Interview mit KASABIAN

Es sind noch ein paar Stunden bis zu der Show von KASABIAN in der Columbiahalle in Berlin und auf der Bühne feilen die Jungs aus Leicester (bzw. Les-Tah) beim Soundcheck noch an zwei Songs, die nie zuvor live gespielt wurden, wie Sergio Pizzorno, Gitarrist und Sänger der britischen Rockband mir danach im Interview im Dressingroom backstage der Columbiahalle berichtet. Konzentriert sitzt Pizzorno mit seiner Trademark-Britpop-Frisur neben mir auf einer schwarzen Ledercouch und wählt sorgfältig seine Worte, um mir mit Hingabe zu erzählen, was die Band ausmacht, nach den 10 Jahren, die seit dem ersten Album vergangen sind. Vier folgten und ob als gefeierte Headliner beim diesjährigen Glastonbury-Festival, beim Homecoming Gig in Leicester vor 60 000 Fans oder vor 3000 Leuten in der Columbiahalle in Berlin: egal welche Bühne, fest steht: Kasabian bringen sie mit ihrer Kombination aus Rock, HipHop und Elektro zum Beben. Sergio Pizzorno, zusammen mit seinem Partner in Crime, Tom Meighan, Drummer Ian Matthews, Bassist Chris Edwards und Gitarrist Tim Carter, sowie Gary Alesbrook an der Trompete, verbreitet live eine Energie, die nur Rock’n’Roll heraufbeschwören kann.

Draußen ist bereits eine Schlange vor der Venue und es sind noch Stunden bis zu eurer Show. Fans scheinen von überall her angereist zu sein. Selbst Freunde von mir sind extra aus Dänemark und Italien gekommen, um euch hier zu sehen. Ihr habt den Ruf eine unglaubliche Live-Band zu sein.

Wow! Ich glaube unsere Band wirkt live ehrlich und aufrichtig und das wissen die Leute zu schätzen. Wir meinen es ernst und das zeigt sich, wenn wir auf der Bühne stehen. Egal wo wir sind, egal auf welcher Bühne wir stehen, wir werden den Leuten immer alles geben, was wir haben. Unsere Alben sind verrückt, auf eine gute Art, aber ich sehe ein, dass es verwirrend sein könnte. Die Songs live zu erleben macht wahrscheinlich mehr Sinn. Man kann mit eigenen Augen sehen, was wann passiert und wer was spielt.

Aber was ist, wenn man das Album doch auch zu Hause hören will? Wo und unter welchen Bedingungen sollte das deiner Meinung nach passieren?

Im Auto! Ohne Frage. Für mich ist Autofahren mit Musikhören gleichzusetzen. Nur dann habe ich auch wirklich Zeit dafür und verliere mich darin, während die Landschaft an einem vorbeizieht. Unser aktuelles Album ist perfekt, um sich darin zu verlieren.

Erzähl mir von Glastonbury. Ihr habt Glastonbury’s Pyramid Stage gerockt. 100 000 Zuschauer! Dort zu stehen ist ein unerreichter Traum vieler Bands. Total egal, was danach kommt. Das ist, wo ihr jetzt gerade seid. Ganz oben! Und das ist verdammt nochmal etwas, worauf man unglaublich stolz sein kann. Und ich weiß, dass ihr sehr stolz darauf seid.

In der Vergangenheit hat man uns glaube ich eher falsch verstanden. Wir wurden als arrogant dargestellt. Das sind wir aber überhaupt nicht. Wir sind so voller Leidenschaft dabei und wollen immer alles geben. Was wäre der Sinn, in einer Band zu sein und nicht mit Herz und Seele drinzustecken? Wie könnte man sich so den Leuten präsentieren? Ich könnte mir nichts Schlimmeres vorstellen. Für mich ist es also kein Ego-Ding. Es geht mir nicht darum gefeiert zu werden. Es geht um die Musik und die Leidenschaft, die dahintersteckt.

Tom hat auch über Glastonbury gesagt: „Glastonbury, You’re a fucking empire!“ Ihr habt das Imperium erobert. Da steckt einiges dahinter, um für so einen schwierigen Auftritt so gute Kritik zu bekommen.

