Heute erscheint „Nerve Up“, das Debutalbum von Lone Lady.
Es gibt ja Zeiten, in denen man ganz bestimmte Musik braucht. Mal Musik, die einem mit jedem Akkord demonstriert, dass es ein Leben da draußen gibt, das bunt und wild ist, und nur ein einziger Schritt nötig ist, um sich in den Taumel der Zeiten zu begeben. Dann wieder gibt es diese Abende ohne Alkohol und Rausch und den Soundtrack für ein Leben voll Verantwortung und Schaffenskraft. Oder wie wäre es mit den Sommerabenden, in denen die Welt droht aus den Angeln zu kippen vor lauter Lebensfreude und sattestem Dur.
Am liebesten habe ich jedoch die Stunden zwischen alledem. Zwischenzeiten. Zwischenmusik. Und heute stelle ich euch eine CD vor, die jeder anständige Gefühlsmensch für genau diese Zeiten „in between“ im Regal haben sollte. Aber es sollte schon die urbane Atmosphäre der Ungenauigkeit und des Verfalls sein die einen umgibt oder aber einst sozialisiert hat, um diese Platte mit dem nötigen Kopfkino begleiten zu können… was ich damit sagen will ist: Es geht hier nicht um Wald- und Wiesenmusik.
Nein, wir befinden uns in Manchester, oder besser an dessen urbanen Rändern. Eine Gegend, die auf Deutschland übertragen vermutlich eine Mischung zwischen den Autobahntrassen von Castrop Rauxel und den Hafendocks Hamburgs ergibt. Leere Industrieruinen und eine städtische Müllabfuhr, die schon seit geraumer Zeit nicht mehr vorbei kommt um die letzten Überreste der Zivilisation ihrem Recycling zuzuführen.
Da hat nun Julie Campbell ihr Debutalbum aufgenommen. Und zwar eines ohne wenn und aber. Wer ist das denn? Diese Julie Campbell? Genau. Das ist eben Lone Lady. Und ihr jetzt erscheinende CD heißt „Nerve up“ und ist weniger ein stinknormales Sammelsurium an eingespielten Songs als mehr oder weniger ein Projekt im Projekt. Denn Julie wollte es partout schaffen, in der verotteten Umgebung an Manchesters Stadtrand etwas zu erschaffen, das ihr diese Gegend wenigstens so weit erträglich macht, um dort noch ein paar Jahre zu überleben ohne therapiebedürftig zu werden. Und das hat sie so famos hinbekommen, dass wir alle nun etwas davon haben.
Vier Wochen lang baute sie eine der zahllosen leeren Hallen in besagten Industrieblöcken zu einem Studio aus, um gleichzeitig mit dem Erschaffen dieses kreativen Raumes auch eben diesen Raum in Tönen einzufangen. Oder schlichter gesagt aufzunehmen. Die Instrumentierung ist recht klassisch und bietet spärlich eingesetzte Drums, Gitarre, Bass und ein wenig Soundtüfteleien an. Angesiedelt irgendwo zwischen Indie, Pop, Rock und Chanson. Über all dem schwebt die mal zerbrechlich, mal zornig klingende Stimme Julies.
Produziert hat dieses Album Guy Fixen, der auch schon The Breeders und Stereolab betreute. Und auch diese Verweise hört man natürlich. Genauso wie all die Lieblingsbands von Julie Campbell wie zum Beispiel Joy Divison, Wire oder auch The Fall.
So here we go, let’s nerve up:
Wir tauchen ein mit „If Not Now“, einem Indiesong mit perlender Gitarre und kurzen harten Drums, die eher digital daher kommen. Der Gesang spricht eher als dass er singt. Beschreibt. Lässt sich weiterschubsen um mit Echo wieder zu kehren. Geschickt aufgebaut, um dem Hörer das Gefühl zu vermitteln, er ließe die Innenstadt gerade hinter sich und betrete nun das Reich der Lone Lady.
„Intuition“ kommt daher als klassischer Streetrock Song, wie wir ihn in letzter Zeit von unzähligen „The-Bands“ aus England zu hören bekommen. Wäre da nicht diese unverwechselbare Stimme, leicht lamoryant und eher Hilferuf als Verheißung. Schnelle Gitarrenriffs. Dahingeschrammelt und auf den Punkt gebracht.
