ziemlich nervenraufreibende Angelegenheit. Man präsentiert sich zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Das zweite Album…
Yukimi: …da denkt man: „Jetzt müssen wir alles nachholen, was wir beim ersten Album nicht geschafft haben zu sagen“. Das dritte Album ist dann einfach ein drittes Album, denn wir wissen ja, dass wir auch noch ein viertes machen werden. Man ist also entspannter.
Wirklich? Viele Künstler empfinden das dritte Album als besonders aufregend, weil es untermauern soll, dass man bereit ist länger im Geschäft zu bleiben. Ihr wart alsoeinfach nur entspannt?
Yukimi: Ich persönlich ja. Ich liebe die Songs, ich liebe es sie live zu spielen. Hauptsächlich bin ich sehr neugierig, was die Leute sagen werden. Wenn jemand zu mir sagen würde, dass er es gar nicht mag wäre ich wahrscheinlich ein wenig verwirrt, aber so ist es nun mal.
Erik: Ja, zumindest können wir damit jetzt besser umgehen als beim ersten Album (lacht). Außerdem sind unsere Gedanken auf eine Art schon wieder beim vierten Album. Wir machen immer noch Musik, und „Ritual Union“ ist für uns schon wieder ein halbes Jahr her.
Fredrik: Aber wenn wir die Songs jetzt live spielen, lernen wir sie noch einmal auf eine andere Art kennen. Man entdeckt andere Aspekte und neue Dinge passieren, wenn man sie live spielt.
Live ist eure Musik eine sehr kunstvolle Mischung aus elektronischen und analogen Elementen. Arbeitet ihr im Studio genauso?
Fredrik: Wir spielen eigentlich alles live im Studio ein.
Erik: An einem Synthesizer gibt es so viele Möglichkeiten ihn zu bedienen. Manchmal ist man ganz erstaunt und denkt: „Huch, was ist denn da jetzt passiert?“ Das ist spannend. Aber am Ende des Tages will man doch einfach ein Instrument spielen.
Yukimi: Also wir mischen definitiv den elektronischen Sound mit Percussions, Live-Drum, um den…
Erik: …organischen…
Yukimi: …Mix aus akustischen und elektronischen Elementen zu bekommen.
Erik: Zu viel elektronischer Sound kann unpersönlich werden. Denke ich. Manchmal.
Yukimi: Es ist immer schön, etwas Menschliches dabei zu haben. Wenn man einen perfekten Beat hat, der exakt im Rhythmus ist, dann will man handgemachte Percussions darüber legen, damit es sich organischer anfühlt. Der Teil, der nicht perfekt ist, macht es am Ende lebendig.
Erik: Das ist aber nichts, worüber wir nachdenken, wir tun es einfach. Ich finde es seltsam, ein Tamburin zu programmieren, da nehme ich es lieber in die Hand und mache es selber. Das passiert einfach so. Retrospektiv fühlt es sich dann so an, als hätte man eine Philosophie im Kopf, der man gerecht werden wollte. Diese eigene Philosophie entdeckt man aber manchmal erst hinterher.
Yukimi: Unsere Arbeit im Studio ist sehr instinktiv, sehr direkt. Es geht um Gefühle. Etwas soll passieren, du probierst etwas aus. Du sagst nie: „Ich denke, es wäre ein interessantes Konzept wenn ich jetzt…“ (Gelächter) Du fühlst es einfach. Das ist Melodie, das ist Rhythmus. Du kannst nicht erklären, warum du es fühlst, du denkst nicht darüber nach. Das machen wir im Studio. Hinterher, wenn du fertig bist, denkst du : „Was war mein Plan? Ich weiß es nicht. Es gab keinen Plan!“
Erik: Manchmal, wenn man das Gefühl hat, dass es zu intellektuell wird, dass man seinen Kopf zu viel benutzt hat, muss man die Lautstärke aufdrehen und eine Runde dazu tanzen. Dann denkt man: „Ja, es ist okay, das können wir so stehen lassen.“ Manchmal lassen wir einen Song lange liegen.
Yukimi: Manche vergessen wir auch. Wir nehmen etwas auf und irgendwann denken wir: „Oh, das habe ich seit Monaten nicht mehr gehört, das ist ja richtig gut!“ Andere vergessen wir einfach und machen sie nie wieder auf. Aber das hat dann seine Gründe. (Gelächter)
Es ist toll euch zuzuhören, wie ihr das beschreibt, denn genau so hört eure Musik sich an. Sehr organisch, wie ihr sagt. Vor allem geht sie darüber hinaus, was man unter elektronischer Tanzmusik versteht. Sie hat eine emotionale Tiefe, was, wie ich finde, im elektronischen Bereich nicht so leicht zu erreichen ist.
Erik: Oh. Wow. Dankeschön! Wir möchten etwas machen, das etwas bedeutet.
Yukimi: Wir hoffen, dass wenn es uns etwas bedeutet, es auch anderen etwas bedeutet.
Erik: Es macht uns sehr stolz, jemanden so etwas sagen zu hören. Das beweist uns, dass es nicht nur ein oberflächliches Standard-Ding ist.
Auch das Cover von „Ritual Union“ hat etwas sehr persönliches. Man sieht es und möchte wissen wer diese Menschen sind.
Yukimi: Es sind unsere Eltern!
Erik: Ja, unsere Wurzeln.
Yukimi: Unsere Geschichte.
Erik: Wir haben nach etwas gesucht, wir wussten nicht, wie das nächste Cover aussehen sollte. Irgendwie wollten wir von der illustrierten, animierten Form weg, aber wir waren zu schüchtern, unsere eigenen Gesichter aufs Cover zu tun.
