Ich habe beim diesjährigen Filmfest Hamburg Benjamin Teskes Debütfilm „Strawberry Bubblegums“ gesehen, und irgendwie ereilte mich da eine Welle der Begeisterung, der ich kürzlich bereits hier Ausdruck verliehen habe. Ich finde es wirklich selten und bewundernswert, wenn ein junger Regisseur schon derart fundiert und geschmackssicher sein Ding macht. Benjamin hat eine eigene Bildsprache, ein extrem gutes Gefühl für Figuren und eine Liebe zum Detail, an die ich unglaublich gut andocken kann. Also haben Benjamin und ich uns neulich zum Mittagessen getroffen, um so etwas wie ein Interview zu machen, das mehr in einem Kennenlernen bei Müsli und Fleischklopsen endete (Müsli er, Klopse ich). Anbei ein kleiner Auszug aus dem etwas ausgeuferten Gespräch über Film, Kunst, die Liebe zum Detail und natürlich „Strawberry Bubblegums“.
Erzähl mir ein bisschen darüber, wie die Idee zu „Strawberry Bubblegums“ entstanden ist. Was war denn zuerst da, der Wunsch, eine Coming of Age Geschichte zu erzählen oder die Idee, einen Film im Pornomillieu zu machen?
Meinen Abschlussfilm an der Hamburg Media School habe ich mit der gleichen Drehbuchautorin, dem gleichen Kameramann und der gleichen Producerin gemacht wie jetzt „Strawberry Bubblegums“. Damals hatten wir gerade eine schwere Phase bei der Entwicklung, das Drehbuch war an einem schwierigen Punkt und wir dachten alle kurz, wir lassen es einfach bleiben. Dann kam Cherokee, meine Autorin, ins Produktionsbüro und meinte: ach komm, wir machen einfach einen Film über einen Pornostar. Ich meinte, voll die gute Idee, ich hab da schon eine Szene im Kopf. Die hatte ich schon länger, ein abgehalfterter Pornostar in seiner Garderobe, der gleich ans Set muss um Sex zu haben, aber sein Schwanz wird nicht hart. Das war so ein Ursprung der Geschichte. Die Szene ist ja auch jetzt so im Film. Die Idee ging also über die Figur los, der abgehalfterte Pornostar. Irgendwann kam dann das junge Mädchen dazu. Daraus wurde Lucy, die erfährt dass sie bei einem Pornodreh gezeugt wurde.
Und wo nimmst du so ganz generell als Regisseur deine Inspiration her? Was für Themen interessieren dich?
Einer meiner Dozenten an der Uni hat immer gesagt, dass man als Regisseur letztendlich immer auf ein bis zwei Themen zurück kommt. Ich merke es jetzt selber, wenn ich an Stoffen arbeite, dass es diese Themen gibt. Geschwisterbeziehungen zum Beispiel finde ich mega interessant. Ich finde es spannend, Geschwister in meinem Freundeskreis zu beobachten. Aber letztendlich führe ich selbst das Thema Geschwister zurück auf das der Identität. Wer bin ich, wo komme ich her? Welchen Platz hat man selber im Leben? In „Strawberry Bubblegums“ geht es ja auch um genau diese Fragen. Und was passiert wenn man erfährt, dass man Jahre mit einer Lüge gelebt hat?
Ich verstehe gut, was du meinst. Ich zum Beispiel bin als Kind adoptiert worden und mit einer großen Offenheit dem Thema gegenüber aufgewachsen. Diese Art von Offenheit finde ich wahnsinnig wichtig. Es gibt immer wieder Menschen, die versuchen dich bei derartigen Schwachstellen zu packen, aber wenn so etwas kein Geheimnis ist gibt es auch nichts zu enthüllen, du bietest als Mensch keine Angriffsfläche.
Deswegen mag ich im Film auch die Stelle so gerne, wo ein Junge im Supermarkt versucht, Jasmin (Tabatabai) mit ihrer Vergangenheit als Pornodarstellerin zu provozieren. Was ich daran so mag ist, dass sie sagt, es hat ihr Spaß gemacht. Man kann da auch lange drüber nachdenken, ob es ihr wirklich Spaß gemacht hat oder ob sie es nur behauptet. Natürlich kann man mir unterstellen, dass ich versuche zu erzählen, dass man Pornos machen muss, um sich sexuell zu befreien. Das haben auch schon Journalisten versucht. Ich denke eigentlich, genau das Gegenteil ist der Fall, Lucy entscheidet sich am Ende ja auch für einen anderen Weg. Natürlich verkaufen wir diese Botschaften nicht eins zu eins, aber im Grunde geht es schon darum: wenn du das tust, was du wirklich gerne tun möchtest, dann ist es das Richtige. Ich wollte weder einen Film machen, der Porno verurteilt, noch einen der ihn verherrlicht, sondern genau den Mittelweg gehen.
Ich finde es gerade gut, dass du nicht den Finger drauf hältst und die Mutter zum Opfer stilisierst. Dass die Branche auch ihre ekligen Seiten hat, zeigst du ja auch deutlich.
Wir haben versucht, von der Pornobranche relativ viel zu zeigen, viel von dem, was wir in der Recherche vorgefunden haben. Es gibt diese Menschen, die Zuhause Amateur Pornos drehen, es gibt auch die professionellen Sets, wo noch mit einer großen Produktionsfirma Pornos gedreht werden. Eine der Szenen, über die ich im Vorfeld viel nachgedacht habe ist die, wo bei Charlie im Keller der Western Porno gedreht wird. Da bewegen wir uns sehr auf dünnem Eis, weil es schnell ins Lächerliche kippen kann. Ich habe lange mit meiner Kostümbildnerin und meinem Szenenbilder überlegt, wie lassen wir diese Welt aussehen. Sollen die Darsteller professionelle Cowboy Kostüme tragen oder wollen wir erzählen sie haben die sich selber geschneidert? Ganz oft ist es ja so dass, wenn du im Film etwas zeigst, was der Realität entspricht, die Leute sagen: ne, das glaube ich nicht, das gibt’s nicht. Dabei ist die Realität sogar noch schlimmer und am Ende glaubt es dir keiner. Bigger than life!
