Palma Violets sind der neue Stern am britischen Indie-Himmel. Das Rough Trade-Imperium schlägt erneut zurück und verspricht DIE Band, auf die wir alle seit Jahren gewartet haben. Am 22. Februar ist das Debütalbum „180“ erschienen.
Der New Musical Express erzählt viel, wenn der Tag lang ist. Kaum hatten Palma Violets ihre Debütsingle Best of Friends aufgenommen, kürte sie das hypesüchtige Magazin bereits zur besten Single 2012. Gebetsmühlenartig gingen die Vergleiche los und schnell war man sich einig: das sind die neuen Libertines. Der Sound ist vermeintlich ähnlich und als die Libertines Fahrt aufnahmen, waren sie in etwa so alt wie es die Mitglieder von Palma Violets jetzt sind. Die Jungs haben sich ebenfalls mit unzähligen Konzerten in London einen Namen gemacht und die beiden Frontmänner Sam Fryer und Chili Jesson haben Gerüchten zu Folge eine ähnliche Bühnenpräsens wie einst Karl und Pete. Nicht zuletzt verbindet die beiden Bands das vermeintlich geweihte NME-Cover und natürlich das Label: Rough Trade. Geoff Travis hat schon viele große Entdeckungen gemacht –nun sollen es Palma Violets sein.
Versus Milchkaffee und Jutebeutel
Die prämierte Single „Best of Friend“s eröffnet das Feuerwerk. Spätestens nach der zweiten Strophe ist klar, hier braucht man als Rezensent erst gar nicht mit den Vaccines oder Tame Impala anzufangen. Nee, nee – hier werden direkt die schweren Geschütze aufgefahren! In bester Joe Strummer-Manier schmettern Sam und Chili ihren Freiheitsdrang dem völlig entgeisterten Zuhörer entgegen. „I wanna be your best friend. I don’t want you to be my girl!“ Ich mache prompt den Fehler und höre die Platte zum ersten Mal beim Frühstück. Spontan habe ich das starke Bedürfnis mein Bio-Vollkornbrötchen mit Fair-Trade-Marmelade wutentbrannt gegen die nächstbeste Wand zu zimmern! Verdammt! War es die unverblümte Zurückweisung der Jungs oder die rohe Schweiß geschwängerte Energie, die sie mir plötzlich um meine frisch geduschten Ohren schlugen? Wie konnte das passieren!? Vor lauter melancholischem Pop-Gedudel hatte ich völlig vergessen, wo meine musikalischen Ideale waren. Sie haben mich ertappt. Mit dem akustischen Finger zeigen sie förmlich auf mich! „Du mit deinem Milchkaffee und dem Schnörres auf dem Jutebeutel!! Du hast dich verkauft!!!“ Wie rechts sie haben. Beschämt schiebe ich den Teller zur Seite und hole mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Scheiß Heuchler.
Schon fast sakral beginnt „Step Up for the Cool Cats“ mit der guten, alten Hammond-Orgel. Zurückhaltend rascheln die Cymbals und der Schellenkranz. Dann setzt Sam Fryer mit seiner tiefen, herrlich verbrauchten Stimmer ein. Entweder litt der 20jährige bei den Studioaufnahmen unter einer schlimmen Nasennebenhöhlenentzündung oder er begrüßt seit einiger Zeit jeden Tag mit einer Flasche Tanqueray. Ich fühle mich in eine andere Zeit versetzt. Will Doyle hämmert zwischenzeitlich so schön auf sein Schlagzeug ein, dass es einen vom Stuhl reißt und wenn Sam intoniert „You got me dancing in the sun!“ gibt es kein Halten mehr.
So schnell wie die Euphorie einsetzt, so schnell verfliegt sie auch wieder. Die Stimmung schlägt plötzlich um. „All the Garden Birds“ ist tatsächlich ein Song, der so oder so ähnlich von den Libertines oder Babyshambles kommen könnte. Zumindest die Melodie. Textlich können Palma Violets mit dem Indie-Poeten Pete Doherty noch lange nicht mithalten. Aber WER verlangt das denn? Ein ganz prägnantes Merkmal der Band ist die bereits erwähnte Hammond Orgel beziehungsweise das Keyboard (Pete Mayhew). Die psychedelischen Tendenzen unterscheiden die Jungs ganz gewaltig von den Libertines. Also Schluss mit dem ewigen Vergleich! Palma Violets stehen schon genug unter Erwartungsdruck!
Der Sound tänzelt permanent zwischen experimentellem Psychodelic Rock und lupenrein geschreddertem Punk. „Rattlesnake Highway“ erinnert mich anfangs sogar an Rancid‘s Ruby Soho oder die Sex Pistols. Track Nummer 5 schleicht sich mit brachialem Getrommel an. „Chicken Dippers“ ist einer der besten Songs auf der ungemein guten Platte. Ich denke an Iggy Pop. Die heiseren Stimmen, der plötzliche Geschwindigkeitswechsel, die kreischenden Gitarren, der Bass – da passt einfach alles. „And you make me feel like I’m the only one! UHHHHHHHH!“ Und genau das tun sie.
„Last of Summer Wine“ beginnt so sphärisch wie einst Velvet Underground, verwandelt sich aber sehr schnell in eine unbeschwerte Indie-Hymne. „Tom the Drum“ und „Johnny Bagga Donuts“ klingen als hätte man sie vor 40 Jahre aufgenommen. Schöne, instrumentelle Songs. Nicht glattgebügelt und perfekt produziert. Bei „Tom the Drum“ hört man jemanden im Hintergrund wild klatschen und „fuckin‘ brilliant“ schreien. Vor meinem inneren Auge erscheinen ein ranziges Studio, volle Aschenbecher, leere Flaschen und ein Haufen im Takt nickender Menschen. Aber das ist möglicherweise nur einer Folge meiner überschwänglichen Schwärmerei! Gitarren-Romantik eben! Genau vor dieser sprüht „I Found Love“. Doch wenn Sam mit „You are my serpentine but I’ll never look you in the eyes again” endet, zerbricht diese zarte Hoffnung auch schon wieder.
Alles richtig gemacht
Den Abschluss macht „14“. Hinter der ganz netten Ballade versteckt sich etwas viel interessanteres: Das Äquivalent zur B-Seite – der Hidden Track. Die Jungs geben sich ironisch. „I’ve got a brand new song, it’s gonna be number one.“Nicht ganz so rotzig-angewidert wie Iggy’s Success, aber das kann ja noch werden.
Palma Violets machen alles richtig. Die Platte hat Ecken und Kanten und man hört ihr definitiv nicht an, dass die Jungs eigentlich brave Internatsschüler aus einem Londoner Vorort sind. Den Vorwurf der mangelnden Authentizität mussten sich die Strokes auch ewig gefallen lassen. By the way: der große Pete Doherty kommt aus gutbürgerlichen Verhältnissen, gewann Poesie-Wettbewerbe, war Kulturbotschafter in Russland und studierte (zeitweise) Englische Literatur. Was soll der ganze Mist also?
Palma Violets haben ein großartiges Debütalbum hingelegt und ich für meinen Teil, kann es kaum erwarten die Jungs live zu sehen. Ohne Schnörres-Jutebeutel – versteht sich!
Gehört von: Julia Floß
VÖ: 22.02.2013