Gelesen: „Hool“ von Philipp Winkler

Winkler-Hool-SUEs ist eine der literarischen Königsdisziplinen, Geschichten zu erzählen, die direkt dem Alltag entspringen und einen trotzdem in eine andere Welt mitnehmen. Die einen dazu zwingen, über den eigenen Tellerrand hinaus zu sehen und sich mit Dingen zu beschäftigen, die einem fremd aber doch nicht so weit entfernt von einem sind. Bewusstseinserweiterung durch Alltagsrealismus.
Philipp Winkler stellt sich mit seinem Debütroman „Hool“ in diese Tradition und nimmt seine Leser mit in die Hannoveraner Hooliganszene. Und er nimmt einen tatsächlich mit. Man braucht weder einen außerordentlichen Bezug zum Thema Fußball noch zu dem des Hooliganismus, um sich für das zu interessieren, was Winkler zu erzählen hat. Das liegt vor allem an dem ungemein starken Aufbau der Geschichte. Es geht direkt hinein in den ersten Kampf, oder auch „Match“, wie Hauptfigur und Ich-Erzähler Heiko es nennt, durch den unmittelbaren Einstieg werden die wichtigsten Punkte und Figuren sofort etabliert. Heikos Onkel Axel gibt den Ton an, Heiko drängt es nach mehr Mitbestimmung in der Gruppe, die ihm zwar versprochen, aber wieder zu wenig gegeben wird. Man präpariert sich mit Zahnschutz („keines dieser Billoteile aus Massenproduktion“), bevor man auf die Kölner Gegentruppe trifft. Der Dresscode ist rote gegen weiße T-Shirts und selbst als die Gewalt sich entlädt, bleiben doch klare Regeln in Kraft: wer bereits am Boden liegt wird nicht weiter traktiert.
Heiko arbeitet bei seinem Onkel Axel im Fitnesstudio und wohnt bei seinem Kumpel Arnim, der mit zwei blutrünstigen Kampfhunden und einem Geier auf einem heruntergekommenen Hof lebt und illegale Tierkämpfe veranstaltet. Später kommt sogar noch ein Tiger dazu. Heikos Vater ist Alkoholiker und hat seine zweite Frau aus Thailand mitgebracht, nachdem die Mutter die Familie verlassen hat. Das Verhältnis zur Schwester ist gestört, die Beziehung zu seiner Freundin gerade in die Brüche gegangen. Heikos wahre Familie sind seine Kumpels und sein Fußballclub, Hannover 96.
Philipp Winkler sucht in seiner Erzählung das Unmittelbare, die ungeschönte Realität. Aber zwei Seelen wohnen ach in der Brust dieses Romans. Der knallharte Realismus der Handlung, die wörtliche Rede der Figuren treffen auf Winklers zum Teil doch recht exaltierten Erzählstil, und manchmal will sich das so gar nicht vertragen. Man will jetzt jemandem wie Heiko nicht automatisch fehlende Tiefgründigkeit unterstellen, aber irgendwie stellt sich immer wieder das Gefühl ein, dass da etwas nicht stimmt. Es passiert immer dann, wenn Heiko seinen Blick nach außen richtet und seine Umwelt betrachtet. Da wandert das Rotlicht der Rücklichter „unsere Körper herab wie Quecksilber ein Thermometer“. Oder das Gras im Garten seines Vaters „ist nass vom Regen des Tages und leckt wie lange, grüne Chamäleonzungen an meinen Hosenbeinen empor“. Momente wie diese gibt es zu viele und sie werfen einen leider aus der Geschichte raus, da es nicht Heiko sondern Winkler ist der dann spricht, mit dem kapriziösen Duktus eines Literaturstudenten. Das ist schade und auch völlig unnötig.
Ebenso schade ist, dass die Nebenfiguren, die Heikos Konflikte und Entwicklung vorantreiben, zum Teil leider etwas schablonenhaft bleiben. Es gibt den Kumpel der aus der Szene aussteigt, weil seine Frau es verlangt. Den, der sich dank eines Jobs als Jugendfussballtrainers in eine verantwortungsvollere Richtung entwickelt. Und es gibt die Schwester, die mit ihrem geordneten Leben als Lehrerin mit Ehemann und Kind und ihren Versuchen, aus dem kaputten Haufen ihrer Verwandtschaft wieder eine Familie zu konstruieren, leider völlig klischeehaft geraten ist. Und auch über die Exfreundin, eine Morphium spritzende Krankenschwester, erfährt man leider viel zu wenig.
Aber es gibt auch diese unglaublich starken Stellen, in denen man Heiko nahezu schmerzhaft nah ist. Wenn er in seine Vergangenheit blickt und sich als kleiner Junge sieht, der stolz zum ersten Mal mit ins Stadion darf. Oder als Jugendlicher, der sich dem prügelnden Vater entgegen stellt. Die absolute Stärke von „Hools“ bleibt aber insgesamt der meisterhafte Aufbau. Gegenwart und Rückblenden verweben sich organisch und die Spannung wird bis zum Ende, an dem natürlich ein entscheidendes „Match“ steht, kontinuierlich aufrecht erhalten. Das hat so einen guten Fluss, ein so perfektes Tempo, dass man die Verfilmung quasi schon vor sich sieht. Es dürfte nicht lange dauern bis dahin.

Info: Philipp Winkler ist in Hagenburg bei Hannover aufgewachsen und studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim. Sein Debütroman „Hool“ schaffte es direkt auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2016. „Hool“ ist im Aufbau Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.aufbau-verlag.de