Gelesen: Matthew Weiner „Alles über Heather“

Dass Matthew Weiner schreiben kann, muss er mit seinem Debütroman „Alles über Heather“ nicht mehr beweisen. Weiner erfand und schrieb als Headautor die Serie „Mad Men“, für die „Sopranos“ war er ebenfalls als Autor tätig. Passionierte „Mad Men“ Gucker dürften wissen, dass Weiners Interesse nicht nur den offensichtlichen, großen Dramen gilt sondern besonders dem, was unter der Oberfläche der Gesellschaft passiert. Auch die Stadt New York scheint bei ihm immer eine besondere Rolle zu spielen. In seinem ersten Roman vereint er diese Motive: Das Sezieren der Beziehung einer aufstrebenden New Yorker Familie und das größtmögliche Drama zum Schluss. Denn „Alles über Heather“ beginnt wie eine Sozialstudie und endet als die Geschichte eines Mordes. Und das, prägnant und in aller Kürze, auf gerade mal 144 Seiten.

Leidenschaft steht nicht an oberster Stelle in der Beziehung zwischen Mark und Karen Breakstone, zumindest nicht von Karens Seite aus. Beide sind Anfang 40 als sie sich kennenlernen, und wenn man noch Kinder in die Welt setzen möchte, ist, wenn nicht direkt Eile, so doch wenigstens zügiges Vorgehen geboten. Die Vorzeichen sind zumindest befriedigend. „(… )Karen spürte, wie er sie begehrte. Und das gefiel ihr sehr.“ Es genügt für eine Beziehung, und es genügt, um gemeinsam ein Kind zu bekommen. Jenes Kind, die titelgebende Heather, fungiert dann auch als Ausgleich für alles, was Karen sonst im Leben fehlen mag. Sie wird zu ihrem Lebensmittelpunkt, eine symbiotische Mutter-Tochter-Beziehung, in der Mark sich mitunter als Vater außen vor fühlt. Aber es ist nicht nur Karen, die Heathers besonderem Charme erliegt. Heather ist ein außergewöhnlich schönes, kluges und emphatisches Kind, dem die Herzen nur so zufliegen. So auch das von Bobby Klasky, der Sohn einer Drogenabhängigen, dessen Leben so ganz anders ist als das von Mark und Karen. Sobald wir Bobby kennenlernen wissen wir auch: hier werden zwei Welten aufeinander treffen.

Während Karen darin aufgeht, das Leben ihrer Tochter bis ins kleinste Detail zu planen, Nachhilfestunden zu koordinieren und Freundschaften zu überwachen, geht Mark der ihm zugedachten Rolle nach, die Bedürfnisse seiner Familie zu befriedigen, macht Karriere, gelangt zu Reichtum und wird trotzdem nie das Gefühl los, in der Mittelmäßigkeit stecken zu bleiben. Bobby führt sein Weg währenddessen nach einer versuchten Vergewaltigung in das Staatsgefängnis von New Jersey. Die Wege der Protagonisten kreuzen sich nach Bobbys Entlassung, als die Fassade des Appartmenthauses, in dem die Breakstones leben, renoviert wird und Bobby Arbeit auf der Baustelle findet. Vor dem Haus trifft er auf Heather, und sein Lebensziel steht ihm plötzlich deutlich vor Augen: er muss sie haben. Er muss Heather besitzen, er will sie vergewaltigen und töten.

Trotz der Kürze seiner Erzählung nimmt Matthew Weiner sich viel Zeit, seine Figuren und ihre Lebensumstände zu etablieren. So richtig Fahrt nimmt die Geschichte erst ab gut der Hälfte auf. Ab dann entwickelt sie sich zum Glück stetig und überraschend. Die Wendungen, die der Plot nimmt, sind auch von Nöten, sonst wäre „Alles über Heather“ doch allzu vorhersehbar geblieben. Den Figuren fehlt zum Teil ebenfalls das entscheidende Quentchen Tiefe.
Eine Helikoptermutter und ein Vater, der ständig in der Angst lebt den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Die gute, schöne Tochter, die jeden für sich einnimmt, als Teenager aber das starke Bedürfnis entwickelt, sich von der übermächtigen Mutter zu distanzieren. Und nicht zuletzt Bobby, der mit seinen niederen Motiven und seiner animalischen Art den fast schon zu perfekten Gegenpol zur wohlstandsverwöhnten Breakstone Familie bildet. Allen Charakteren fehlt ein wenig der Biss, die Überraschung. Was die betrifft, wird man erst ganz zum Schluss in der Handlung fündig.

Am faszinierendsten ist an „Alles über Heather“ letztendlich Weiners Schreibstil. Trotz der Kürze wirkt alles auserzählt, der Spannungsbogen stimmt, man wird als Leser unmittelbar in die Geschichte integriert. Und das, erstaunlicherweise, obwohl sie fast komplett ohne wörtliche Rede auskommt. Die wenigen Sätze, die tatsächlich direkt gesprochen werden, setzen dann auch immer eine unerwartete Wendung in Gang. So lässt sich „Alles über Heather“ problemlos und äußerst unterhaltsam in einem Rutsch durchlesen. Nur die Wucht, die der Stoff eigentlich hätte haben können, bleibt im Gesamten leider eher aus.

Info: „Alles über Heather“ von Matthew Weiner ist im Rowohlt Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier. Anfang Dezember kommt Matthew Weiner für drei Termine nach Deutschland und in die Schweiz, um aus „Alles über Heather“ zu lesen:

01.12.2017 Frankfurt, Literaturhaus
02.12.2017 Berlin, Kammerspiele im Deutschen Theater
03.12.2017 Zürich, Kosmos

Gelesen von: Gabi Rudolph

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