Ein typischer Star ist Cody Chesnutt wahrlich nicht. Wie könnte man es sich sonst erklären, dass er sich nach seinem Nummer Eins Hit „The Seed 2.0“ zusammen mit den Roots fast zehn Jahre Zeit lässt, bis er mit einem neuen Album rausrückt? Wo jeder andere Künstler den Höhepunkt der Karriere nutzen würde, um schnell noch mehr Platten zu verkaufen, um sich den ersten Benz zu finanzieren, macht Cody erstmal eins: Pause. Die war dann aber bei seinem Konzert am 03.11. im Lido in Berlin definitiv vorbei. Als hätte er auch die letzten Jahre nichts anderes gemacht, holte er seine Soulstimme raus und begeisterte auch die letzten Leute, die vorher noch im Publikum gefragt hatten: „Wer ist das nochmal?“. Als Riesenstar hätte er auch schwer so viele seiner Songs im anstelle von vor, bzw über dem Publikum performen können, was ihm augenscheinlich so viel Spaß gemacht hat, dass man sich denkt: Alles richtig gemacht. Spaß sticht Geld und: Timing ist manchmal alles.
Warst Du eigentlich schon mal in Berlin?
Ja, ein oder zwei Mal, ich glaube, das war damals mit den Black Eyed Peas.
Was fällt Dir als Erstes zu dieser Stadt ein?
Die Geschichte der Stadt, alles passiert hier, Kunst und Kultur. Alle reden so viel darüber. Hier ist wirklich der Platz, wo alles stattfindet und man merkt, dass viel Inspiration in der Stadt steckt.
Allzuviel bist Du ja nicht gereist in den letzten Jahren. Es war ziemlich still um Dich. Warum hat es so lange gedauert, bis Du dieses Album gemacht hast? Es lag ja fast eine Dekade zwischen dem jetzigen und Deinem ersten Album „The Headphone Masterpiece“.
Ich hab einfach mein Leben gelebt, ich hab jetzt zwei Kinder. Ich wollte ein Vater sein, der da ist. Ich wollte die Zeit haben, meine Kinder wirklich kennenzulernen. Ich wollte auch einfach neue Erfahrungen machen, um weiterzukommen.
Aber gab es da keinen Druck nach „The Seed“ mit den Roots, was ja ein Nummer Eins Hit in den USA war?
Es geht. Ein paar Leute haben gesagt: „Hey, jetzt ist der richtige Moment, weiterzumachen. Du verpasst so viele Möglichkeiten!“ Aber ich konnte das nicht. Ich wollte einfach warten, bis die Inspiration kommt. Ich wusste auch nicht, wie lange es dauern würde. Ob es vier Jahre, fünf oder auch sieben dauert. Oder halt eben zehn Jahre wie jetzt. Es sollte wirklich von mir selbst kommen und ich wollte warten, bis das Timing stimmt. Und jetzt hat es einfach gepasst.
Wenn Dein Leben anders gelaufen wäre: Nehmen wir mal an, Du wärst nicht Vater geworden und hättest einfach weitergemacht wie vorher. Wie würde das Album jetzt klingen?
Das ist eine gute Frage. Wenn ich keine Kinder hätte, würde das Album eine andere Sprache haben. Es wäre nicht so klar. Meine Kinder haben mich inspiriert, sehr klar zu sein und sehr klar zu sprechen. Und das war jetzt sehr wichtig für den kreativen Prozess. Macht das einen Sinn?
Schon, aber glaubst Du, auch der Style wäre anders?
Vielleicht, nicht unbedingt, Ich wollte auf jeden Fall wachsen, aber meine Kinder haben das noch beschleunigt. Sie zwingen Dich ja förmlich dazu. Es wäre auf jeden Fall nicht das gleiche Album.
Das erste Album hast Du in Deinem Schlafzimmer, für dieses jetzt bist Du nach Memphis in die Royal Studios gefahren! Hast Du diesen Unterschied bei den Aufnahmen gemerkt?
Ja. Bei The Headphone Masterpiece war wirklich nur in meinem Schlafzimmer, ungefähr so groß wie das Hotelzimmer hier. Es gab ein Mikro in der Mitte und ein paar Instrumente an der Wand. Das war alles. Das war für mich wie das Schreiben eines Tagebuchs. Aber das Album jetzt, bei dem wollte ich mehr Musikalität. Ich wollte meine Liebe zur Musik noch mehr zeigen und ich wusste, ich würde dafür mehr Platz brauchen, ein größeres Studio.
Hast Du dort in Memphis auch ein spezielles Gefühl gehabt durch die musikalische Vergangenheit, die es dort ja gibt?
Wir wollten eigentlich dahin, weil sie die besten Tarife für analoge Aufnahmen haben. Wir haben über New York nachgedacht, über Atlanta, aber dann hatte Memphis den besten Preis. Dann haben wir den Vybe mitbekommen, der dort herrscht und wir wussten: Das ist es! Es war genauso wie zu der Zeit als Al Green dort war. Sogar das gleiche Recording-Equipment war da!
Waren Deine Kinder auch mit dabei? Nimmst Du sie manchmal mit?
Nein, noch nicht. Ich würde aber gerne, denn ich denke, es wäre toll für sie, die Musik in der nächsten Phase kennenzulernen. Sie bekommen immer nur mit, wie ich Demos mache und im Haus rumsinge. Es wäre toll für sie zu sehen, wie der Prozess sich weiterentwickelt und was ihr Vater eigentlich macht. Immer wenn ich auf Reisen gehe, treten auch Fragen auf. Letztens musste ich nach Paris und ich sagte meiner Tochter, dass ich weg muss. Und meine Tochter meinte, brutal ehrlich wie Kinder nun mal sind,: „Du musst aber bei Deiner Familie zu Hause bleiben“. Und ich sagte ihr: „Ja, aber ich muss auch Geld verdienen und meine Musik den Menschen zeigen.“
Bringst Du ihnen auch bei, wie man Instrumente spielt?
