Im Interview: Farao

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Ab heute gibt es das Debüt der norwegischen Künstlerin Farao: „Till It’s All Forgotten“. Hinter dem Künstlernamen Farao befindet sich die Sängerin, Songwriterin und Musikerin Kari Jahnsen, die mit ihrer sinnlichen und gleichzeitig abenteuerlichen Popmusik mit einem Hauch himmlischer, elektronischer Instrumentation und geerdeter Orchestrierung verzaubert. Die Songs der mittlerweile in Berlin lebenden Farao übermitteln eine lebendige Schönheit an der Oberfläche, nähern sich aber subtil und mit bitterem Unterton den Tiefen im Inneren. Aufgenommen wurde das Album in Island und als Multi-Instrumentalistin spielte Jahnsen auf den zehn Liedern, außer der Blechbläser und dem Schlagzeug, alle Instrumente selbst ein. Distanziert von der wetteifernden Energie ihres damaligen Wohnortes London, hinein katapultiert in das ununterbrochene Licht und die kreative Gemeinschaft von Reykjavik, beschwört Farao mit gekonnten Arrangements, grenzenlosen Atmosphären und ihrem verführerisch-beschwingten Gesang das schöne und strukturierte Universum von „Till It’s All Forgotten“ herauf. Wir haben uns mit der Sängerin in ihrer neuen Wahlheimat Berlin über genau diese Stadt, nordische Sounds, Kontrollzwänge bei Albumaufnahmen und Gefühle auf Konzerten unterhalten.

Dein Debütalbum „Till It’s All Forgotten“ ist wirklich ein wunderbares Werk. Um ehrlich zu sein, habe ich ein bisschen gebraucht, um den Zugang zu finden. Es war zuerst eine schwere Kost, aber trotzdem konnte ich nicht aufhören es mir anzuhören und nach einiger Zeit war ich völlig hin und weg. Es hat mich in dieser besonderen Atmosphäre, die es vermittelt, fortgetragen.

Das ist genau die Reaktion, die ich bei den Zuhörern erreichen möchte. Es soll kein unmittelbares Erlebnis sein, sondern ein bisschen Zeit erfordern. Das würde nicht funktionieren, wenn ich im Radio 20 Mal am Tag rauf und runter gespielt werden möchte. Aber dem ist nicht der Fall. Es soll nicht „easy listening“ sein. Ich möchte, dass man genau zuhört und den Songs Aufmerksamkeit schenkt, um es wirklich zu verstehen. Das geht nicht, wenn sie nur im Hintergrund laufen.

Es ist so ein Sound, der einen an andere Ort transportieren kann. Egal, wo man es hört, sobald man die Augen schließt, wird man davon eingenommen. Man hört auch direkt raus, dass nordische Wurzeln involviert sind.

Das wird mir oft gesagt, aber ich frage mich, woran man denn diesen nordischen Sound wirklich raushört? Das war ja nicht meine Absicht, dass es so klingt. Ich könnte mir vorstellen, dass es mit den Vocals zusammenhängt. Es gibt viele nordische Sängerinnen, die so eine ähnliche durchdringende Stimme haben.

Du hast bis auf die Blechbläser und das Schlagzeug tatsächlich alle Instrumente auf deinem Album selbst gespielt. Wolltest du die komplette Kontrolle haben?

Oh ja, ich bin ein Kontrollfreak. Ich musste es einfach selbst machen, um sicher zu gehen, dass alles so klingt, wie ich es im Kopf habe. Um jemandem die Instrumente zu übergeben, muss ich dieser Person schon sehr vertrauen. Wieso sollte es aber jemand anderes machen, wenn ich doch zum Beispiel Piano spielen kann? Und weiß, was ich will. Dann spiele ich es doch einfach selber.

So hat man die Kontrolle, aber gleichzeitig auch die gesamte Verantwortung.

Das kann manchmal auch beängstigend sein. Aber ich habe wirklich immer eine klare Vision. Dies ist mein Solo-Projekt und so doch auch viel mehr solo, wenn ich so viel es geht selber mache.

