Was war die Freude groß, als „The 20/20 Experience“ ihren Weg in unsere Redaktionsräume fand. Das neue Justin Timberlake Album, nach fast sieben Jahren Abstinenz! Denn seien wir mal ehrlich, zumindest hier bei uns gibt es niemanden, dem der Name Justin Timberlake kein verzücktes Kichern entlockt. Dementsprechend entbrannte ein regelrechtes Hauen und Stechen, als es darum ging, wer sich Herrn Timberlakes neuem Werk annehmen solle. Knobeln? Kämpfen? Es schien keine Lösung in Sicht. Also entschieden wir uns für die diplomatischste aller Möglichkeiten: wir beschlossen, gemeinsam zu hören und danach zu entscheiden. Eine überaus interessante Entscheidung, denn es war nicht abzusehen, was für einen Diskurs „The 20/20 Experience“ entfachen würde. Denn, obwohl wir uns auf ein bewusstseinserweiterndes Erfahren gemeinsamer Euphorie eingestellt hatten, ließ uns JTs neues Werk am Ende hauptsächlich ratlos zurück.
Vorweggenommen sei: Niemand will bestreiten, dass es sich bei „The 20/20 Experience“ um ein überaus ambitioniertes, zum Teil auch sehr überraschendes Popwerk handelt. Schon im Eröffnungssong „Pusher Love Girl“ nähert sich Justin Timberlake mehr denn je seinem großen Vorbild Prince an – und muss sich diesbezüglich auch weniger denn je verstecken. „Suit & Tie“ kennt man ja bereits, eine Midtempo Nummer, so lässig wie ein übergeworfenes Designer-Jackett zu locker gebundener Krawatte, die dank Jay Z noch eine zusätzliche Portion an Coolness ab bekommt. Aber dann wird es auch schon schwierig. Der Großteil der Songs besticht durch extrem gut ausgetüftelte Beats, zum Teil auf wirklich erstaunlichem Niveau. Auch diesmal zeichnet dafür JTs langjähriger Weggefährte Timbaland verantwortlich, und vieles von dem, was es auf „The 20/20 Experience“ zu hören gibt, hebt sich deutlich vom über die Jahre doch recht strapazierten Timbalandschen Einheitsbrei ab. „Tunnel Vision“ ist eine dieser Nummern, das bounct so toll, man bräuchte fast Stoßdämpfer für den Bürostuhl. Aber in der überaus hochwertigen Produktion der Platte liegt gleichzeitig auch die Krux: Es fühlt sich ein wenig so an, als habe man vor lauter Beats und Tricks ganz einfach das Songwriting vergessen. So ganz ins Ohr will keiner der Songs wirklich gehen. Und das bei Justin Timberlake, der uns schon mit richtig großen Popsongs versorgte, als ihn ein Großteil der Musikszene als Ex-Boyband-Mitglied noch gar nicht richtig ernst nahm. So bleibt am Ende des Gesamthörerlebnisses ein Gefühl der Enttäuschung zurück, mit dem wir in diesem Fall nicht gerechnet haben.
Über all dem aber schwebt die Ratlosigkeit. Das künstlerische Bestreben, das hinter „The 20/20 Experience“ steht, will sich nicht so recht erschließen. Warum über weite Strecken der Verzicht auf eingängige Melodien, bei der aktuellen Single „Mirrors“ dann plötzlich der ganz tiefe Griff in die Kitschkiste? Und warum werden einige Songs auf über sieben Minuten (Über)länge ausgereizt, wenn nach drei Minuten eigentlich alles gesagt ist? Im besten Falle („Blue Ocean Floor“) wirkt das hypnotisch, im schlechtesten („Let The Groove Get In“) nahezu unerträglich nervig, im Regelfalle einfach nur langweilig. Aber: inzwischen hat Justin Timberlake angekündigt, dass er noch dieses Jahr einen zweiten Teil von „The 20/20 Experience“ veröffentlichen wird. Vielleicht werden sich die Rätsel dann ja lösen und das Projekt sich als ein ausgeklügeltes Gesamtkunstwerk herausstellen. Bis dahin freuen wir uns darüber, dass Justin Timberlakes Rückkehr zur Musik uns eine Vielzahl großartiger Fernsehauftritte beschert hat, die an Unterhaltsamkeit kaum zu überbieten sind – wer schafft es schon, in einem Format wie „Wetten Dass…?“ so gut auszusehen wie er? Durch sind wir mit „The 20/20 Experience“ noch nicht. Wir versuchen es weiter, versprochen!
Gehört von: Gabi Rudolph & Stefanie Seidel