Gelesen: Theresia Enzensberger „Blaupause“

Geschichten über das Erwachsenwerden haben einen ganz besonderen Reiz. Es ist immer wieder interessant zu sehen, wo, je nach Gesellschaftsschicht, Spielort und Zeitalter die Unterschiede in den Sorgen und Nöten der Protagonisten liegen, wo sich aber auch immer wieder Allgemeingültigkeiten und Parallelen treffen. Theresia Enzensberger, freie Journalistin für unter anderem die FAZ und ZEIT Online und ja, die Tochter von Hans Magnus Enzensberger, erzählt in ihrem Debütroman „Blaupause“ die Geschichte einer jungen Studentin Anfang der Zwanziger Jahre am Bauhaus in Weimar, die sich, neben den typischen Problemen der damaligen Zeit, erstaunlich aktuell liest. Schon das Coverfoto, ein nachkoloriertes Original Bauhaus-Foto von 1927, lässt die Grenzen zwischen Aktualität und Historie verschwimmen. Irgendwie sehen diese jungen Leute erstaunlich modern aus. Wenn man es nicht wüsste, es wäre schwer zu sagen, wann genau das Foto entstanden ist.

Luise, Tochter einer gut situierten Berliner Familie, möchte mehr als die Wirtschaftsschule besuchen, nur um danach möglichst schnell durch eine Heirat abgesichert zu sein. Sie hat sich gegen ihre Familie durchgesetzt, um sich am Bauhaus den Traum eines Architekturstudiums zu erfüllen. Die traditionsreiche Kunstschule, die 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet wurde und 1925 nach Dessau umzog, gilt heute noch als die einflussreichste Bildungsstätte in den Bereichen Kunst, Architektur und Design des 20. Jahrhunderts. Es gab dort auch eine Webwerkstatt, weshalb Luises Vater schließlich doch nachgibt. Irgendetwas Nützliches wird man dem Mädchen dort schon beibringen. Walter Gropius zeigt Interesse an den selbst erstellten Architekturentwürfen der jungen Frau. Trotzdem, so muss Luise feststellen, ist es nicht so einfach, selbst in einem derart aufgeschlossenen, kulturellen Umfeld seinen Weg zu gehen.
Es gibt so viele Ablenkungen, wenn das Leben auf einen einprasselt. Luise macht die Bekanntschaft einer Gruppe von Itten-Jüngern, die sie mit ihren Mönchskutten ähnlichen Jacken und ihren strengen Ritualen erst belächelt, sieht sich dann aber doch von ihrem Lebensentwurf angezogen. Und nicht zuletzt vom hübschen Jakob, der ihr zwar auch zugetan ist, sich ihr aber immer wieder entzieht, eine Beziehung, die Luise viele Rätsel aufgibt.

Es geht für Luise darum, den eigenen Weg zu finden, was gerade wenn das Leben einem eine ungewöhnliche Vielzahl an Möglichkeiten bietet, nicht gerade leicht ist. Luise versucht sich zu orientieren, Gleichgesinnte zu finden und fühlt sich trotzdem oft als Außenseiterin. Es ist interessant zu sehen, wie losgelöst von ihrem zeitlichen und örtlichen Umfeld ihre Suche nach Identität sich liest. Dann aber stößt der fortschrittliche Geist der damaligen Zeit auch immer wieder an seine Grenzen. Zwei Jahre sieht der Vater mit Skepsis zu, dann beordert er die freigeistliche Tochter wieder nach Hause. Erst als der Vater stirbt, gelingt es Luise, eine Rückkehr an das inzwischen nach Dessau umgesiedelte Bauhaus zu erwirken.

Auch hier kämpft Luise mit leicht nachvollziehbaren Umständen. Sie geht eine Beziehung ein, taucht in einen Freundeskreis ein, in dem viel getrunken, die Nächte durchdiskutiert und das Leben genossen wird. Neben all diesem den Elan für das eigentliche Studium aufzubringen, ist nicht so einfach. Was sie an Lehrstoff verpasst, versucht Luise mit der Arbeit an einem eigenen Projekt, dem Entwurf für eine fortschrittliche Wohnsiedlung wettzumachen. Sie verzettelt sich, erlebt Enttäuschungen. Wieder ist es nicht leicht zu erkennen, auf was und wen sie setzen soll.

Die Mischung aus Historie und bis heute aktuell anmutenden Coming of Age Problemen ist das interessanteste an „Blaupause“. Leider liest sich Theresia Enzensbergers Stil über weite Strecken erstaunlich sperrig. Die geradlinige, im Historischen Präsenz gehaltene Erzählung wirkt manchmal angenehm unmittelbar, oft leider etwas zu schmucklos, manchmal sogar holprig. Historische Figuren wie Gropius, Klee und Kandinsky tauchen zwar immer wieder auf, wirklich Leben haucht Theresia Enzensberger ihnen leider nicht ein. Man interessiert sich durchaus für Luise und ihren Weg, aber irgendetwas fehlt, das letzte Fünkchen Charme, das die Umgebung, das Zeitalter und seine Protagonisten lebendig werden lässt. Auch wenn man grundsätzlich die Begeisterung der Autorin für ihre Geschichte und das Erzählen im Allgemeinen spürt. Es hätte nur etwas mehr Mut bedurft, mehr von dem Gefühl, das Luise fühlt, wenn sie mit ihrer ersten Liebe nachts in den kalten Fluss springt. So ist „Blaupause“ zwar spürbar eine Herzensangelegenheit geworden, leider nur eine bedingt unterhaltende.

Info: „Blaupause“, der Debütroman von Theresia Enzensberger, ist im Hansa Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

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