
In der Welt von Perfume Genius ist nichts, wie es auf den ersten Blick scheint. Schon das Album-Cover seines neusten Albums „Glory“ zeigt den Musiker Mike Hadreas – der Mann hinter dem Künstlernamen – in einem an sich normalen Zimmer mit großem Fenster, der gesamte Körper unnatürlich verrenkt auf dem Boden liegend. Er trägt schwarze Lederhackenschuhe, sein Gesichtsausdruck ist gequält, der Gürtel steckt gerade noch in einer Jeansschlaufe. Außerdem im Bild: zwei unidentifizierbare Männer, einer, der ungestört aus dem Fenster schaut auf den anderen, der von draußen durch das Fenster in das Zimmer blickt. Dieser erste Eindruck lässt einen staunen: Was ist denn hier passiert?
Schon bevor man überhaupt eine Sekunde der neuen Songs gehört hat, versetzt uns Perfume Genius mit dem Artwork in ein Setting, das die Thematik des Albums prägen wird: Das Chaos in der Normalität. Unscheinbare, alltägliche Orte werden Schauplatz für menschlichen Wahnsinn, für die Unruhe und die Anarchie, die Perfume Genius in Zuneigung, Intimität und Angst erlebt. In seinen Musikvideos für die Singles „It’s a Mirror“ und „No Front Teeth“ spielt der Sänger mit unerwarteten Wendungen und stilistischer Absurdität, die Handlungen driften in das Surreale und wieder zur Normalität zurück. Für die Charaktere selbst scheinen all die bizarren Geschehnisse jedoch vollkommen selbstverständlich. Als Zuschauer lassen die Videos einen rätseln. Auch wenn das Video zu „It’s a Mirror“ eine Art Hintergrundgeschichte zum Album-Cover darstellt, bleibt man verwirrt und neugierig. Eines steht jedenfalls fest: Bei Perfume Genius weiß man nie genau, wie sich eine Geschichte entfalten wird.
Der aus Iowa, USA stammende Musiker ist kein Neuling in der Musikbranche. Seine Karriere umspannt mittlerweile 17 Jahre, angefangen mit dem Hochladen von Songs auf MySpace im Jahr 2008. Auf seinem siebten Studio-Album „Glory“ glänzt Perfume Genius mit seiner vielfältigen musikalischen Erfahrung, ohne jedoch dabei seine Neugier für neue Ausdrucksformen und frische Klänge zu verlieren. Hier ist eindeutig ein Musiker am Werk, der weiß, welchen Sound er will und welcher Sound zu ihm passt, der weiß, wie er seine Stimme einzusetzen hat, um seine Gefühle zu vermitteln. Dabei hat das ganze Album weiterhin diese Perfume-Genius-Qualität: eine innewohnende Traurigkeit, bei der einem das Herz schwer wird.
Sensibel, teilweise zitternd legt sich Mike Hadreas‘ Stimme über verzerrte Gitarren und melancholische Klaviermelodien. Es entsteht ein komplexer und reicher Sound aus verschiedenen Texturen, während er ehrlich und zugleich poetisch von Isolation, Gemeinschaft und der eigenen Vergänglichkeit erzählt. Der Gesang schwingt zwischen Verzweiflung und Vertraulichkeit und mit ihm bewegt sich die Musik zwischen großen, treibenden Instrumentals und sanften, träumerischen Klängen. Es ist ein Soundtrack für die in den Musikvideos gespiegelte stille Ruhe und das laute Chaos. Perfume Genius bringt einen jedoch zum Nachdenken: Ist es womöglich eher die laute Ruhe und das stille Chaos?
Im Album-Opener „It’s a Mirror“ und den Songs „Clean Heart“ und „Me & Angel“ widmet sich Hadreas seinem Verhältnis zur eigenen Vergangenheit und wie sich dieses mit der Zeit verändert hat. Universelle Fragen nach dem Umgang mit begangenen Fehlern und der Bindung zum jüngeren Ich treiben den Sänger auf der Suche nach einem reinen Herzen. Mit „No Front Teeth“ blicken Perfume Genius und seine Duettpartnerin Aldous Harding in die Zukunft und erforschen die facettenreiche Gefühlswelt des eigenen Lebensabends: Der menschliche Körper verfällt langsam, die Vorderzähne fehlen, gleichzeitig spürt man sein ganzes Leben am eigenen Leib, und es überkommt einen ein Gefühl der Befreiung, während man auf bessere Tage schaut: „Better days / nothing touch me / Let it take everything that I love“.
„Left For Tomorrow“, „Full On“, „Capezio“ und „Dion“ laden dagegen mit ihren ruhigen atmosphärischen Instrumentals zum Tagträumen ein. Hier tritt Hadreas’ Stimme zurück, verschwimmt mit den anderen Klängen und wird damit selbst zum Instrument. Dadurch entsteht ein voller Sound, bei dem es Perfume Genius nicht unbedingt darum geht, dass wir Zuhörer den Gesang verstehen, sondern eher darum, uns ein Gefühl zu vermitteln. „In a Row“ bringt mit seinen eher zügigen und rhythmischen Strophen und rauschenden Refrains wieder etwas Abwechslung, bleibt dem Sound des Albums jedoch treu. Bei „Hanging Out“ taucht Hadreas in eher experimentelle und etwas unheimliche Klänge ein und kehrt schließlich für den finalen Track „Glory“ zu der vertrauten, sanften Klavierbegleitung zurück.
Das Album entfaltet sich wie ein langer, schweifender und eingehender Blick auf das eigene Spiegelbild. Perfume Genius mustert seine Gestalt, so wie sie ist. An ihr sieht er seine durchwachsene Vergangenheit, die so weit entfernt scheint und sich doch in seinem gegenwärtigen Sein zeichnet. Er sieht sein derzeitiges Leben, geprägt von Liebe und Chaos, wie er es hautnah erfährt und wie es gleichzeitig an ihm vorbeizieht. Er sieht seine Zukunft, mit seinem körperlichen Verfall und seiner Sterblichkeit. Dabei lässt Hadreas seine Gefühle allesamt nur so auf sich einprasseln. Mit diesem Album entwickelt er genau das, was er uns im ersten Song versprochen hat: It’s a mirror.