Gelesen: Geoff Dyer „Aus schierer Wut“

Der britische Schriftsteller Geoff Dyer plant, eine Studie über D.H. Lawrence zu schreiben und scheitert dabei fast an sich selbst. Seine Versuche, kreative Blockaden und den Drang zum Verschieden zu überwinden, hat er in seinem Buch „Aus schierer Wut“ festgehalten. Unsere Rezensentin kann da gut andocken. 

Fikry_Wir da draussen_170316.inddIch gestehe hiermit: ich bin eine Meisterin der Prokrastination. Meine To-Do-Liste ist meistens so lang, dass ich schon nicht mehr überlege was ich wann schaffe, sondern welchen der Posten ich am ehesten hinten runter fallen lassen kann. Nachts jagen mich dann oft die Geister des nicht geschafften. Im Moment liegt zum Beispiel Geoff Dyers „Aus schierer Wut“ vor mir, über das ich unbedingt ein paar Zeilen schreiben müsste. Um sicher zu gehen, dass ich auch jederzeit damit anfangen könnte, schleppe ich das Buch seit Tagen zwischen Büro und Zuhause hin und her. Weil wenn es mich im Büro überkommt und mich die Muße für eine Rezension küsst, wäre es fatal, wenn es Zuhause auf dem Sofa liegt. Wenn ich es dann im Büro liegen lasse, packt es mich vielleicht abends, wenn die Kinder im Bett sind. Und wenn ich dann das Buch nicht zur Hand habe, um noch einmal einen Blick hineinzuwerfen, rückt die Motivation schon wieder in weite Ferne.
Ich weiß auch nicht, warum ich mich ausgerechnet mit diesem Buch so schwer tue. Eigentlich sind Geoff Dyer und ich wahre Geschwister im Geiste. Denn der britische Autor plant zum Ausgangspunkt von „Aus schierer Wut“, eine Studie über D.H. Lawrence, den ebenfalls britischen Autor, zu dessen bekanntesten Werken „Lady Chatterleys Liebhaber“ gehört. Eigentlich sollte es ein leichtes Unterfangen sein, denn Lawrence ist Dyers großes Vorbild, jemand, mit dem er sich bereits eingehend beschäftigt hat, an dem er sowohl menschlich als auch literarisch auf vielen Ebenen andockt. Im Geiste ist alles so klar, aber wie fängt man am besten an? Und ist es wirklich das richtige Werk zur richtigen Zeit? Eigentlich wollte Geoff Dyer auch einen Roman schreiben, wenn es sich mit Lawrence so schwierig anlässt, könnte er diesen ja zuerst schreiben.
Erst einmal wäre es aber günstig zu klären, wo es sich am besten schreiben lässt. In seiner Wohnung in Paris wohnt er zur Untermiete, als er die Gelegenheit erhält, Hauptmieter zu werden, wird sein Empfinden dafür, wo er leben und arbeiten möchte, gehörig auf den Kopf gestellt. Eigentlich hängt er an der Wohnung, eigentlich aber auch nicht. Seine Freundin lebt in Rom, das ist aber der gänzlich falsche Ort zum Schreiben. Man entscheidet sich für einen gemeinsamen Urlaub auf der griechischen Insel Alonnisos. Räumliche Begrenztheit, Ruhe und Abgeschiedenheit – wenn das die Kreativität nicht in Gang setzt! Vorab muss aber entschieden werden, welche Bücher zur Recherche ins Reisegepäck dürfen. Man muss natürlich eine Wahl treffen, aber wie das so ist mit der Auswahl, eigentlich weiß man schon im Voraus, dass es die falsche sein wird. Also reist Dyer mit seiner Freundin nach Griechenland, nur um dort herauszufinden, dass natürlich die falschen Bücher im Koffer sind, die Abgeschiedenheit erdrückend ist und die Hitze einen lähmt. So kann man doch nicht arbeiten!
Geoff Dyers Abrechnung mit sich selbst, seiner Schreibblockade und seinem krankhaften Bedürfnis, Dinge zu verschieben ist so schonungslos ehrlich, dass es mir beim Lesen die Tränen in die Augen getrieben hat. Ob vor Lachen oder Mitleid, da war ich mir manchmal nicht so sicher. Denn so sehr ich mich auch in Dyers Unvermögen, Dinge in Angriff zu nehmen, wiederfinden kann, genauso oft habe ich auch das Bedürfnis, mich von ihm zu distanzieren. An Tagen, an denen ich gut in meinem Pensum bin, neige ich nämlich zu regelrechten Euphorieschüben. Diese scheinen Dyer die meiste Zeit leider verwehrt zu bleiben. Er sagt von sich selber, dass er das Gefühl des permanenten Scheiterns braucht, dass es ein fester Teil von ihm ist. Ob das jetzt tatsächlich schonungslose Selbsterkenntnis ist oder auch etwas Koketterie im Zuge der literarischen Konsequenz, sei dahin gestellt. Aber das Lachen bleibt einem öfter mal im Halse stecken, wenn man Zeuge wird, wie gnadenlos sich Dyer durch seine Schaffenskrise quält.
Am Ende entsteht vor den Augen des Lesers von „Aus schierer Wut“ letztendlich wie zufällig das, womit man zu Anfang kaum gerechnet hätte: ein Portrait des Schriftstellers D.H. Lawrence. Das ist tatsächlich die größte Lehre, die man aus Dyers Abhandlung lernen kann, ein wahres Goldstück an Inspiration für jeden, der öfter mal damit kämpft, wie er die Dinge in Angriff nehmen soll: es ist alles eine Frage der Perspektive. Es gibt keine vorgeschriebene Form, aus der heraus etwas entstehen muss. Einfach mal in sich selber rein horchen, gucken was da entsteht und ob sich nicht eine andere Tür öffnet. So wie ich, die einst eine Rezension über das Buch eines Schriftstellers, das von seiner Unfähigkeit handelt, über einen anderen Schriftsteller zu schreiben, mit einem Geständnis über ihre eigenen Schreibblockaden und Verschiebungsorgien anfing.
Währenddessen hat mich übrigens die neben mir auf dem Sofa liegende Häkelarbeit buchstäblich wollüstig angegrinst. Ich habe lässig zurück gegrinst. Und weiter geschrieben.

Info: „Aus schierer Wut“ von Geoff Dyer wurde von Stephan Kleiner ins deutsche übersetzt und ist im DuMont Verlag erschienen. Es kann hier käuflich erworben werden. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

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