Als ich mich am Empfangscounter von Universal Music zum Interview mit Allen Stone anmelde, läuft eine Gruppe Menschen an mir vorbei, in ihrer Mitte ein großgewachsener junger Mann mit schulterlangem blondem Haar, Nerdbrille, Hut und ziemlich coolen Schnürstiefeln. „Ich komme zum Interview mit…äh… ihm!“ sage ich. Der 25-jährige US-Amerikaner ist einfach auf den ersten Blick zu erkennen. Als wir uns wenige Minuten später gegenüber sitzen, erzähle ich ihm, wie groß das Erstaunen ist, wenn man das erste Mal ein Foto von ihm sieht und dazu seine Musik hört. Denn Allen Stone verfügt über ein unbeschreibliches Organ, das Volumen seiner Stimme und seine emotionsgeladenen Soul-Kompositionen fegen einen regelrecht vom Stuhl. Allen Stone grinst und entblößt eine Reihe großer, weißer Zähne. Natürlich hört er das nicht zum ersten Mal. Selbst bezeichnet er sich als „Hippie-Junge vom Land, der gerne singt“. Recht hat er. So sieht er aus, und so hört er sich an. Ladies and Gentlemen, Mr. Allen Stone!
Erzähl mir von dem Ort, in dem Du aufgewachsen bist.
Der Ort heißt Chewelah. Das ist ein alter indianischer Name. Es ist ein sehr kleiner Ort, maximal 15.000 Leute leben im gesamten Einzugsgebiet. Ich bin dort mit meinen Eltern und meinen Geschwistern groß geworden. Meine ganze Kindheit und Jugend habe ich nur in den USA verbracht. Bist Du in Deutschland geboren und aufgewachsen?
Ja. Ich bin in Bayern aufgewachsen, in einer der ländlichsten Gegenden Deutschlands.
Dann weißt Du was es heißt, auf dem Land groß zu werden. Es ist nicht immer einfach, weil die Menschen nicht so offen sind wie in der Großstadt. Ich schätze, das ist überall so, ob in den USA oder in Deutschland.
Für mich bestand die größte Schwierigkeit darin, mit guter Musik in Berührung zu kommen. Die Kids um mich herum standen auf Heavy Metal. Ich mochte Prince. Das war damals extrem uncool.
Das war bei mir sehr ähnlich. Die meisten Leute dort hören nur was im Radio läuft. Ich habe noch nie gerne Radio gehört, die Sachen, die im Radio laufen interessieren mich nicht.
Und wer hat Dich erlöst? Es gibt doch immer eine entscheidende Person, die einen auf den musikalischen Weg bringt.
Richtig. Bei mir war es ein guter Freund, der mir eine Stevie Wonder Platte geschenkt hat als ich 15 war. „Innervisions“ war das. Heute, wenn ich über meine Musik spreche, werde ich oft gefragt, warum mich ausgerechnet diese Musik damals so angesprochen hat, und ich habe viel darüber nachgedacht. Ich glaube, dass es so war: Meine Mutter hat Zuhause immer viel gesungen. Ihre Stimme hat dieses warme, tiefe Vibrato wenn sie singt. Als ich zum ersten Mal Stevie Wonder gehört habe, habe ich das bei ihm irgendwie wieder entdeckt. Bis heute ist es so, dass ich mich genau davon angezogen fühle, wenn ich dieses Vibrato in einer Stimme höre.
Die Musik, in die Du Dich damals verliebt hast, ist ja viele Jahre bevor Du überhaupt geboren wurdest entstanden. Woran denkst Du liegt es, dass junge Leute sich immer wieder zu Musik hingezogen fühlen, die weit vor ihrer Zeit entstanden ist?
Ich glaube, und ich hoffe, dass die Leute sich immer wieder nach Musik sehnen, die wahrhaftig ist. Mir zumindest geht es so. Wenn ich heute vor dem Fernseher sitze und ein Musikvideo sehe, sehe ich immer die Sachen, die fake sind. Ich denke: dieser Verstärker ist nicht eingesteckt. Dieses Mädchen hat noch nie eine Gitarre in der Hand gehabt. Ihr Bikini ist von irgendeinem Designer geliehen. Dieses dicke Auto ist doch gar nicht deins! Das hat nichts mit wahrer Musik zu tun, bei der es auf die Stimme, auf die Seele ankommt. Wenn ich mir die Entwicklung der Musikgeschichte ansehe, dann kommt es mir so vor als würde sie verlaufen wie ein Pendel. Sie schwingt hin und her, zwischen der Wahrhaftigkeit des Soul zum Plastikpop der Achtziger, wieder zurück zu ernsthaften Rockbands der Grunge Szene der Neunziger, dann wieder zurück zu Lady Gaga und co. Heute gibt es zum Glück wieder eine Reihe guter Bands und Musiker, die handgemachte Musik produzieren.
