Brent Cash hat sich mit seiner Musik einer längst vergessenen musikalischen Welt verschrieben, die mittlerweile so „unhip“, unmodern und abseitig ist, dass der Musiker aus Athens seine Albumproduktionen nur als kostspieliges Hobby betreiben kann – er kann seine Musik noch nicht einmal live aufführen oder gar damit touren. Sein „Sunshine Pop“ in der Tradition der Carpenters, Beach Boys oder Burt Bacharach steckt voller großartiger Melodien in aufwendigen Orchesterarrangements mit Streichern, Vibraphon, Bläsern sowie dem Vokalensemble „The South City Voices“, das für Harmoniegesänge wie bei The Free Design (übrigens zeitweilig Labelkollegen von Cash) und The Mamas & The Papas sorgt.
Unglaublich, dass Cash sein zweites Album „How Strange It Seems“ (wiederum erschienen beim Hamburger Label Marina) selbstfinanziert und in seiner Freizeit auf die Beine gestellt hat – immer, wenn er genug Zeit und Geld zusammen hatte, konnte er im Studio mit einigen seiner rund 30 Mitmusiker weiterarbeiten. Als Sänger, Musiker, Orchesterarrangeur und Produzent ist er so detailverliebt, dass hier ein perfektes, von der kalifornischen Sonne durchflutetes Album entstanden ist.
Ob das kitschig ist? Klar, bis zum Anschlag. Retro? Aber sicher. Unhip? Mit Lust! Wer keine Angst vor dem uncoolen Kuschelmonster „Sunshine Pop“ hat, findet hier seine persönliche musikalische Offenbarung. Es scheint sein einziges Zugeständnis an die moderne Welt zu ein, dass Brent Cash die Interviewfragen per E-Mail beantwortet.
Wenn man es nicht besser wüsste, würde man denken, dein Album wäre aus den 60er oder 70er Jahren und nicht im letzten Jahr aufgenommen. Empfindest du deine Musik als „Retro“?
Danke für das Kompliment! Mein erstes Album habe ich als Retro-Album verstanden – zu der Zeit habe ich viel Musik aus der Zeit von 1968 bis `71 entdeckt, die in den Charts nicht erfolgreich war oder sich schlecht verkaufte (von bekannten Labels wie Reprise, Columbia, aber auch kleineren Indielabels aus der Zeit) und die von den gleichen Komponisten, Produzenten und Arrangeuren stammt, wie die Musik bekannter Künstler wie Barbra Streisand oder Bobbie Gentry. Es waren in erster Linie 45er Singles und keine Alben, durch die ich diesen „Sunshine Pop“ – oder wie auch immer man das nennen möchte – wirklich für mich entdeckt habe. Es gibt ein paar großartige Alben aus diesem Genre, aber viel mehr große vergessene Singles. Es gab damals eine Menge „No-Name-Künstler“ oder sogar frei erfundene Künstler und Bands, die in Wirklichkeit gar nicht existierten, die nur ein oder zwei Singles für Bell mit Songs von einem Team wie Sedaka-Greenfield gemacht haben, produziert von vielleicht Bones Howe und arrangiert z.B. von Perry Botkin Jr. – alles ziemlich bekannte Künstler. Es war für mich unheimlich schön, diese Platten für mich zu entdecken. Ich wollte, dass mein erstes Album genau wie diese Platten klingt. Mein zweites Album ist zwar immer noch ein Tribut an diese Zeit, führt ab und zu aber auch noch weiter. Meine Songideen waren schon immer sehr poppig und ich wollte immer mit einem Orchester aufnehmen – als ich dieses Element zu meinen Liedern hinzufügte, machte das den Gesamtsound noch retro-mässiger. Ich mag wirklich nur den Sound echter Instrumente. Ich weiß noch, wie ich Prince`s „Purple Rain“ nicht sehr mochte, als es erschien – es waren damals weniger seine Songs, die mir nicht gefielen, sondern die Technologie der 80er. Ich mochte nicht die „Kling-Klang“ Drum-Machine-Sounds und die damals populären Keyboardsounds, die mittlerweile so überholt klingen – komischerweise nur, wenn diese Sounds nicht in komplett elektronischer Musik genutzt werden wie bei Kraftwerk oder später bei Drum `n Bass. Ich mochte einfach diesen Sound gemischt mit R&B oder Soul oder Pop nicht wirklich. Also, wenn richtige Melodien und echte Streicher und Bläser „retro“ bedeutet, bin ich mit dabei!
Welche Bands sind dein größter Einfluss?
The Beatles sind meine absolute Lieblingsband, aber ich möchte nicht – wie so viele andere Musiker über die Jahre – genau wie sie klingen! Die Einflüsse auf den beiden Marina Veröffentlichungen stammen eher von den Produzenten, Komponisten und Arrangeuren, die die „gesichtslosen“ Studiomusiker-Alben gemacht haben, von denen ich gerade erzählt habe. Leute wie Artie Butler, Gene Page, Roger Nichols, Salt Water Taffy, Nick DeCaro – und Studiomusiker sowie beim Label angestellte Songwriter. Das war eine Art Gegenpol zu den „in sich abgeschlossenen“ Bands der Ära. Jeder weiß, dass Buffalo Springfield, Moby Grape und Love großartig sind, aber ich wollte wirklich „unhippe“ Musik machen, ironiefrei, da ich manchmal gern „gegen den Strich“ arbeite. Die „unhippen“ Musiker dieser Ära haben das wunderschönste Zeug, das je produziert wurde, hervorgebracht und einiges davon bedeutet mir weit mehr als Jefferson Airplanes’ „After Bathing At Baxter’s“, das ja allgemein als cool gilt.