Ja, mein Sohn spielt Gitarre, er kann jetzt ungefähr zwei Akkorde (lacht). Er summt immer Melodien und er liebt es zu performen. Und wenn wir zusammen spielen, macht meine Tochter mit. Und so sitzen wir manchmal zu Hause und machen Musik. Ich zwinge sie nicht dazu, aber Musik ist ein wichtiger Teil in ihrem Leben.
Du kannst ja Klavier spielen – wann hört man Dich wieder öfter am Klavier?
Ich schreibe noch auf dem Klavier. Ich bin schneller und leichter auf der Gitarre, aber ich habe früher schon immer meine Musik mit dem Klavier geschrieben. Das Schlagzeug war mein erstes Instrument, aber später kann ich dann zu Klavier. Ich hatte dieses tolle alte Piano von meiner Oma. Ich saß da und hab geübt, ich war so fasziniert vom Sound. Kennst Du „Easy“ von den Commodores? Das war der erste Song, den ich auf dem Klavier spielte.
Aber nach der großen Pause, die Du jetzt hattest: Wie ist es on stage zu gehen und plötzlich wieder zu performen? Bist du dann sehr nervös?
Nein, ich finde es eher interessant und freue mich darauf, wenn ich mich mit den Leuten verbinden kann. Diese Musik ist schon so lange in meinem Leben und ich finde es einfach spannend zu sehen, wie sie andere Leute bewegt. So entstand auch der Moment, in dem ich entschieden habe, wann ich das Album veröffentliche. Viele Leute kamen 2010 nach einer kleinen Show zu mir und fragten: „Hey, wo kann ich das Album kaufen?“ Das war der Zeitpunkt, an dem ich dachte, „ok, jetzt muss ich produzieren!“ Ich wollte das alles für Leute spielen, sehen wie stark die Songs für sich selbst sind. Alles war brandneu. Ich wollte den Songs vertrauen, ihrer Stärke. Und ich wollte einfach mal sehen, wie überhaupt das Material ist und was die Leute darüber sagen.
Welches war denn das erste Lied vom neuen Album?
Das Erste war entweder „Till I Met Thee“ oder „What Kind Of Cool“…
Und welches ist Dein persönliches Lieblingslied von „Landing on a Hundred“?
„Love Is More Than A Wedding Day“ ist mein Lieblingslied.
Warum?
Meine Frau und ich haben unseren 18. Hochzeitstag gefeiert. Der Song bedeutet mir einfach so viel, weil wie so hart gearbeitet haben, um verheiratet zu bleiben. Eine Zeitlang hat nichts funktioniert und ich fühlte mich so belastet in der Ehe. Es funktionierte einfach nicht. Aber diese Zeit zeigte mir, dass Du auch bei Problemen zeigen musst, dass Du wirklich genau da sein möchtest, wo Du bist. So nahm ich also meine Gitarre, spielte das Lied für sie und es brachte uns wieder zusammen. Es hat alles geheilt. Ich wollte allen zeigen, dass Liebe nicht nur eine Zeremonie oder ein tolles Kleid ist. Nein, es ist alles davor und danach.
Kannst Du das vergleichen, Deine große Liebe Musik und Deine andere große Liebe, Deine Ehefrau?
Das ist eigentlich das Gleiche. Denn als Songschreiber hat man eine Beziehung mit der Inspiration. Manchmal verpasst man sich, manchmal harmoniert man. Aber zur gleichen Zeit ist der Wunsch da, sich auf halbem Weg zu treffen. Inspiration macht, was sie macht und Du als Künstler machst auch, was du tun musst. Das Gleiche passiert in einer Ehe. Jeder muss wissen, was ihm wichtig ist und man arbeitet zusammen um die Verbindung zu erhalten.
Wenn Du in die Zukunft schaust, gibt es irgendwelche Pläne, auch noch mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten? Oder willst Du lieber nur Deine eigene Musik machen?
Nein, ich bin offen dafür. Kennt Ihr Patrice? Er wollte, dass ich einen Song auf seinem Album feature und ich war sofort dabei. Wenn ich einen Song richtig fühle, bin ich offen dafür, aber er muss wirklich zu mir sprechen und zu mir passen. Was ich aber wirklich gerne machen würde: einen Song mit Lauryn Hill. Wir haben einfach sehr viel gemeinsam.
Ich hätte gerne noch einen Tipp für unsere Leser – was ist denn auf Deinem neuen Album der beste Song zum Chillen?
„What Kind Of Cool”, auf jeden Fall. Das hat den Vybe, ist sehr laid back, offen und ist für’s Relaxen wie geschaffen. Nicht nur, wenn man zu Hause ist, auch wenn man mit dem Auto herumfährt, zum Beispiel.
Und welchen Song würdest Du mir für meine nächste Party empfehlen?
„I’ve Been Life“, denke ich. Es ist sehr partymäßig, der Rhythmus und Groove ist immer voll da. Ich denke, das wäre der passende Song für eine Party.
Und jetzt nehmen wir mal an, mit der Musik hätte alles nicht geklappt, es hätte niemandem gefallen und Du müsstest irgendwas anderes machen. Was wäre Dein Plan B?
Ich hab schon immer gesagt, da war nie ein Plan B. Niemals. Aber wenn ich jetzt wirklich einen haben müsste und etwas anderes machen müsste, dann würde ich eins machen: fotografieren.
Interview: Nora Henze
Fotos: Monic Johanna Schmidheiny