Ein komplettes Produkt deiner Kreativität also.

Ja, genau. Wenn man mit einer Band an einem Song arbeitet, dann bringen ja eben auch alle einzelnen Mitglieder ihre Visionen mit in den Song. Das kann für Durcheinander sorgen. Ich alleine kann so fokussierter an meiner Vision arbeiten.

Der letzte Track auf dem Album heißt „Are You Real“. Steht der Song bewusst an letzter Stelle, weil er so ein kathartisches Gefühl hinterlässt?

Ja, der Song fasst irgendwie noch einmal alles zusammen. Er begann als typisch strukturierter Pop-Song: Verse, Chorus, Lyrics… Wir hatten alles aufgenommen und gemerkt, dass es irgendwie nicht funktioniert. Ich habe mich noch einmal hingesetzt und mir Gedanken gemacht, was ich mit dem Song sagen möchte. Dann habe ich „Are You Real“ aufgeschrieben und realisiert, dass das eigentlich schon alles sagt. Das hört sich jetzt klischeemäßig an, aber in dem Moment habe ich mich von dem Album befreit gefühlt. Der Song ist so voller Hoffnung und ein wunderbares Ende für das Werk. Deswegen ist es auch mein Lieblingslied, es erleichtert mich jedes Mal aufs Neue.

Ein komplettierendes Gefühl. Was ja auch passt, wenn sich der rote Faden des Albums um das Weiterziehen und um Umbrüche dreht.

Ja, es geht ums Vergessen und Verarbeiten. Um Leute und Erfahrungen, die ich hinter mir lassen möchte. Am Ende des Albums frage ich mich also, ist das überhaupt alles wirklich passiert? Ich bin voller Hoffnung für die Zukunft.

Deine vorherigen Songs waren eher im typischen Singer-Songwriter Stil. Jetzt bringst du viele moderne Elemente hinein. Entfernst du dich bewusst aus dem Genre?

Schon, ich habe bei den Aufnahmen sehr darauf geachtet, da ich keinen Folk mehr machen möchte. Ich wollte mehr Synths und andere elektronische Elemente einbringen. Die, die ich benutzt habe, sind String Synths. Den Sound mag ich am liebsten.

Aufgenommen hast du das Album in Island. Du bist aus Norwegen. Wohntest aber in London. Und jetzt in Berlin! Was hat dich hierher gebracht?

Ich liebe diese Stadt. Man hat mehr Raum und Zeit, um zu tun, was man wirklich tun möchte. Da alles sehr günstig ist, hat man mehr Zeit als in London zum Beispiel, da man nicht ständig arbeiten muss. Die Gebäude sind groß, mit hohen Decken und die Straßen sind weiter. Man hat viel mehr Platz, so dass man sich freier und weniger eingeschränkt fühlt. Das tut gut.

Du kommst aus einem 500-Seelen Dorf in Norwegen, der Wunsch nach Platz kommt sicher auch daher, oder?

Zweimal im Jahr besuche ich meine Familie dort. Dort bin ich das Gegenteil von klaustrophobisch. Man hat viel zu viel Platz. Es gibt eine einzige Bar in dem ganzen Dorf, wo einmal in der Woche am Samstag ein Event stattfindet. Jeden Sonntag, nach dem Aufwachen, begann das Warten auf den nächsten Samstag. Es gab einfach nichts anderes zu tun.

Kein Wunder, dass du dort nicht bleiben wolltest. Wie sah dein Weg aus?

Als Teenager begann ich frustriert mit meinem Leben zu werden. Aber damals war es mir völlig unklar, dass es an der Umgebung lag. Erst mit 19 bin ich weggezogen und habe dann erst verstanden, dass ich schon vorher hätte weg sollen. Ich bin nach Trondheim gezogen, und von dort aus ging es nach Oslo und auch eine Weile nach Liverpool. Dann bin ich in London gelandet.

An welchem Ort hast du angefangen Musik zu machen?