Beim Glastonbury Festival geht es um noch viel mehr als den Gig selber. Es geht nicht nur darum 100.000 Leute zu entertainen. Die ganze Welt scheint an diesem Auftritt interessiert zu sein und jeder hat eine Meinung darüber. Fernsehen, jedes Magazin, Internet… Du bist da, um beurteilt zu werden. Das ist einem sehr bewusst. Es muss schon verdammt gut laufen, damit man gute Kritik bekommt.

Und es ist tatsächlich gut gelaufen. Bei den Q Awards habt ihr gerade die Awards für „Best Live Act“ und „Best Act In The World“ bekommen.

Ja, und besonders schön war es von so vielen anderen Künstlern positives Feedback zu bekommen. Wir haben Johnny Marr getroffen, was für ein lieber Typ! Sein Kommentar zu Glastonbury: „You guys fucking killed it!“ Chris Martin hat uns tatsächlich eine Nachricht geschickt, wo drin stand: „You killed that! Well done.“ Ich habe sogar Lily Allen am Flughafen getroffen und ihr Kommentar zu dem Auftritt: „You were brilliant at Glastonbury!“ Das weiß ich wirklich sehr zu schätzen.

Heute Abend spielt ihr vor 3000 Leuten hier in der Columbiahalle. Ein bisschen anders… Aber ich bin überzeugt: „You’re going to kill it!“

Es ist die perfekte Größe. So muss man Rock’n’Roll sehen und erleben. Ich bin gespannt auf den Abend. Wir sind ein bisschen unsicher über das Bild, was man sich von uns in Deutschland macht. Unser Bekanntheitsgrad variiert sehr stark in den verschiedenen Ländern. Wir hatten keine Ahnung was die Leute hier von uns denken. Der Gig in Bremen gestern war unglaublich gut und wir freuen uns auf heute hier in Berlin.

Du und Tom, ihr habt eine sehr besondere Beziehung. Ihr seid seit 10 Jahren zusammen in dieser Band. So lange hält es heutzutage keine Ehe mehr aus. Was hält euch so zusammen?

Wir sind so verdammt unterschiedlich voneinander. Wir sind mit ganz unterschiedlichen Welten beschäftigt. Wir haben Respekt voreinander. Wir wurden zueinander geschickt, um füreinander zu sorgen. Ich würde sagen, das ist es. Wenn wir einander ähnlich wären, dann würden wir uns ständig streiten. Wenn ich so wäre wie Tom, das gäbe Streit ohne Ende. Wenn Tom so wäre wie ich, dann würden wir wahrscheinlich kein Wort miteinander wechseln. So wie wir sind, ergänzen wir uns sehr gut.

Auf eurem aktuellen Album „48:13“ ist dein Großvater in „Mortis“ zu hören. Er ist 93 Jahre alt und wird nun für immer auf euer Platte weiterleben. Kannst du mir sagen, was der Satz bedeutet, den er spricht?

Der Track sollte eigentlich ganz anders heißen. Die meisten Songs hatten zuerst viel längere Titel. Aber ich hatte diese Idee das ganze Album simpler zu gestalten und wollte so viele Schichten wie möglich wieder ablegen. Deswegen besteht letztendlich jeder Titel aus nur einem Wort. Zum Beispiel, sollte „Stevie“ eigentlich „Live To Fight“ heißen. Und dieses Interlude hieß eigentlich „In Mortis Ora Incerta Est“, was so viel bedeutet wie: Die Stunde des Todes ist ungewiss. Und genau das sagt mein Großvater da. Einen Monat vor Glastonbury ist er fast gestorben. Er ist gefallen und hat sich sein Genick gebrochen. Es sah sehr düster aus. Ich bin völlig durchgedreht, als ich davon gehört habe, dass er im Krankenhaus liegt, weil ich irgendwie dachte, dass dieser Song daran Schuld ist. Weil ich doch wollte, dass er diesen Satz sagt! Fuck! Aber dann, wie ein Wunder, ist alles gut ausgegangen und er ist zu Hause und es geht ihm gut. Beim Glastonbury Festival habe ich übrigens seinen Namen auf meinem T-Shirt getragen. Wilfred. Er ist ein linksradikaler Freiheitskämpfer. 93 jahre alt.