Yukimi: Diese Hochzeitsfotos haben etwas Seltsames. Sie fangen etwas in den Gesichtern der Menschen ein, Hoffnung, einige der älteren Bilder haben sogar etwas Trauriges an sich. Meine japanischen Verwandten wirken sehr ernst, wenn du verstehst, was ich meine. Die Fotos sind gleichzeitig lustig und auch seltsam, obendrein haben wir eine persönliche Beziehung zu ihnen.
Das Cover eures ersten Albums ist auch sehr speziell. Und gleichzeitig persönlich, ich habe gehört, dass dein Vater, Yukimi, es gestaltet hat.
Yukimi: Ja. In echt ist es ein riesengroßes Bild. Ich bin mit diesem Bild aufgewachsen, er hat es in den Siebzigern gemalt. Wir haben untereinander beschlossen, dass es das perfekte Cover für unser erstes Album wäre. Als wir das meinem Vater unterbreitet haben meinte er: „Bitte nicht. Ich hasse dieses Bild. Ich bin durch damit. Mein Stil ist heute ganz anders, ich habe keine Beziehung mehr dazu. Ich war so jung als ich es gemacht habe. Ich mache euch ein neues!“ Wir meinten: „Nein, wir wollen das!“ Aber er war total dagegen. Schließlich hat Erik ihn angerufen und ihn bezirzt. Am Ende hat er ja gesagt und jetzt liebt er es! Die Leute sagen ständig, wie toll sie es finden und inzwischen sagt er: „Hm, eigentlich ist es nicht so schlecht!“ (Gelächter)
Da wir über persönliche Dinge sprechen – ihr drei kennt euch schon sehr lange, ihr seid bereits gemeinsam zur Schule gegangen. Kommt euch das immer zugute oder ist es manchmal auch schwierig?
Yukimi: Es ist nicht immer einfach. Meistens ist es das, ich würde sagen, es nützt uns öfter als nicht. Ich bin lieber in einer Band, in der ich die Menschen gut kenne. Man muss nicht unbedingt miteinander zur Schule gegangen sein. Ich bin ja heute auch ein anderer Mensch als damals in der Schule – Gott sei Dank! Aber wir kennen auch unsere schlechten Seiten, und das denke ich, ist gut. Du kannst dich nicht verstecken. Wenn du gemeinsam in einer Band bist musst Du lernen, nicht egoistisch zu sein. Das war ein Wachstumsprozess – zumindest für mich (lacht)!
Erik: Es ist wunderbar. Wir waren alle in anderen Bands, bevor es Little Dragon gab. Jetzt hier in Berlin zu sitzen, mit diesen Menschen, das ist ein Geschenk für mich. Anstatt irgendwo als Session Musiker zu arbeiten, weil jemand ein gutes Wort für dich eingelegt hat. Das hier ist unser Baby.
Yukimi: Wir mussten dafür keine Kompromisse machen.
Erik: Nein, ich bin hier aufgrund dessen, was wir gemeinsam erreicht haben. Das ist sehr ermutigend.
Yukimi: Als Band erlebst Du alles gemeinsam, das macht die Gefühle stärker. Schmerz – wir fühlen ihn gemeinsam. Ein sehr glücklicher Moment – wir fühlen ihn gemeinsam. Das muss doch stärker sein als wenn du als Solokünstler mit deinen Awards da stehst, ganz allein. Wenn wir eine tolle Show hatten, dann hatten wir sie gemeinsam.
Erik: Irgendwie sind wir ein wenig wie Magneten. Wir müssen zusammen sein. Wir haben uns das nicht ausgesucht. (lautes Gelächter) Ich spiele Schlagzeug, er spielt Bass. Ein wenig wie eine Ehe. Warum sollte ich irgendwo anders hin?
Fredrik: Die Kommunikation läuft zum Teil komplett ohne Worte ab. Wenn wir gemeinsam auf der Bühne spielen passiert etwas, und wir können es gar nicht erklären. Und wenn jemand schlechte Laune hat spürt man es sofort.
Erik: Trotzdem kennen wir uns noch nicht vollständig.
Yukimi: Oh, ich denke, das tun wir. Tut mir leid. (Gelächter)
Nach all diesen Jahren nun, und drei Alben später – Yukimi, bist du immer noch „Little Dragon“?
Yukimi: Ähm… manchmal (lächelt). Nicht mehr so oft, aber manchmal.
Erik: Heute tragen wir die Last gemeinsam.
Yukimi: Es ist eher zu einer inneren Flamme geworden. Wenn man so viel zusammen ist, miteinander auf Tour ist, dann hat das auf die Dauer einen negativen Effekt, wenn man immer alles ungefiltert raus lässt. Und es ist anstrengend. Manchmal muss man vorher nachdenken – oh, vielleicht habe ich Hunger. Vielleicht bin ich müde. Vielleicht hat er einen Kater, oder sie hat ihre Tage. Verstehst du was ich meine? Es könnte alles Mögliche sein, man muss einfach ein bisschen vorsichtig sein.
Erik: Wir haben gelernt, dieses Feuer in uns in unserer Performance raus zu lassen. Ich glaube, manchmal wird man wütend weil man das Gefühl hat, auf der Bühne nicht genug erreicht zu haben. Der Little Dragon ist also immer noch da, aber es geht ihm nicht darum, Wut los zu werden, sondern darum, Feuer auf die Bühne zu bringen!
Was für ein wunderbares Schlusswort, dem ist wirklich nichts hinzuzufügen. Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Gabi Rudolph