Gelesen: Oskar Roehler „Selbstverfickung“

Wer sich während der Lektüre von Oskar Roehlers neuem Roman „Selbstverfickung“ fragt, was zum Teufel das alles eigentlich soll, der kriegt auf den letzten Seiten vom Autor persönlich die Antwort geliefert:

„…Dieses ist ein Stück deutscher, depressiver Literatur, eine Innenschau, ein Stück Befindlichkeits-Literatur. Dies ist kein Bildungsroman oder Romanessay, und schon gar keine Autobiographie. Dies ist kein Roman, der geschrieben wurde, um den Büchner-Preis zu bekommen. Es gibt keine Auflösung, keinen Konflikt, keine Liebesgeschichte und keine wie auch immer geartete Spannung. Es gibt keinen Helden in dieser Geschichte…“

Damit bringt es Roehler eigentlich so sehr auf den Punkt, dass man gar nicht viel mehr dazu sagen müsste. Bis dahin hat man über 250 Seiten damit zugebracht, seinem Antihelden, dem alternden Filmregisseur Gregor Samsa, beim Scheitern beizuwohnen. Beim Verzweifeln an der Branche, von der er früher einmal ein erfolgreicher Teil war. Bei der Frage danach, was der Sinn von all dem sein soll und der Unfähigkeit, eine Antwort darauf zu finden. Und natürlich beim Ficken (ausschließlich mit Nutten) und Onanieren (am liebsten auf den Bildschirm des heimischen Fernsehers).

„Selbstverfickung“ ist Oskar Roehlers erster Gegenwartsroman. Nach „Herkunft“, in dem er sich autobiografischer Anleihen aus seiner Kindheit und Jugend bediente und „Mein Leben als Affenarsch“, in das er Erinnerungen an seine Zeit als Punk im Berlin der Achtziger Jahre einfließen ließ, distanziert sich Roehler hier nicht umsonst vom autobiografischen Ansatz. Man möchte sich ungern vorstellen, dass das Bild des gescheiterten Samsa eines ist, dass er selbst von seiner Zukunft zeichnet. Warum es jetzt allerdings ausgerechnet bei „Selbstverfickung“ schwierig wurde, einen Verlag zu finden, ist nicht ganz so deutlich. Im Unangenehmen, im Schmutz und in der Schonungslosigkeit hat Roehler schon immer gerne mit beiden Händen gewühlt, sowohl in seinen Filmen als auch in seinen Romanen. Das ist aber auch seine unleugbare Stärke. Oskar Roehler traut sich einfach eine Spur mehr als die meisten anderen, oder, um es im passenden Jargon auszudrücken, er scheißt sich nichts. Kunst und Trash liegen bei ihm aber immer wieder faszinierend nah beieinander. Was er mit Filmen wie „Die Unberührbare“, „Der alte Affe Angst“ oder „Quellen des Lebens“ geschaffen hat, lässt die meisten Kollegen aus dem deutschsprachigen Raum leise weinend und winkend am Straßenrand zurück. Dann erinnert man sich aber auch mit Grauen an das Machwerk „Gierig“ aus dem Jahr 1999, das trotz guter Besetzung nicht nur inhaltlich und inszenatorisch total verpatzt war, sondern obendrein auch noch ein höchst fragliches Frauenbild propagierte.

Vielleicht ist es das Fehlen eines klassischen Inhalts, das viele deutsche Verlage davor abschreckte, „Selbstverfickung“ zu veröffentlichen. Oder wir kennen schlichtweg nicht die unredigierte Fassung, deren Lektorat Roehler schließlich zustimmte, was ihm doch noch den Weg zurück in sein Stammhaus Ullstein ebnete. Man schaudert direkt wieder ein bisschen, wenn man versucht sich vorzustellen, was für Abgründe sich da vielleicht ursprünglich aufgetan haben. Tatsächlich begeht Roehler mit dieser oberflächlichen Inhaltslosigkeit keinen Fehler. Er macht sowieso nicht besonders viel falsch in „Selbstverfickung“. Der Name seines Antihelden ist nicht umsonst Kafkas „Verwandlung“ entliehen. Das Irren Samsas durch die Straßen und Bordelle von Berlin mutet entsprechend kafkaesk an. Dank des uns angeborenen Voyeurismus ist der schonungslose Blick in die Handlungen und Gedanken einer derartigen gesellschaftlichen Randexistenz durchaus unterhaltsam und seine größte Stärke, sein bissiger Humor, ist Roehler zum Glück auch nicht abhanden gekommen. Dieser zeigt sich besonders an den Stellen, in denen Samsa in seine Vergangenheit als erfolgreicher Regisseur eintaucht. Hier weiß jemand, in all seiner Boshaftigkeit, wovon er spricht. Das ist pointiert und stellenweise schlichtweg urkomisch.

Er ist nunmal ein Künstler, der Roehler. Sein Stil ist so klar und eigenständig, das macht ihm so schnell keiner nach. Umso mehr sollte man sich im Vorfeld aber überlegen, ob man sich das antun möchte. Denn er holt einen gnadenlos ab, man mag das was er tut gut oder schlecht finden, egal ist es einem nie. Unwohlsein gehört bei ihm dazu, bei „Selbstverfickung“ spannt er den Bogen diesbezüglich einfach nochmal ein bisschen straffer. Gregor Samsa kehrt sich am Ende von allem Menschlichen ab und stellt fest, dass er sich auf allen Vieren, ohne Sprache, ohne Gleichgesinnte wohler fühlt. So viel Menschenfeindlichkeit sollte man schon schlucken wollen. Ob sie einem am Ende auch schmeckt, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Info: Regisseur und Autor Oskar Roehler polarisiert mit seinem dritten Roman „Selbstverfickung“. Er ist im Ullstein Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Dort gibt es auch eine Leseprobe.

Gelesen von: Gabi Rudolph

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