Ein anderer Song auf dem Album handelt von Tom: „Scissors Paper Stone“ (S.P.S.)

Stell dir das Ende eines Abends vor. Wir sind die letzten beiden die noch wach sind. Dieser besondere Moment, der dann geteilt wird. Wir hören gemeinsam Musik, Neil Young meistens. Es fühlt sich perfekt an. Deswegen wollte ich über genau diesen Moment einen Song schreiben.

Über den letzten Moment des Abends… Ihr habt über andere Bands gelästert, die nach einem Konzert langweilig in der Ecke sitzen und online shoppen oder ähnlich Banales machen.

Wie kann man denn diese gewaltige Energie, die sich auf der Bühne freisetzt, einfach so ablegen? Bei unseren Shows kann ich mir das einfach nicht vorstellen. Die Leute geben dir so viel, man kann diese Energie fast aus ihnen rauskommen sehen. Und das geht direkt hier hin. (Er drückt seine geschlossene Hand ans Herz.) Das muss man doch erstmal verarbeiten.

Wie macht ihr das am Besten?

Musik hören, bis die Sonne aufgeht. Die Stimmung weiter behalten. Manchmal geht das natürlich nicht, aus Respekt vor der nächsten Show am nächsten Tag. Aber so oft habe ich auf Festivals Bands in den Dressing Rooms gesehen, die da gelangweilt rumsaßen und ich dachte mir, verdammt, das kann doch nicht sein! So was will doch keiner sehen. Es geht auch gar nicht um diesen Rock’n’Roll Lifestyle, den alle erwarten. Ich hasse den Begriff „Rock’n’Roll“ bei so etwas. Es geht nicht um verdammtes JimBeam und Cola und literweise Jack Daniels trinken. Das ist doch eher erbärmlich. Das Erlebnis auf der Bühne ist wie ein Abenteuer für die Seele. Es geht um die Leidenschaft. Wieder kreativ zu werden. Zu tanzen. Sich bewegen.

Hast du besonders viel kreative Energie, wenn du mit der Band auf Tour bist?

Da sammelt es sich auf jeden Fall an. Ich versuche so oft wie möglich Filme zu schauen und Bücherläden und Museen zu besuchen, wenn ich unterwegs bin. Zu Hause habe ich eher selten Zeit dazu, denn da sind meine zwei Jungs der Mittelpunkt meines Lebens. Wenn ich hingegen auf Tour bin, kann ich all diese Dinge machen und Ideen sammeln, um dann nach der Rückkehr alles umzusetzen.

48:13 hast du zum ersten Mal komplett alleine produziert. Wie war die Erfahrung für dich? War es ein gutes Gefühl die Kontrolle zu haben?

Es fühlte sich fast wie immer an. Wir gehen ja nicht ins mit einer Akustikgitarre ins Studio und arbeiten dann an dem Song. Die Lieder sind schon von Anfang an sehr geformt und ich habe immer eine gewisse Richtung im Kopf, in die ich mich bewegen möchte. Ich wünschte ich hätte es schon früher gemacht. Es war höchste Zeit!

War es nicht aber auch schwierig, die Kontrolle zu haben und die Verantwortung komplett alleine zu tragen?

Ja, vor allem weil ich nie aufhöre mich selber zu analysieren. Aber ich mag Kontrolle. Ich erlaube mir erst schlafen zu gehen, wenn ich zufrieden mit meiner Arbeit bin. Wenn ich weiß, dass ich es aus allen möglichen Perspektiven betrachtet habe, alle Möglichkeiten erschöpft habe. Wenn ich denke, dass ich damit für immer leben könnte. Wenn ich denke: Besser geht’s einfach nicht.

Interview: Christina Heckmann

Foto © Markus Werner

www.kasabian.co.uk