Gelesen: Martin Suter „Elefant“

Pressebild_ElefantDiogenes-Verlag_72dpiDieser Martin Suter! Der kann einem aber auch gefühlt alles erzählen. Schwer überhaupt zu erklären, wie genau er das macht, aber der Schweizer Bestsellerautor braucht noch nicht einmal einen klassischen Thriller-Plot, um eine durchgehende Spannung zu kreieren, der man sich schwer entziehen kann. Manchmal scheinen seine Geschichten erst in genau diese Richtung zu gehen, aber dann fängt der Hase meist doch an, unerwartete Haken zu schlagen. Er hat ein unschlagbares Händchen für nahezu unerträgliche Fieslinge. Die Art von Mensch, die man eigentlich nur noch los werden möchte, die aber an einem klebt wie ein Pickel an einer miesen, schwer zu erreichenden Stelle. Außerdem ein Faible für Menschen, die Geheimnisse mit sich tragen und andere, die sie aufdecken wollen. Der Aufbau seiner Geschichten ist fast schon filmisch, geradliniger Plot, klare Sprache, Figuren, die so gut geschrieben sind, dass sie beim Lesen automatisch lebendig werden. Deswegen werden seine Bücher auch meist verfilmt, früher oder später.
Das gleiche „Schicksal“ dürfte auch seinen neuen Roman „Elefant“ ereilen. Bei der diesjährigen Berlinale wurde „Elefant“ im Rahmen des Berlinale Co-Production Market in der Reihe „Books at Berlinale“ interessierten Produzenten vorgestellt. Eine Verfilmung dürfte in diesem Fall besonders interessant werden, denn wie der Titel schon sagt, ist die Hauptfigur ein Elefant – er ist zwanzig Zentimeter groß, seine Haut ist pink und er leuchtet im Dunkeln.
Jener Elefant erscheint dem Obdachlosen Schoch eines Tages an seinem Schlafplatz, einer Höhle am Flussufer. Da Schoch gerade bemüht ist, dem Alkohol abzuschwören, glaubt er diese Vision erst einmal nicht. Wer traut schon seinen Augen, wenn er einen leuchtenden, pinkfarbenen Minielefanten vor sich sieht? Aber Visionen lassen sich nicht anfassen, dieser Elefant eindeutig schon. Schoch sucht Hilfe bei der Tierärztin Valerie, die die sogenannte „Gassenklinik“ betreibt, in der sie sich ehrenamtlich um die Hunde der Obdachlosen kümmert. Valerie erkennt sofort, dass Schochs Fund nicht nur außergewöhnlich, sondern auch höchst brisant ist. Eine Genmanipulation, von jemandem erschaffen, der bestimmt nicht glücklich über den Verlust seines kostbaren Werkes sein dürfte. Kurzerhand versteckt sie Schoch und den Elefanten in der leer stehenden Villa, die ehemals ihren Eltern gehörte.
Und natürlich soll Valerie Recht behalten. Dem Genforscher Roux ist es gelungen, in die Eizellen eines Elefanten den Farbstoff der Mandrillaffen sowie den Stoff Luciferin zu integrieren, der zum Beispiel für das Leuchten von Glühwürmchen verantwortlich ist. Mit Hilfe des Zirkusdirektors Pellegrini, der seine Elefantenkühe regelmäßig als Leihmütter zur Verfügung stellt, lässt er die befruchtete Eizelle von einer Elefantenkuh austragen. Leider entwickelt sich der Fötus nur langsam und nicht der Größennorm entsprechend, weshalb man mit einem baldigen Abort rechnet. Auch das wäre Roux recht, immerhin gäbe es dann Genmaterial, das man für weitere Experimente analysieren könnte. Aber dann kommt ihm der burmesische Elefantenflüsterer Kaung dazwischen, der im Zirkus die Elefanten betreut und der festen Überzeugung ist, dass der Minielefant nicht nur leben wird, sondern auch heilig ist. Zusammen mit dem betreuenden Tierarzt Reber plant er, den Abort vorzutäuschen und den Elefanten nach seiner Geburt in Sicherheit zu bringen.
Wie das Elefantchen bei Schoch in der Höhle landet und ob es Roux gelingt, ihn wieder in seinen Besitz zu bekommen, sei natürlich nicht verraten. Aber es ist eine spannende und höchst vergnügliche Jagd, die Suter inszeniert und die natürlich jede Menge moralischer Fragen aufwirft. Interessant ist dabei, dass er sich für seine Auseinandersetzung mit dem Thema der Genmanipulation nicht die Erschaffung eines Monsters, sondern eines Wesens ausgesucht hat, das nicht nur wahnsinnig niedlich ist (wie herrlich er ihn beschreibt!), sondern auch eine besondere Wirkung auf die Menschen hat, die ihm begegnen. Das verniedlicht die Problematik nicht, sondern macht sie, im Gegenteil, noch viel zwiespältiger. Was darf Genmanipulation und zu welchem Zwecke? Suter bemüht sich nicht, diese Fragen möglichst moralisch zu beantworten. Stattdessen erzählt er ganz nebenbei auch noch die Geschichte von Menschen, die glauben in einer Sackgasse gelandet zu sein und es am Ende doch noch schaffen, eine neuen Weg zur persönlichen Zufriedenheit zu finden. Das ist spannend, amüsant und vor allem unglaublich clever. Wie Martin Suter eben so ist.

Info: „Elefant“ ist der bereits 14. Roman des Schweizer Bestsellerautors Martin Suter, hinzu kommt noch die Business Class Reihe, die seine Kolumnen in Buchform vereint sowie Theaterstücke und Drehbücher. „Elefant“ ist im Diogenes Verlag erschienen und kann zum Beispiel hier käuflich erworben werden. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

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