Gibt es auch zeitgenössische Musik, die dich beeinflusst?
Ich mag Tahiti 80, The Pearlfishers und das großartige Duo Azure Ray hier aus Athens – tolle Gänsehaut erzeugende Frauenstimmen!
Da deine Musik so tief in der Vergangenheit wurzelt – ist deine Musik sowas wie eine Flucht aus der modernen Welt von heute?
Ehrlich gesagt, wahrscheinlich schon. Wir werden immer wieder an die Hässlichkeiten erinnert, die wir hier auf der Erde miterleben müssen und ich bin glücklich, in dieser Hinsicht auf der anderen Seite der Realität zu stehen, wenn man das so ausdrücken möchte. Die Songs sind eine Katharsis für mich, einige behandeln sehr düstere Erfahrungen – neben sehr glücklichen. Ich staune immer, dass die Leute scheinbar Zeilen wie „I will go on and survive / not really living – but alive / in a sober haze I will reside“ überhören. Ich dachte sogar, dieser spezielle Song sei ein ziemlicher Downer, aber alle meinen immer, meine Musik sei so fröhlich – ich als Autor bin ziemlich sicher: es sind nicht 100% „Sunshine and Rainbows“, aber einige Leute schauen und hören wohl nicht durch die zwitschernden Flötensounds.
Ist es richtig, dass du kein Vollzeit-Musiker bist? Wie beeinflusst dein „normales“ Leben mit einem Day Job deine Arbeit als Musiker?
Das ist richtig. Ich muss irgendwie die Rechnungen zahlen und kann unglücklicherweise nicht von Liebe alleine leben. Das beeinflusst meine Arbeit als Musiker in keinster Weise, das sind getrennte Welten.
Wie schreibst du deine Songs? Wie entstehen die Orchesterarrangements?
Ich habe eine dicke Liste Jahre alter Songideen, da ich nichts vergessen möchte, was ich später gebrauchen könnte. Die besten Songs sind in letzter Zeit die, die in meinem Kopf von alleine auftauchen. Sie sind zu 90% stärker als jede Idee auf die ich komme, wenn ich am Klavier rumprobiere. Das sind fast immer komplett fertige Refrains oder eine komplette Strophe. Ich höre den Rhythmus-Track im Kopf – manchmal schon mit Orchesterarrangement – zusammen mit der Song-Idee und der Tonart. Ich besitze die Gabe (oder den Fluch!) des absoluten Gehörs und notiere die Ideen sofort, auf was auch immer an Papier gerade greifbar ist. Finde ich die Idee später noch gut, schreibe ich den Text zu Ende und lege die Reihenfolge von Strophen, Refrain, Bridge usw. fest. Der Rhythmus-Track wird dann zuerst eingespielt, zuerst das Schlagzeug ganz alleine, dann Bass, Piano, Gitarre. Habe ich das fertig, kann ich zuhause am Klavier die Orchesterarrangements ausarbeiten. Das Intro zu „It’s Easier Without Her“ zum Beispiel war einfach auf einmal in meinem Kopf, die Flügelhornmelodie war komplett da und fühlte sich genau richtig an.
Ich habe gelesen, du trittst mit deiner Musik nicht live auf – liegt dies nur an dem großen finanziellen und organisatorischen Aufwand, deine Musik angemessen live zu spielen? Kommen andere Set-Ups für dich nicht in Frage?
Deine Frage schließt meine Antwort schon sehr gut mit ein! Hoher finanzieller und organisatorischer Aufwand. Die vielen Musiker müssen bezahlt werden und wenn es dann ans Reisen geht… Das ist ein Grund, warum die Big Bands der 30er und 40er Jahre in den 50ern ausstarben – es ist zu teuer, mit 40 Leuten zu reisen.
Vermisst du das Live-Spielen deiner Musik, die direkte Resonanz des Publikums? Oder siehst du dich eher als Studio- und Album-Künstler?
Ich habe ungefähr 27 Jahre als Live-Schlagzeuger hinter mir, aber nie als Frontmann. Es wäre natürlich toll, wenn das eines Tages klappen würde. Diese Alben sind in erster Linie produziert in der Tradition reiner Studioprojekte. Mein Hauptwunsch ist, dass mich meine Alben mit der immer konservierten Musik überleben und Leute sie vielleicht in 40 Jahren für sich entdecken – dass die Musik dann für diese Person etwas Besonderes ist, wenn sie das Album 2051 in einem Plattenladen mitnimmt. Oder im Jahr 2051 eher „online“ sollte ich wohl sagen, haha.
Die Produktion und Orchesterarrangements auf deinen beiden Alben sind sehr komplex und ausgefeilt. Wie wird sich Brent Cash Musik in Zukunft anhören – arbeitest du an einem anderen, reduzierteren musikalischen Ansatz?
Die meisten Künstler und Bands möchten sich ja weiterentwickeln und experimentieren. Wenn man zum Beispiel sieht, was Elvis Costello über die Jahre alles gemacht hat… ich denke, ich werde wohl auch mal das Bedürfnis entwickeln, den Sound zu reduzieren, dann vielleicht wieder orchestral aufzublasen oder zum Beispiel zwischen elektronischen und akustischen Sounds wechseln. Aber das Problem, warum es so lange dauert diese Alben zu machen, ist: es ist sehr kostspielig und ich arbeite sehr besessen an jedem kleinen Detail, angefangen von Tonarten bis hin zum Hall der Snare. Ich will nur im Stande sein, mit diesen Alben für den Rest meines Lebens ohne Bedauern zu leben.
Das Album „How Strange It Seems“ erschien am 27.05.2011 auf Marina Records.
Interview: Rafael Mans