Wer einen literarisch interessierten Freundeskreis hat, der dürfte sich mehr als einmal in ein Gespräch über Sally Rooneys Werk wiedergefunden haben. Die 29 Jahre alte Irin trifft mit ihren Romanen „Gespräche mit Freunden“ und dem zuletzt in deutscher Übersetzung erschienenen „Normale Menschen“ offensichtlich den Geist der Zeit wie kaum eine andere – und polarisiert wie sie begeistert. Erst kürzlich meinte jemand zu mir, Sally Rooneys Bücher würde man entweder lieben oder hassen, dazwischen gäbe es nichts. Bereits während der Lektüre von „Normale Menschen“ kam mir der Gedanke, dass ich dann vielleicht die große Ausnahme bin. Es beschäftigt mich nachhaltig, lässt mich aber auch ein wenig ratlos zurück.
„Normale Menschen“ ist die Geschichte von Marianne und Connell. Marianne ist Tochter einer reichen Anwältin, Connells Mutter ist Putzfrau und arbeitet für Mariannes Mutter. Die beiden gehen zusammen zur Schule und nähern sich kurz vor ihrem Abschluss zaghaft an. Marianne gilt in der Schule als unnahbar und kompliziert, während Connell sozial akzeptiert ist. Verbunden sind die beiden durch ihre Intelligenz, für die der sportliche, beliebte Connell bewundert wird, Marianne macht sie zur Außenseiterin. Miteinander finden die beiden ihre erste sexuelle Erfüllung, ihre Beziehung halten sie aber geheim, da Connell die Verurteilung seiner Freunde fürchtet. Marianne akzeptiert es sein Geheimnis zu sein, empfindet darin sogar einen gewissen Reiz. Als Connell sich aber nicht traut mit ihr zum Abschlussball zu gehen und stattdessen ein Mädchen aus seinem Freundeskreis fragt, bricht Marianne mit ihm und geht nicht mehr zur Schule.
Am renommierten Trinity College in Dublin treffen die beiden sich wieder. Es war ursprünglich Marianne, die Connell dazu geraten hatte, sich ebenfalls zu bewerben. Am College wenden sich die Dynamiken. Marianne blüht auf, findet Freunde, lernt ihren sozialen Status einzusetzen und wird akzeptiert, während Connell immer ein wenig der Außenseiter bleibt. Beide quälen sich durch Beziehungen mit anderen, ohne dabei glücklich zu werden, versuchen eine Freundschaft aufzubauen, scheitern aber auch immer wieder aneinander, an ihrer Anziehung füreinander und ihrer gleichzeitigen Unfähigkeit, sich als Paar zu definieren. Während Marianne ihre Beziehungen mit anderen Männern nur in Form von sadomasochistischen Strukturen leben kann, verfällt Connell in Depressionen und kämpft mit der Sinnlosigkeit des Lebens.
Klingt deprimierend? Nun, ehrlich gesagt, ist es auch. Eine grenzenlose Freude ist es nicht wirklich, Marianne und Connell beizuwohnen, wie sie an sich, aneinander und dem Leben scheitern. Aber es muss ja auch nicht immer alles eitel Sonnenschein sein. Und die Thematik, junge Menschen, die eine stete Distanz zum Leben fühlen, hat schließlich eine erschreckende Aktualität.
Sally Rooneys Umgang mit Sprache und die Art, wie sie ihre Geschichte strukturiert, ist ohne Frage faszinierend und kunstvoll, sie weiß einen damit voll und ganz einzunehmen. Ihren Figuren steht man aber stets etwas distanziert gegenüber. Das mag zum einen daran liegen, dass sie sich oft nahezu unangenehm schwer nachvollziehbar verhalten. Aber selbst wenn man es schafft sich damit anzufreunden, dass hier eine höchst dysfunktionale Beziehung beschrieben wird, die für alle Beteiligten mehr Leid als Erfüllung verursacht, bleiben die Charaktere die meiste Zeit kalt, fast schemenhaft. Dabei hat Rooneys Erzählweise durchaus etwas filmisches. Orte, Situationen und Settings werden beim Lesen mühelos lebendig. Die Figuren aber bewegen sich in diesen Szenarios, als hätten sie zu nichts eine Verbindung, was natürlich auch ein Sinnbild ihrer Gefühlslage ist. Das muss beim Lesen man akzeptieren, aber es ist oft kein Vergnügen.
Das filmische Potential von „Normale Menschen“ wurde entsprechend erkannt, Rooneys Roman dient als Vorlage einer 12-teiligen Serie, eine Kooperation zwischen der britischen BBC und dem amerikanischen On-Demand-Sender Hulu. Jeder weiß, dass Literaturverfilmungen manchmal schwierig sind, in diesem Fall kann die Verfilmung aber helfen, sich Marianne und Connell etwas mehr anzunähern. Die beiden Hauptdarsteller Daisy Edgar-Jones und Paul Mescal schaffen es, den Figuren die Wärme und Verletzlichkeit einzuhauchen, die man braucht, um sich von ihrem Verhalten nicht permanent abgestoßen zu fühlen. Interessant ist auch, dass in der Serie etwas funktioniert, das einen im Roman eher quält: die Ruhe, mit der beobachtet wird wie zwei schöne, intelligente, talentierte aber tieftraurige Menschen immer wieder aneinander scheitern. Dass man sich in unserer schnelllebigen Gesellschaft dafür Zeit nimmt, hat fast schon etwas Tröstliches.
Gleichzeitig unterstreicht die Serie jedoch auch das, was mir persönlich an „Normale Menschen“ am meisten Sorge bereitet. Daisy Edgar-Jones und Paul Mescal sind ein wunderschön anzusehendes Paar, gerade in ihrer Traurigkeit und Verletzlichkeit. Sie haben erfüllenden, sehr ästhetisch inszenierten Sex. Und offensichtlich stellen Marianne und Connell für viele, trotz ihrer wirklich schrecklichen Probleme und ihrem Unvermögen, miteinander glücklich zu werden, ein romantisches Ideal dar. So gab Connell Darsteller Paul Mescal erst kürzlich in einem Interview zu, dass er sich von Fans der Serie in den sozialen Medien massiv objektifiziert fühlt. Dass die Geschichte von Marianne und Connell bei vielen Menschen einen romantischen Nerv trifft, ist für mich das größte Problem an „Normale Menschen“. Es macht mich regelrecht traurig.
„Normale Menschen“ von Sally Rooney ist in deutscher Übersetzung im Luchterhand Literaturverlag erschienen. Eine Leseprobe gibt es hier. Die Verfilmung „Normal People“ kann man in Deutschland auf Amazon Prime über den kostenpflichtigen STARZPLAY Sender sehen.