Es ist eine unglaubliche Bereicherung für die Welt, dass es Frauen wie Elif Shafak gibt. Wie sie mit einer augenscheinlichen Leichtigkeit in die Lebensweisen anderer Städte, Kulturen und Menschen hinein blicken lässt, das ist die Art von Fiktion, die nicht nur unterhält sondern auch den Horizont erweitert. Nicht umsonst ist Elif Shafak eine der erfolgreichsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen der Türkei. Eine derartige Position geht nicht mit Konflikten einher und so wurde Shafak 2006 angeklagt, in ihrem Roman „Der Bastard von Istanbul“ das Türkentum beleidigt zu haben, ein Vorwurf, von dem sie letztendlich vor Gericht freigesprochen wurde, der die Schriftstellerin aber nachhaltig geprägt haben dürfte. In einem Interview mit der FAZ zu ihrem aktuellen Roman „Der Geruch des Paradieses“ sagt Elif Shafak, dass es immer schwieriger wird, sich offen über die Türkei zu äußern. Und auch Peri, die Hauptfigur in „Das Geruch des Paradieses“ beobachtet, dass der religiöse und politische Fundamentalismus in Istanbul wieder auf dem Vormarsch ist.
Peri ist auf dem Weg durch das Istanbuler Verkehrschaos zu einem Dinner, als ihre Handtasche aus dem Auto gestohlen wird. In einer Aktion zwischen Heldenmut und Wahnsinn erobert sie ihre Tasche zurück, wobei ihr ein altes Polaroidfoto aus ihrer Vergangenheit in die Hände fällt. Das lange gut verstaute Foto setzt eine Flut von Erinnerungen in Gang. Es ist die Zeit ihres Auslandsstudiums in Oxford, die sie während des Dinners Revue passieren lässt, die Freundschaft zu ihren Kommilitoninnen Shirin und Mona und die von einem Skandal überschattete Verbindung zu Professor Azur, bei dem sie, wie auch Shirin und Mona, ein Seminar über Gott besuchte. Die drei Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein. Auf der einen Seite die hitzige Shirin, eine Britin iranischer Herkunft, die die Religion, in die sie, wie sie sagt, ohne eigene Entscheidung hinein geboren wurde, von Grund auf ablehnt. Auf der anderen Seite Mona, halb Amerikanerin, halb Ägypterin, die ihr Kopftuch mit Stolz trägt, in ihrer Religion Zuflucht findet, sie ist ein ruhigerer Charakter als Shirin aber voller Kampfgeist, wenn es darum geht sich gegen Vorurteile zu wehren. Und in der Mitte Peri, deren Position genau das stets zu sein scheint: die ewig Mittige, gefangen zwischen den Polen, als Kind zwischen der streng gläubigen, Koran treuen Mutter und dem säkularen Vater, der sich lieber dem Raki als Allah hin gibt. Im Studium dann zwischen Mona und Shirin, die beide in unterschiedliche Richtungen eine starke Meinung vertreten. Peri fühlt sich immer beiden Seiten zugetan aber nie so, dass das Pendel in eine Richtung ausschlägt. Sie glaubt an Gott aber weniger an das Konstrukt der Religion, und so erhofft sie sich neue Einsichten durch Professor Azur, der in einem umstrittenen Seminar versucht, Gott außerhalb des Kontexts der Religion zu diskutieren. Aber ist er ein Scharlatan, der seine Studenten zu seinen Nutzen manipuliert? Oder der Mensch, der Peri helfen kann den dunklen Schatten loszuwerden, den sie ihr ganzes Leben lang glaubt mit sich zu tragen?
Elif Shafak springt in ihrer Erzählung zwischen zwei entscheidenden Phasen in Peris Leben, denn während die Dinnerparty anfangs wie eine verbindende Rahmenhandlung wirkt, entpuppt sie sich im Lauf des Abends doch als entscheidender Einschnitt. Es ist so viel, was Shafak erzählt und sie tut es so mühelos, ganz leicht kommt ihre Erzählung daher und trotzdem so tief. Die Bilder, die sie kreiert, sind unglaublich lebendig, sowohl vom Leben einer verheirateten Mutter in Istanbul als dem einer jungen Studentin im Ausland. Peris Zerrissenheit mag dabei auch Shafaks eigener entspringen, sie selbst schreibt im Nachwort, dass man sein Mutterland liebt, es einen gleichzeitig aber auch zur Verzweiflung bringen kann. Doch während Peri ihre Position der ewig Mittigen als Last empfindet, die sie letztendlich auch zu dem schwerwiegendsten Fehler ihres Lebens treibt, ist es genau diese emotionale Ausgewogenheit, die Shafak als Autorin so stark macht. Die Liebe zur Türkei und zu Istanbul ist stets spürbar, aber ohne zu verklären und mit einem wachen Auge auf Missstände, die sie mutig aufzeigt. So erzählt sie von Peris Brüdern, der eine als kommunistischer Student inhaftiert und im Gefängnis gefoltert, der andere, streng gläubig, schickt seine frisch vermählte Braut in der Hochzeitsnacht zum Jungfräulichkeitstest ins Krankenhaus.
Shafak sagt von sich selbst, dass ihr diese Offenheit nicht immer leicht fällt, dass sie sich während des Schreibens frei, nach der Vollendung eines Romans aber oft ängstlich fühlt. Aber all das macht sie zu einer wichtigen Stimme in der heutigen Zeit, in der Vorurteile, Angst und Wut gegenüber fremden Kulturen an der Tagesordnung sind. Darüber hinaus ist sie schlichtweg eine große Erzählerin, die von der ersten bis zur letzten Seite zu unterhalten weiß.
Info: Elif Shafak wurde 1971 in Straßburg geboren. Sie lebt in London und schreibt auf Türkisch und Englisch. Ihr aktueller Roman „Der Geruch des Paradieses“ ist im Kein & Aber Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
Gelesen von: Gabi Rudolph