Genie oder Clown? Interview mit Chilly Gonzales

Chilly Gonzales trägt Jeans, ein kariertes Hemd und eine weiße Trainingsjacke. Er begrüßt uns an der Tür zu seinem Backstage Bereich in den Fliegenden Bauten, wo er am Abend im Rahmen des Reeperbahn Festivals auftritt, und fragt als erstes, ob wir vor hätten, ihn zu filmen oder zu fotografieren. „Darauf bin ich nämlich nicht eingestellt“, sagt er. „Ich lasse mich nie in Privatklamotten fotografieren. Wenn ich es weiß, bringe ich ein Kostüm mit.“ Also fotografieren wir nicht. Eine Weile stehen wir unschlüssig im Raum und überlegen, wo wir uns niederlassen. Schließlich bietet er uns Stühle an und nimmt selbst auf der Chaiselounge Platz. Da liegt er und ist offensichtlich bereit. Wir können beginnen.

Bild 155_2 KopieIch habe vor kurzem deinen Film „Ivory Tower“ gesehen. Hinter mir saß ein Mann, dessen Freundin fragte: „Was wird das für ein Film sein?“ Er meinte: „Wahrscheinlich ein Konzertfilm. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einen richtigen Spielfilm macht.“ Dabei ist „Ivory Tower“ genau das, ein klassischer Spielfilm mit einer geradlinigen Handlung, ausgereiften Charakteren… denkst du, dass die Leute darüber erstaunt sind?

Keine Ahnung. Sind sie? Ich halte den Rekord für das längste Konzert der Welt, an diesem Punkt hätte ich gedacht, dass die Leute alles von mir erwarten.

Mich zumindest hat es nicht überrascht.

Ja, aber du bist sicherlich ein aufgeschlossener Mensch, der weiß, dass ich viele verschiedene Dinge tue. Die Sache ist, das, was ich am Klavier machen kann, kann grob von jedem verstanden werden. Das gibt mir das Selbstvertrauen, andere Dinge auszuprobieren. Vielleicht denken manche Leute, dass ich nicht das Recht habe, bestimmte Dinge zu tun. Vielleicht habe ich als Weißer nicht das Recht, ein Rapper zu sein. Ich weiß nicht, die Leute haben manchmal komische Ansichten wenn es darum geht, was man tun darf und was nicht. Natürlich habe ich mich von Anfang an bemüht, verschiedenste Dinge auf extreme Art und Weise zu tun. Präzise gesagt wird dieser Typ hinterher aus dem Kino gegangen sein und gesagt haben „Fuck it, er hat es getan! Jesus Christ, ich habe gedacht er könnte das nicht, aber er hat es getan!“ Denn der Film ist nicht wirklich ein Desaster. Die meisten Leute kommen hinterher raus und sagen  „Der Film ist ein bisschen besser geworden als ich gedacht hätte“ ,und das genügt mir. Es war schwierig. Viele Menschen, viel Geld. Gut, nicht wirklich viel Geld für einen Film, aber trotzdem. Ich war für alles verantwortlich, habe mir die Story ausgedacht, den Regisseur ausgewählt.

Adam Traynor. Wie bist du auf ihn gekommen? Es ist ja auch sein erster Film.

Er ist Kanadier und lebt in Berlin. Er hat auch in Paris gelebt. Er sieht aus wie ein Regisseur. Hast du ein Foto von ihm gesehen? Ich brauchte einfach jemanden, der aussieht wie ein Regisseur. Das war keine große Sache. Anfangs wollte ich auch nur einen mittellangen Film machen, um die 40 Minuten. Aber dann war schnell klar, dass niemand es ernst nimmt, wenn es kein richtiger Spielfilm wird. Und jetzt nimmt den Film  keiner ernst, bis wir einen Verleih für ihn gefunden haben.

Hast du dich in irgendeiner Form als Schauspieler auf das Projekt vorbereitet?

Ich habe die Rolle für mich geschrieben. Also bin ich auf Nummer sicher gegangen, dass nichts darin vorkommt, das ich nicht Bild 272_2 Kopiemachen kann. Manchmal haben wir beim Schreiben überlegt, was Hershell tun könnte und ich habe direkt gesagt, lasst uns das raus streichen, das kann ich nicht spielen. Ich möchte nicht den Druck haben etwas zu tun von dem ich mir nicht sicher bin, dass ich es schaffen kann. Es ist das Gleiche, wenn ich Klavier spiele. Ich wirke wie ein ziemlich guter Klavierspieler, weil ich für mich selbst schreibe. Ich muss nicht damit kämpfen, dass ich diesen Teil, den Debussy geschrieben hat, nicht spielen kann. Nein, ich schreibe so, dass ich es spielen kann.

Aber du hast das komplette Libretto von „Jesus Christ Superstar“ gespielt, allein am Klavier. Und es sieht bei dir immer so aus, als würdest du dir das aus dem Ärmel schütteln.

Ja ja, es sieht so aus… (überlegt) Aber auch bei „Jesus Christ Superstar“ habe ich meine eigenen Parts geschrieben. Ich habe das Libretto auf einen Solo Klavierpart reduziert. Ich spiele nie, was ein anderer geschrieben hat. Sogar wenn ich Coversongs spiele. Deshalb siehst du mich niemals kämpfen, außer ich will es so. Das gleiche Prinzip habe ich beim Film angewendet. Jetzt sieht es so aus, als wäre ich ein einigermaßen guter Schauspieler. Peaches ist eine wahre Schauspielerin. Tiga und ich sind mehr die „Funny Guys“… wie auch immer. Peaches ist anders. Sie macht sehr viel ohne wirklich viel zu machen. Hast du „Peaches Christ Superstar“ gesehen?

