Eigentlich sollte beim Interview mit Biffy Clyro auch Simon Neil dabei sein. Dann hieß es, er kommt später dazu und zuletzt ließ der charismatische Frontmann sich gar nicht blicken. Über diese kleine Enttäuschung halfen mir seine zwei Band-Mates, die Brüder Ben und James Johnston, aber mehr als elegant hinweg. Selten bin ich bei einem Interview so zuvorkommend behandelt worden, angefangen damit, dass beide mir etwas zu trinken anboten, bevor jemand anderes es tun konnte. Und auch in dem mehr als halbstündigen Gespräch offenbart sich mir eine Ahnung davon, woher der gigantische Erfolg der schottischen Rocker rührt. Natürlich ist es ihr bombastischer Rocksound, ihre energetische Live-Show und nicht zuletzt sind alle drei Jungs, die auf der Bühne (und auf dem Cover ihres neuen Albums „Ellipsis“) auch gerne auf den übermäßigen Einsatz von Textilien verzichten, durchaus hübsch anzusehen. Aber, und vor allem das: sie sind einfach unfassbar nette Kerle. Und so wurde es auch ohne Simon ein sehr nettes, inspiriertes Gespräch. Tätowierungen vergleichen machen wir dann beim nächsten Mal.
Schön dass ihr mal wieder in Deutschland seid! Ich habe das Gefühl, dass ihr euch hier sehr wohl fühlt.
Ben: Deutschland ist definitiv unser zweites Zuhause.
James: Wir haben Deutschland schon immer geliebt. Wir lieben es herzukommen, Shows zu spielen. Es hat vor vier oder fünf Jahren angefangen, dass wir das Gefühl hatten, die Verbindung wird immer stärker. Wenn wir herkommen um Shows zu spielen kommen die Leute immer wieder, sie bringen ihre Freunde mit, es gibt eine starke Mundpropaganda hier. Es hat sich sehr organisch entwickelt. Das deutsche Publikum ist ein sehr treues. Neulich haben wir in Münster vor 6.000 Leuten gespielt, obwohl wir lange nicht hier waren! Einen besseren Start hätte es nicht geben können. Es war eine der ersten großen Shows bei denen wir auch neue Songs ausprobiert haben. Das ist sehr aufreibend. Aber wir haben es genossen.
Ich frage mich immer wie es ist, wenn man ein Album aufgenommen hat und die Songs zum ersten Mal live spielt. Gibt es welche, bei denen ihr erst mal grübeln musstet, wie ihr die überhaupt umsetzt?
Ben: Ja, absolut. Als wir manche Stücke zum ersten Mal versucht haben zu spielen, nur wir drei, da dachten wir: was haben wir getan! (lacht) Aber wir wissen, es gibt immer einen Weg. Wir müssen ihn nur herausfinden. Das Album hat sehr viele verschiedene Ebenen. Wir hatten zwei Schlagzeugsets und fünf elektronische Drumkits bei den Aufnahmen. Und auf der Bühne haben wir nun mal nur einen Schlagzeuger. Es war hart für uns drei, aber wir haben es soweit geschafft, dass wir zufrieden sind. Inzwischen haben wir das ganze Album live erarbeitet. Es ist immer eine spannende Erfahrung, neue Songs live zu spielen. Wir können es kaum erwarten, mit dem Album auf Tour zu gehen.
Wann habt ihr mit der Arbeit an „Ellipsis“ angefangen? Bereits letztes Jahr?
James: Ja, Simon hatte ein paar Songs schon fertig. Aber wir waren lange mit „Opposites“ auf Tour und mussten erst mal wieder ein bisschen runter kommen, ein normales Leben führen. Es kann die Inspiration hemmen, wenn man sich jeden Tag zu bewusst ist, dass man in einer Band spielt. Man muss das manchmal vergessen und einfach ein Mensch sein. Im März letzten Jahres hatten wir ein paar Songs und Simon ist nach Los Angeles gegangen, um den Kopf ein wenig frei zu kriegen. Dann haben wir uns in Schottland wieder getroffen und im Probenraum an den Ideen gearbeitet. Im September sind wir gemeinsam nach Los Angeles und haben uns mit Rich Costey getroffen. Wenn man zum ersten Mal mit einem neuen Producer zusammen arbeitet, braucht es ein bisschen Zeit, bis man zusammen gefunden hat. Manchmal muss man sich auch streiten oder miteinander kämpfen. Auf jeden Fall muss man herausfinden, wie jeder mit dem anderen arbeiten will. Dann kann man ein Team bilden. Die Aufnahmen haben am Ende viel länger gedauert als wir gedacht hätten. Sechs Monate sind ganz schön lang.