Wahrscheinlich muss man sich damit abfinden, dass beide Welten auch immer nebeneinander existieren werden.
Das stimmt. Es gibt durchaus Musiker der heutigen Zeit, die ich sehr schätze. Aber das Gefühl ist einfach nicht das Gleiche, das ich bei Künstlern wie Stevie Wonder und Marvin Gaye bekomme.
Wo lebst Du heute?
In Seattle. Na ja, sagen wir mal, ich habe ein Zimmer dort mit ein paar Sachen drin. Letztes Jahr war ich gerade mal 15 Tage Zuhause. Wenn man das Zuhause nennen kann. Aber es ist ok. Ich lebe dafür, meine Musik unter die Leute zu bringen, überall auf der ganzen Welt, dort wo man mich spielen lässt. Wenn ich in einem ganz kleinen Club spiele, 100 Menschen sind da und diese sind glücklich, dann bin ich es auch.
Die Songs auf Deinem Album hast Du ja bereits vor einiger Zeit aufgenommen.
Ja, das ist jetzt fünf Jahre her. Ich hatte damals schon das Gefühl, dass ich ein gutes Produkt habe, wollte aber noch nicht bei einem Label unterschreiben. Zu dem Zeitpunkt hatte ich ja auch noch keine Fanbase, keinen großen Hit auf Youtube, irgendetwas, das auf mich aufmerksam gemacht hätte. Ich war einfach nur ein Junge vom Land, der gerne singt. Mit der Zeit kamen noch vier Songs dazu, die jetzt auch auf dem Album sind. Da war mir klar, das ist genau das Album, das ich veröffentlichen möchte. Also habe ich es im Oktober 2011 veröffentlicht. Zur gleichen Zeit habe ich ein Video im Haus meiner Mutter aufgenommen und online gestellt, und die Leute fingen an es zu teilen. Dadurch, dass ich so viel auf Tour war, sind ein paar Labels auf mich aufmerksam geworden und am Ende habe mich entschieden, ATO Records in den USA und Universal in Europa die Rechte an dem Album zu geben. Irgendwie war es ein seltsamer Tanz, bis ich hier her gekommen bin. Aber es hat funktioniert, und ich bin immer noch am Leben! (lacht)
Wie ist Dein Gefühl zu diesen Songs heute, wo Du schon so lang mit ihnen unterwegs bist?
Mir geht es ja darum, mich weiterzuentwickeln. Und diese Songs entwickeln sich mit mir. Auf der Bühne ist immer Platz für Kreativität, das erlaube ich mir und meiner Band. Natürlich singt man über Jahre hinweg immer wieder die gleichen Songs. Aber ich liebe es einfach zu singen und fühle mich geehrt, wenn die Leute mir zuhören. Da käme ich nie auf die Idee, darüber zu jammern.
Zusammengefasst. Was ist die Quintessenz Deines Schaffens? Worum geht es?
Es geht um die Musik! Zumindest sollte es so sein. Nicht um die Lichter, die Show und das Drumherum. Heute gibt es so viele große Popstars, die auf der Bühne keinen einzigen Song live singen. Das bricht mir das Herz! Stell Dir vor, Frank Sinatra würde heute noch leben. Der würde die Scheiße aus solchen Leuten raus prügeln! Aber so ist es mit der Musik, alles ist heutzutage möglich. Menschen, die nicht singen können und nicht ein einziges Instrument spielen, können sehr erfolgreich sein. Und andere, sehr talentierte Musiker, kommen vielleicht nie zum Zug. Das kommt dabei heraus, wenn man Kunst ausbeutet. Mit der Musik ist uns das gelungen: wir haben etwas so wunderschönes wie die Musik genommen und es über die Jahre hinweg ausgebeutet. Am Ende ist alles verdreht. Aber es hat auch seine guten Seiten. Heutzutage kann ein weißer Hippie Junge wie ich daher kommen und Soul singen. Wie schräg ist das?! (lacht)
Interview: Gabi Rudolph
Allen Stones gleichnamiges Debütalbum ist am 22.02.2013 bei Universal Music erschienen.