Der Rummelplatz scheint ja auch ein zentrales Thema für dich zu sein. Lucys Reise führt sie unter anderem auf den Rummel und auch dein Abschlussfilm „Fliehkraft“ mit Sabin Tambrea in der Hauptrolle handelt von einer Schausteller Familie. Hast du eine persönliche Beziehung zu dem Thema?
Nein, nicht wirklich. Ich kann dir gar nicht sagen, wo genau das her kommt. Ich mag das Morbide, diese Mischung aus schön und hässlich. Am Tag ist alles trostlos und leer, in der Nacht machen die bunten und flackernden Lichter alles schön und aufregend. Die Figur, die Sabin Tambrea in „Fliehkraft“ spielt, kommt in „Strawberry Bubblegums“ übrigens genau so wieder vor. Seine Szenen setzen da an, wo „Fliehkraft“ aufhört.
Meine Mutter hat mich ja früher immer gewarnt vor den Jungs vom Rummelplatz. Ich durfte mich mit denen nicht abgeben. Ich finde es schön, dass du dich auch da nicht so drauf setzt und alles nicht nur fies und abgefuckt darstellst. Lucy hat ja ihre erste, richtige sexuelle Begegnung auf dem Rummel und das ist irgendwie auch ganz schön sexy.
Mir ist es ganz wichtig, jede Figur für sich ernst zu nehmen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass hier in Deutschland sehr viel Fokus auf die Hauptrollen gelegt wird. Nebenrollen werden hier oft stiefmütterlich behandelt. Wenn man sich amerikanische Filme ansieht, dann sind die Nebenrollen oft viel spannender als die Hauptrollen. Ich habe deshalb versucht, auch die vielen kleinen Rollen auf diesem Roadtrip ernst zu nehmen. Und ich hatte natürlich auch Glück, dass ich so tolle Schauspieler gefunden habe, die diese Rollen spielen wollten. Die hatten wirklich alle, egal wie groß oder wie klein die Rolle war, mega Lust drauf und haben sich mit richtig viel Input eingebracht, bis hin zum Kostüm.
Ich denke definitiv, dass man bei jeder Form der Kunst spürt, wie viel Mühe man sich mit den Feinheiten gegeben hat. Details sind so etwas Tolles! Man mag sie nicht alle entdecken und zuordnen können, aber ob sie da sind oder nicht macht definitiv einen Unterschied.
Absolut, ich glaube auch, dass man das spürt, auch wenn man es nicht sofort merkt. In „Strawberry Bubblegums“ ist ja jedes von Lucys Kostümen an einen Film angelehnt. Sie ist ja Filmfan und will auf die Schauspielschule. In der Partyszene am Anfang zum Beispiel trägt sie eine rote Herzchenbrille, eine Reminszenz an Kubricks „Lolita“. Wenn sie zu Ronnie in die Videothek geht, ist ihr Outfit angelehnt an „The Royal Tenenbaums“. Oder die Perücke, die sie aus der Bar mitnimmt, das bezieht sich natürlich auf „Lost in Translation“. Wir haben uns vorgestellt dass sie sich ihre Klamotten bewusst so aussucht, dass es sie an andere Filme erinnert. Auf ihrer Reise kommen immer wieder neue Einflüsse und Elemente hinzu, bis sie am Ende ihren eigenen Stil gefunden hat. Ich will nicht direkt sagen, dass sie zur Frau geworden ist, aber sie hat sich gefunden und braucht das alles nicht mehr. Mir macht es unglaublich viel Spaß eine Welt so zu entwerfen, auch wenn es am Ende vielleicht keiner bemerkt oder man es nicht benennen kann.
Aber ich finde, es ist auch gar nicht nötig, dass man das kann! Es ist wunderbar, wenn man sich die Zeit nimmt, die Dinge so akribisch zu entwerfen. Man muss auch nicht erwarten, dass das jeder versteht, beziehungsweise darf auch nicht beleidigt sein wenn es nicht so ist. Für dich sind diese Details wichtig und das spürt der Zuschauer, auch wenn er es vielleicht nicht so konkret benennen kann.
Ich finde es als Regisseur wichtig, dass man sein Publikum ernst nimmt und es für mindestens genauso intelligent hält wie sich selber. Ich habe das Gefühl, dass man oft denkt ach, das können wir jetzt nicht so darstellen, das versteht der Zuschauer nicht. Ich will jetzt nicht direkt von Verdummung reden, aber ich finde, man darf dem Zuschauer etwas zumuten und zutrauen. Das funktioniert, ich merke es ja auch am Feedback. Bei vielen Sachen hat man das Gefühl, dass sie mal eben schnell gemacht wurden. Wie Fastfood. Ich esse auch mal gerne Fastfood, aber nicht nur. Wenn man anfängt, nicht mehr alle Energie, die man aufbringen kann, in ein Projekt zu stecken, das ist der erste Schritt ins Verderben (lacht).
„Strawberry Bubblegums“ ist am 03.11.2016 um 22 Uhr im NDR zu sehen.
Interview: Gabi Rudolph
Foto Benjamin Teske: Niklas Krüger