Gelesen: Heinz Strunk „Der goldene Handschuh“

Für sein neuestes Werk „Jürgen“ musste Heinz Strunk zuletzt harsche Kritik einstecken. Von Ideenlosigkeit und „Recycling“ war da die Rede. Auf Facebook schlug Heinz Strunk zurück und bezeichnete die Ein-Stern-Amazon-Rezensenten als „die Dümmsten der Dummen“. Tatsächlich erstaunlich, dass man es nicht verstehen will, wie ein künstlerisches Werk davon leben kann, dass man Figuren entwickelt und über Jahre hinweg immer wieder auferstehen lässt. Davon mal abgesehen gehört Heinz Strunk zu denen, denen man stilistisch so schnell nichts vormacht. So wie der Mann muss man sich erst einmal ausdrücken können.
Die einzige akzeptable Erklärung, die einem dazu einfällt warum man sich von „Jürgen“ enttäuscht fühlen könnte ist, dass die Fallhöhe zu seinem Vorgänger, Strunks siebtem Roman „Der goldene Handschuh“ unvermeidlich hoch ist. Denn „Der goldene Handschuh“ ist eindeutig (bis dato) Heinz Strunks Opus Maximum. Da stimmt auf nahezu erschreckende Weise so ziemlich alles. Figuren, Handlung und Stil, alles ist schmerzhaft konsequent. Schön ist es nicht, was man unter die Nase gehalten bekommt. Es trieft. Vor Pisse, Exkrementen, Hoffnungslosigkeit und zuletzt auch Blut.
Der zentrale Punkt ist jener Goldene Handschuh, die Hamburger Kiezkneipe, in der man sich seit 1953, 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr, 24 Stunden täglich, treffen kann. Traurige Berühmtheit erreichte der Goldene Handschuh in den siebziger Jahren durch den Fall des Serienmörders Fritz Honka. Honka war Nachtwächter bei Shell und ermordete vier Frauen, die er unter anderem im Goldenen Handschuh kennenlernte. Keine der Frauen wurde je als vermisst gemeldet, auch Beschwerden von Honkas Nachbarn über anhaltenden Leichengeruch (Honka zersägte drei der Frauen und verwahrte sie in seiner Wohnung) blieben lange ohne Folgen. Heute noch hängt über der Tür zum Goldenen Handschuh ein Schild, das der Kneipe den Untertitel Honka Stube gibt.
Die Umstände, die die Honka Morde umgeben, die späte Entdeckung, das nicht vermisst werden der Opfer, sagt alles darüber aus, in welchem Milieu sich Heinz Strunks Kiezroman bewegt. Es sind die Ausgestoßenen, der Rand der Gesellschaft, der sich im Goldenen Handschuh trifft. Am Tresen sitzen Leiche, Soldaten-Norbert und Fanta-Rolf. Ehemalige Nazis, gescheiterte Luden. Zwischendrin Fritz Honka, genannt Fiete. Im Handschuh kann man gut Frauen kennenlernen, heißt es. So wie Gerda, die sich lieber von Fiete einen ausgeben lässt, als wieder hinaus in die Kälte zu gehen. Sie sabbert beim Trinken, Fiete nennt sie eine Säberalma. Trotzdem nimmt er sie mit nach Hause, ihm gefällt die Vorstellung, sie zu versklaven. Sie könnte seine heruntergekommene Wohnung auf Vordermann bringen. Fiete setzt einen Schrieb auf, der sie verpflichtet, ihren freien Willen aufzugeben. Nach einer Weile verliert sich Gerdas Spur.
Der Geschichte des realen Fritz Honka setzt Strunk die der fiktiven Reederfamilie von Dohren gegenüber. Die beiden Handlungsstränge berühren sich nur leicht, zuletzt im Goldenen Handschuh, im Zusammenspiel ergeben sie aber die eigentliche Tragweite der Geschichte. Die menschlichen Abgründe, die überall lauern, sind an keine Gesellschaftsschicht gebunden. Der Unterschied ist mehr die Schwelle, deren Überschreitung es bedarf, von der Fantasie bis zur wahren Ausübung. Je tiefer man sich in den Abgrund derMenschheit begibt, desto geringer wird sie.
Heinz Strunk seziert seine Figuren. Er legt sie gnadenlos offen, aber von allen Seiten, ohne sie vorzuführen. Er lässt auch Raum dafür zu zeigen, wie gerade die Frauen, so weit unten angekommen sie zu sein scheinen, um einen letzten Funken Würde ringen. Er beleuchtet, analysiert, lässt Raum für Empathie, ohne an den falschen Stellen um Mitleid zu heischen. Wer gezielt platzierte Schockeffekte sucht, wird in „Der goldene Handschuh“ wenig fündig. Es ist ein einziger, lang gezogener Schrecken, den man ertragen muss. Aber da muss man durch. Es fühlt sich sehr berechtigt an, diese Geschichte derart meisterhaft zu erzählen.

Info: „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk ist im Rowohlt Verlag erschienen und seit März auch als Taschenbuch erhältlich. Es kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier

Gelesen von: Gabi Rudolph

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