Schon in dem kleinen Dorf. Da ich so sehr diese Frustrationen spürte, habe ich mein Outlet in der Musik gefunden. Kaum jemand hörte die gleiche Musik wie ich. Aber es gab noch drei weitere Mädchen, die mit mir gemeinsam nach Oslo zu Gigs gefahren sind. Mit 16 hatten wir noch unsere Fake ID’s dabei, um in die Venues reinzukommen. Wir wollten alle raus aus dem Kaff, so oft es ging.

Was hast du dir damals dort angesehen?

Kennst du die norwegischen Punkrocker Turbonegro? Das war eins der einflussreichsten Konzerte, die ich mir jemals angesehen habe. Ich war in der allerersten Reihe und der Sänger hat mir einen Eimer künstliches Blut über den Kopf geschüttet. Dann einen Eimer voll mit Federn. Ich habe mich so cool gefühlt.
Eine der inspirierendsten Bands für mich waren aber immer Sigur Ròs. 2005 habe ich sie zum ersten Mal in Oslo gesehen. Auch dort war ich in der ersten Reihe, weil ich sogar zum Fanclub gehörte und so früher Einlass bekam. Der Gig war einfach unglaublich. Je älter man wird, desto weniger spannend werden Konzerte irgendwie, oder? Weißt du noch, wie man sich früher gefühlt hat, als man bei einer Show von einer Lieblingsband war? Ich gehe immer noch oft zu Konzerten, aber ohne dieses einzigartige Gefühl von damals. Wie eine religiöse Erfahrung! Als Teenager fanatisch besessen von einer Band zu sein und diese dann live zu erleben, wow. Man konnte sich darin verlieren und vergessen wer man war. Vielleicht ist man als Erwachsene einfach so viel mehr selbstsicher, dass man das Gefühl auch gar nicht mehr so sehr braucht, wie damals. Jetzt bin ich eine von denen, die mit den Armen verschränkt hinten in der Ecke stehen und skeptisch zuhören. (lacht)

Gibt es noch eine Band, bei der du trotzdem noch vorne stehen würdest, egal wie alt du bist?

Ja, auf jeden Fall. Letztens war ich auf dem Latitude Festival und Thom Yorke trat überraschend auf. Am gleichen Tag wurde es spontan auf der Website verkündet und ich bin völlig ausgerastet, weil Yorke einer meiner liebsten Musiker auf der Welt ist. Ich war bei dem Festival, und finde es dann dort raus! Ich habe es nicht bis ganz nach vorne geschafft, weil er in einem kleinen Zelt vor 500 Leuten spielte. Ich stand in der Mitte und war so glückselig, dass ich Teil davon sein durfte.

Manchmal frage ich mich aber, ob so ein Konzerterlebnis für Teenager heute noch genauso ist wie für uns damals. Alle sind so besessen davon ständig alles auf Social Media zu teilen, so dass die Teens gar nicht richtig anwesend sind, sondern auf Shows nur in ihr Handy starren, um das perfekte Bild zu bekommen und die meisten Likes zu generieren.

Ich bin so froh, dass wir das damals nicht hatte. Wahrscheinlich wäre ich genauso gewesen. Ich kapiere das einfach nicht. Wer guckt sich denn sowas danach nochmal an?

Eben, es ist schlechte Qualität, übler Sound und eben überhaupt nicht wie es tatsächlich ist. So ein krampfhafter Versuch den Moment festzuhalten. Und dabei ist genau dieser verloren, sobald man das Handy rausholt.

Es sollte ein Handy-Verbot bei Konzerten geben. So wie im Berghain. Die kleben dir nur einen Sticker aufs Handy, den man ja ganz einfach abnehmen könnte. Aber es funktioniert als Symbol.

Farao_Album_Artwork

Live kann man Farao im Oktober hier erleben:

04.10.2015   –  Köln, artheater
06.10.2015   –  Berlin, Berghain Kantine
07.10.2015   –  Hamburg, Uebel & Gefährlich

Interview: Christina Heckmann