Seit ein paar Jahren gilt Karl Ove Knausgard als die zeitgenössische Literatursensation schlechthin. Der norwegische Schriftsteller gelangte mit seinem autobiografischen Romanzyklus „Min Kamp“, dessen Titel aus naheliegenden Gründen nicht wörtlich ins deutsche übersetzt wurde, zu Weltruhm. Seit 2011 sind fünf der sechs Teile in deutscher Übersetzung erschienen, unter den Titeln „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“, „Leben“ und „Träumen“. Geschrieben hat Knausgard alle sechs Teile aber innerhalb von etwa zwei Jahren, jeder der sechs Bände ist, ganz nebenbei bemerkt, im Schnitt über 500 Seiten dick. Und dabei schreibt Knausgard einzig über sich selbst, sein Leben und sein Umfeld.
Ein literarisches Experiment, das einen Aufschrei rund um den Globus auslöste und inzwischen in zahlreicher Übersetzung vorliegt. Aber auch durchaus umstritten. Knausgards literarisches Schaffen ist in seinem Umfang und seiner Ausführlichkeit nahezu beispiellos. Ob Quantität gleich mit Qualität zu setzten ist, ist nicht umsonst einer der strittigsten Punkte der Kunst überhaupt. Dazu bleibt er im Schreiben stets bei sich. Und ist es nicht wahnsinnig narzisstisch, sich selbst zum Thema einer mehrere tausend Seiten dicken Buchreihe zu machen?
Ist es gewiss. Und Knausgard ist zudem alles andere als ein leicht zu greifender, ein nicht immer oberflächlich sympathischer Zeitgenosse. Wenn man als Frau liest, was er über seine Beziehung und seine Gefühlswelt schreibt, möchte man ihn als Mann nicht geschenkt haben. In Norwegen geriet die „Min Kamp“ Reihe unter anderem in die Kritik, weil Knausgard offen beschreibt, wie er oft seine Frau und Mutter seiner Kinder unterdrückt, um seine Vision vom Schriftstellerdasein um- und durchzusetzen. In der Essay Sammlung „Das Amerika der Seele“ sinniert er neben vielen anderen auch über dieses Thema und kommt zu dem Schluss: wenn er sich schon dafür entscheidet, ausschließlich die Realität abzubilden, dann hat auch diese Seite seiner Persönlichkeit ihre Daseinsberechtigung. Und zweitens: wer möchte schon über tausend Seiten hinweg dem Leben eines rundum glücklichen Paares folgen? Knausgard ist permanent auf der Suche nach der Wahrheit, und die tut manchmal weh und ist nicht dafür da, es jedem Recht zu machen. Letztendlich ist diese gnadenlose Selbstreflektion, diese schonungslose Härte mit sich selbst, auch seine größte Stärke. Knausgard schreibt, als wolle er versuchen, sich selbst zu einem besseren Menschen zu schreiben. Und mitunter scheint ihm das tatsächlich zu gelingen.
Stellt sich noch die Frage, warum man das letztendlich alles lesen soll, ob das nicht purer Psychokram im Zuge der Selbstherapie ist. Und auch diese beantwortet sich zum Glück recht leicht: Knausgard ist zum einen ein stilistisches Genie, zum anderen steckt hinter allem bei ihm auch immer der Unterhaltungswille. Er kann über 20 Seiten beschreiben wie er sein Kind anzieht und in den Kindergarten bringt, von der Auswahl der Kleidung bis zur Ankunft in der Einrichtung, und man hängt an seinen Lippen. Warum das genau so ist ist schwer zu sagen. Knausgard schreibt wie ein Getriebener, er zieht einen gnadenlos mit hinein in seine Gedankenwelt, in der es zum Glück einfach ziemlich spannend zugeht. Man muss nicht immer mit ihm konform gehen, manchmal kommt er sperrig und trocken daher, aber immer wieder wird man belohnt mit Gedanken und Schlüssen, die einen tief treffen und eine starke Identifikation ermöglichen.
In den Essays, die in „Das Amerika der Seele“ gesammelt sind, geht es um alles, was Knausgard beschäftigt. Um Fotografien von Francesca Woodman, Cindy Sherman und Sally Mann, um Bibelübersetzungen, um Hansums „Msyterien“ oder auch mal ganz schlicht und ergreifend ums Scheißen. Seine Gedanken zum Thema Breivik und Hitler sind, obwohl bereits vor vier Jahren verfasst, vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen treffender denn je. Und besonders stark wird es immer dann, wenn er seine theoretischen Überlegungen mit persönlichen Erlebnissen oder Erkenntnissen verbindet. Dann blitzt selbst in seinen Essays der trockene Knausgard Humor durch, von dem man nie wirklich weiß, ob er ihn selbst überhaupt als solchen empfindet.
„Das Amerika der Seele“ ist nicht wirklich ein Knausgard für Einsteiger. Mehr eine literarische Sammlung für die, die bereit sind, noch tiefer in den Kopf dieses wirklich seltsamen, wirklich faszinierenden Menschen einzutauchen. Man muss bei der Lektüre manchmal die Zähne zusammen beißen, aber man wird definitiv dafür belohnt.
Info: „Das Amerika der Seele“ enthält eine Reihe von literarischen Essays des norwegischen Besteller Autors Karl Ove Knausgard, verfasst zwischen 1996 und 2013. Es ist im Luchterhand Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
Gelesen von: Gabi Rudolph