Das habe ich auch gedacht, als ich es gelesen habe. Vor allem für euch, die ihr schon einmal ein Album an einem Tag aufgenommen habt.
James: Das stimmt, es war definitiv etwas ganz anderes. Am schwersten war es für uns herauszufinden, wann ein Song wirklich fertig war. Das ist nicht unbedingt Rich‘ Stärke. Er tut sich schwer damit Entscheidungen zu fällen. Das kann schlecht aber auch gut sein. Aber wir haben viel mit dem Sound experimentiert und das war genau das, was wir wollten. Wir wollten einfach nicht noch einmal die gleiche Platte machen. Es war Zeit für eine Wiedergeburt der Band. Das war viel Arbeit, aber es hat sich gelohnt.
Mit Garth Richardson habt ihr ja mehr als ein Album produziert.
Ben: Die letzten drei. Ich glaube drei ist eine magische Zahl. Und nach drei gemeinsamen Alben fühlt man sich sehr wohl miteinander. Man will sich mit seinem Produzenten aber auch nicht zu wohl fühlen. Du weißt was er tun wird, er weiß was du tun wirst… Man verdient Geld, wird berühmt und jeder ist glücklich. Es geht aber nicht nur um Geld und Berühmtheit.
Es war also eine bewusste Entscheidung, es diesmal mit jemand anderem zu machen.
Ben: Ja. Wir haben Rich aber gesagt, dass wir mit ihm auch die nächsten beiden Alben machen werden, um in diesem Dreierzyklus zu bleiben.
James: Er hat eine unglaubliche musikalische Bandbreite. Er hat nicht nur Rockalben produziert sondern zum Beispiel auch Jurassic 5. Er liebt Hip Hop. Seiner Meinung nach ist Rockmusik immer die sicherste Variante. Wir sind eine Rockband und werden immer eine sein, aber wir hatten das Gefühl, wir können den ein oder anderen etwas mutigeren Einfluss gebrauchen. In der Vergangenheit haben wir das Studio dazu benutzt, unsere Rock Performance einzufangen. Diesmal haben wir uns vorgenommen, das Studio selbst als Instrument zu benutzen. Es gibt da so viele Sachen von denen wir immer noch nicht wussten, wofür sie eigentlich gut sind. Also dachten wir, lass es uns einfach ausprobieren! Es gab keine Regeln. Das war wahnsinnig aufregend. Jeder Tag im Studio war komplett anders. Man wusste nie was man tun würde, singen, Bass oder Schlagzeug spielen, keine Ahnung was passieren würde.
Ben: Vor allem für mich war das sehr spannend. Ich spiele ja sonst Schlagzeug und das war’s. Bei Rich konnte ein Song zu 90 Prozent fertig sein und dann meinte er plötzlich: Lass uns das Ganze nochmal ein bisschen langsamer machen. Also fängt man nochmal von vorne an. An dem Punkt wo man denkt, man müsste eigentlich nur noch die Vocals hinzufügen. Fuck! Deshalb hat es sechs Monate gedauert (lacht).
James: Es war so gut jemanden zu haben, der den Mut und die Zielstrebigkeit hatte, mit uns durch diesen Prozess zu gehen. Es ist aber auch eine Gratwanderung. Manchmal nehmen Bands einen Song als Demo auf, gehen damit ins Studio und am Ende ist er nicht mehr so gut wie damals als Demo. Viele unserer Lieblingssongs sind ursprüngliche Demos, an denen nur ganz wenig verändert wurde. Rich ist ein absoluter Tüftler, aber auch nur an etwas interessiert, das einen emotional herausfordert.
Ben: Manchmal hatten wir eine Aufnahme, die nahezu fehlerfrei war und trotzdem stimmte es nicht. Es geht nicht darum, etwas komplett richtig zu machen. Wenn wir etwas nicht spannend finden, dann müssen wir es so lange neu machen, bis es spannend wird. Das ist der einzige Weg der funktioniert, wenn man Kunst machen will. Aber es kann auch schmerzhaft sein. Manchmal denkt man: verdammt, ich habe doch alles richtig gemacht, warum zum Teufel funktioniert es nicht? Einfach weil es verdammt nochmal nicht aufregend genug ist! Das war eine Erfahrung, die wir bei diesem Album definitiv zum ersten Mal gemacht haben: das Gefühl zu haben man ist eigentlich fertig, und dann fängt man doch wieder von ganz vorne an.
Mit so vielen Möglichkeiten Neues auszuprobieren, muss man da auch aufpassen, dass die Pferde nicht komplett mit einem durchgehen?
Ben: Jep, definitiv.