Der Titelsong „Nerve up“ beginnt mit einer ganz straighten Gitarre, die lediglich vier Töne von sich gibt. Schräg dazu setzt plötzlich eine Drummaschine ein, und eine zweite Gitarre zieht sich an der ersten entlang. Immer wieder bricht der Song fast ab und lediglich die digitalen Drums reichen weiter… an was? Schon seltsam, fast alle Songs beginnen im Nichts und wollen dorthin auch wieder zurück . PJ Harvey stand hier stylistisch vermutlich Pate für den Gesang. Seltsam. Einfach. Nerve up.
Weiter geht`s ein paar Umdrehungen schneller mit „Early The Haste Comes“. Und wieder diese schnelle, kaum verzerrte Gitarre mit ihren Stakattoattacken. Oder sind es doch zwei Gitarren? Ja, hier könnte man schon anfangen mit dem Tanzen. Oder wenigstens dem Zappeln.
„Marbel“ beginnt viel weicher und wärmer als alle Songs bis jetzt. Ein echtes Schlagzeug, ein verwischter Gitarrenakkord auf Reverse gestellt und tatsächlich eine Melodie im Gesang. Zärtlich und doch kaum dazu in der Lage. Auch der Gesang läuft durch verschiedene Echos und trägt sich selbst gleich einem Boomerang davon, um ein paar Takte später wieder vor deinen Füssen zu liegen… Sehr, sehr schön.
Nun weiter zu „Immaterial“. Viel positiver und bejahender. Wenn es englische Countrylieder überhaupt gäbe, hätte dieses Lied dort seinen Platz. Eine sehr eingängige Gitarre und der immer wieder kehrende Ausruf: „It`s Immaterial…“ Ja das ist vieles auf dieser Welt und wird so selten gewürdigt. Schön.
„Cattletears“ findet wieder zurück zu den kurzen knackigen Riffs der frühen Songs und ist eigentlich der Einzige mit dem ich nicht so wahsinnig viel anfangen kann. Ich habe an dieser Stelle des Albums einfach das Gefühl, ihn schon zwei drei Mal gehört zu haben. Aber das sei Frau Campbell einfach mal gegönnt.
Also gleich zum nächsten Stück „Have no Past“. Einer der wenigen Songs, in denen der Gesang aus verschiedenen Richtungen und teilweise übereinander gelegt zu einem vordringt. Dazu eine sehr gelungene Mischng aus einem ganz verträumt und versöhnlich ausufernden Refrain und einem vorantreibenden Strophenteil. So stellt sich das Gefühl, tatsächlich keine Vergangenheit zu besitzen oder sie nicht mehr zu erinnern sehr schnell ein. Indiepop vom Feinsten.
Und schon sind wir beim Vorletzten Song „Army“. „I am an army“ singt es sich da am Anfang des Songs, und da Julie diese ganze Platte tatsächlich mehr oder weniger allein konzipiert, ermöglicht und eingespielt hat, könnte das Lied auch als ihre ganz eigene Hymne an das Do it Yourself durchgehen. Ein schneller funky Popsong mit sehr dreckigen Zutaten. Neopop. Großstadtpop. Girrrrlpop. Irgendwo dort findet man „Army“.
„Fear No More“ beschließt dieses Kleinkunstwerk. Halb versöhnlich, halb immer noch gefährdet winkt einem Julie noch einmal mit ganz zerbrechlichem Gesang und tatsächlich Streichern entgegen, und mehr als eine einsame Gitarre und ein paar luftige Beckenschlägen hört man nicht hinter, unter, neben Julies berückender und hier auch sehr traurigen Stimme…
So ganz glaubt man dem Titel des Liedes also nicht. So ganz ausschliessen kann man aber auch nicht, dass Lone Lady mit dieser ganzen Platte all ihre Ängste und Verzweiflungen schon hinter sich gelassen hat. Dass sie nun nach vollbrachter Indie-Thearpie die schmutzigen Fabrikhallen verlässt und nach Hause geht mit der Gewissheit, dass nichts so sein wird wie es gestern noch war.
Machs gut Julie… bis bald.