Ja, habe ich. Aber auch hier ist es ein ähnliches Thema. Ich hatte das Gefühl, dass viele Leute im Vorfeld erwartet haben, dass ihr eine Persiflage daraus macht. Einen großen, spektakulären Witz.

Ja, aber hey, so sind sie, die Hipster! So schauen sie auf alles. Was soll man dagegen tun? Aber gut, Hipster haben uns zu dem gemacht, was wir sind, deshalb kann ich mich nicht wirklich beklagen. Trotzdem, es stimmt schon. Der Punkt ist, dass die Leute sich nie sicher sind, ob wir Witze machen oder nicht. Wir wollen es aber auch so. Das ist es, was uns zu Entertainern macht. Jeder, den wir mögen – sei es Borat, Daft Punk oder James Brown – ist ein klein wenig lächerlich. Sonst wären sie keine Legenden. Genie oder Clown?  Wenn man es auf Anhieb wüsste, wäre es langweilig. Sogar Mozart war ein totales Clown-Genie. Ich mag es, die Hipster da sitzen zu sehen wie sie darauf warten, dass wir einen Witz machen. Das ist ein guter Moment.

Gibt es eigentlich noch irgendetwas, das dir Angst macht?

Bild 121_2 KopieOh ja, viele Dinge! Es gibt vieles, das ich nicht tue. Ich habe bei „Ivory Tower“ zum Beispiel nicht selbst Regie geführt. Das kann ich nicht, auf gar keinen Fall! Ich habe bei diesem Film nicht alles selbst gemacht. Ich habe einen professionellen Drehbuchschreiber engagiert und  hatte auch sonst viel Unterstüzung. Beim Guinness Weltrekord zum Beispiel hatte ich sehr viel Hilfe von meinem Management. Generell habe ich ein riesiges Netzwerk an Leuten, die mich unterstützen. Ohne diese Leute zu arbeiten – das würde mich zu Tode ängstigen.

Bei deinen Piano Shows gehst du einfach raus auf die Bühne, ohne zu wissen, was dich erwartet. Mir persönlich würde das sehr viel Angst machen.

Ja, es ist wie Krieg. Ich sage immer wieder „Entertainment is war“, und das glaube ich wirklich. Du kannst proben, du kannst üben. Aber sobald du da raus gehst, können Unmengen unvorhergesehener Dinge passieren. Wenn ich merke, dass das Publikum schon betrunken ist und nicht wirklich aufpasst, muss ich mein Programm ändern. Ich muss aggressiver spielen, mehr ein Freak sein. Oder okay, heute Abend sind viele Menschen mit grauen Haaren im Publikum, dann bringe ich vielleicht lieber nicht die ganzen schmutzigen Rap Songs. Du bereitest dich vor und hast Erfahrung – ich spiele über 100 Shows im Jahr – aber in vielen Fällen musst du dich spontan entscheiden, etwas anderes zu machen. Du hast einen Plan, und dann wirfst du ihn wieder weg. Grundsätzlich kann aber alles passieren.

Ein Freund von mir erzählt heute noch von einer deiner frühen Shows, bei der zwei Männer Sex auf der Bühne hatten.

Das war wahrscheinlich eine Peaches Show. Bei einer Gonzales Show haben Leute keinen Sex auf der Bühne. Ich meine, ich bin nicht dagegen, aber es ist nicht passiert. Und hey, es ist faszinierend, dass Peaches noch einmal eine ganz andere Art von „Freakiness“ in den Leuten zum Vorschein bringt.

Just in  diesem Moment klingelt Gonzales‘ Telefon. Er entschuldigt sich und nimmt das Gespräch an – es ist Peaches. „Hey, ich bin in einem Interview. Wir reden gerade über dich… sie haben mir erzählt, dass ein Freund ganz verstört war, weil bei einer meiner Shows Leute Sex auf der Bühne hatten. Ich habe gesagt, dass muss bei dir gewesen sein…“ Peaches spricht. Gonzales wirft uns einen vielsagenden Blick zu. Schade, dass wir nie erfahren werden, was sie ihm erzählt hat. Er verspricht zurückzurufen.

Gut. Ein Weltrekord. Ein eigener Film. Worauf stürzt du dich als nächstes?Bild 274_2 Kopie

Ich liebe immer noch Rap-Kultur und Rap-Musik sehr. Viele meiner Ideen kommen von Rappern. Ich würde gerne einmal eine Zeitlang in dieser Welt leben, die ich die „NBA des American Rap“ nenne. Ich hatte ein paar Momente, in denen ich versucht habe, da mehr rein zu kommen. Das war aber immer mehr zufällig und ich habe es nie zu meinem Haupt Fokus gemacht. Eines Tages wäre ich gern im Studio und würde Arrangements machen, meinen Teil zu dieser Welt beitragen. Das ist die musikalische Welt, die ich eigentlich liebe, das sind meine Idole.

Zurzeit lebst du aber immer noch in Europa.

Ich lebe in Paris. Nicht unbedingt die Hauptstadt des Rap. Deswegen… Du fragst mich, was übrig bleibt? Ich sage der Hip Hop. Dort könnte meine Zukunft sein. Wo auch immer „dort“ sein mag. Ich weiß es nicht.

Interview: Gabi Rudolph

Fotos: Michaela Marmulla