James: Zum Glück hatten wir was das angeht eine gute Kommunikation. Wir haben in der Zeit auch alle zusammen in einem Haus gelebt und manchmal haben wir uns abends Sachen angehört und dachten: ups, was haben wir denn da gemacht. Da gehen wir doch morgen lieber nochmal ran und löschen das (lacht). Bei manchen Dingen haben wir Rich auch überzeugt es erst einmal so zu versuchen wie wir es als Band machen würden. Und wenn das nichts wurde, konnten wir seine Ideen ausprobieren. Auf der anderen Seite wussten wir, wenn wir Rich zu tief in seinen Kaninchenbau folgen und am Ende gefällt uns das Ergebnis nicht, müssen wir es ja nicht veröffentlichen. Löschen kann man immer noch.
Ben: Oft begibt man sich auf eine lange Reise und endet am Ende dort, wo man angefangen hat.
Ich habe ein Zitat von Simon zu „Ellipsis“ gelesen: „Es ist mehr ein Schlag auf die Nase als eine zärtliche Umarmung“. Ich finde aber durchaus, dass es auf dem Album bei aller Lautstärke einige zärtliche Momente gibt.
Ben: Absolut!
James: Definitiv! Ich glaube wir werden nie ein Album machen, auf dem es nicht mindestens ein Liebeslied gibt. Simons Frau ist seine Muse und wird immer eine wichtige Inspiration für seine Songs sein. Aber insgesamt ging es ihm auf diesem Album vor allem darum, seine Wut darüber auszudrücken, wie man als Band manchmal behandelt wird. Die Leute ziehen ihren Vorteil aus dir, sie geben vor auf deiner Seite zu sein, aber eigentlich handeln sie nur in ihrem eigenen Interesse. Das passiert in anderen Metiers natürlich auch. Ich glaube auch gar nicht, dass es Simon in dem Moment so bewusst war, erst später kamen wir darauf, dass das ein roter Faden ist, der sich durch das Album zieht.
Ben: Wenn man sich Wut von der Seele schreibt, heißt das ja auch nicht automatisch, dass es sich am Ende wütend anhören muss. Ich glaube das Album ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht.
Rein musikalisch finde ich es zum Teil auch durchaus verspielt. Es gibt Kinderchöre und es wird gepfiffen…
James: Ja, ich weiß! Ich finde es auch verspielt. Ich glaube, wenn man nie wirklich weiß was als nächstes passiert, das kann eine sehr fröhliche, verspielte Atmosphäre bilden. Es ist ein sehr vielseitiges Album. Wir sind sehr stolz darauf. Ich weiß noch wie wir „Wolves Of Winter“ zum ersten Mal im Radio gehört haben. Es war tagsüber, die Sonne schien und wir dachten: der Song ist doch komplett verrückt! Wir werden immer noch ganz aufgeregt, wenn wir unsere Songs im Radio hören. Es fällt einem ja selber eher schwer, die eigene Musik zu beschreiben. Aber als wir den Song im Radio gehört haben dachten wir, der ist einfach nur komplett wahnsinnig. Im positiven Sinne natürlich!
Dieses Jahr sind ja leider schon viele Legenden gestorben…
Ben: Oh mein Gott, ja…
In wieweit trifft euch das als Band? Nicht nur was den Verlust der Künstler an sich angeht, sondern macht man sich da auch Gedanken um den eigenen Lebenswandel?
James: In erster Linie denkt man natürlich drüber nach, was für eine großartige Zeit jemand wie Bowie oder Prince als Künstler gehabt haben muss. Und wie viele Menschen sie zu Lebzeiten mit ihrer Musik berührt haben. Aber irgendwie dachte ich auch schon, es sterben so viele Menschen täglich, bei denen es nicht so etwas Besonderes ist. Eigentlich sollte doch jeder Mensch etwas Besonderes sein. Aber am Ende war Prince einfach Prince…
Ben: Ich glaube, die einzige Art wie man gut damit umgehen kann ist dass man die Tatsache feiert, dass es so jemanden wie Prince überhaupt gegeben hat.
James: Und ich glaube wenn es so weiter geht hört man irgendwann mit dem Rauchen auf oder so (lacht).
Ben: Es waren einfach zu viele, die in letzter Zeit gestorben sind. Zu verdammt viele.
Und wer wird von denen die jetzt noch leben, die Legenden von morgen sein?
Ben: Manchmal denke ich Russell Brand (lacht). Ich glaube mir fällt tatsächlich niemand ein.
James: Ich werd’s gar nicht versuchen.
Ben: Shit, man kann doch niemanden der heute noch lebt mit Prince vergleichen. Einfach niemanden!
Interview: Gabi Rudolph
Fotos: Warner Music