Fryars im Interview

Der Londoner Sänger und Produzent Fryars aka Benjamin Garrett sitzt ein wenig rastlos neben mir und nimmt seine dunkle Sonnenbrille während des gesamten Interviews nicht ab. „Ich habe kaum geschlafen“, erklärt er. Noch am Abend zuvor hatte er einen Auftritt im Rough Trade Recordshop in London. Es hatte ihn überrascht, dort so viele Leute zu sehen, die gekommen waren, um seine Show zu bewundern. Anscheinend hatte es Glück gebracht, dass er kurz vor dem Auftritt in Hundescheiße getreten ist und diese dann nichtsahnend durch seine Schuhe über das auf dem Boden liegende Eqipment verteilte… Scheiße gelaufen, aber der Auftritt war laut seiner Erzählung trotzdem gut. In Fryars‘ Konzeptalbum „Power“ sollte man unbedingt reinhören. Mehr als das, am Besten von Anfang bis zum Ende durchhören, um dieses chaotische, durchdachte Kunstwerk zu verstehen und sich in Fryars‘ Welt zu verlieren. Wie und wieso erklärt Benjamin Garrett hier und erzählt außerdem noch von seinen Träumen, Schaufensterschlafzimmern und nächtlichen Telefonaten mit seiner guten Freundin Lily Allen.

Letzte Woche hast du in London in der Denmark Street eine ziemlich verrückte Aktion gestartet: listentomyfuckingmasterpiece.com, einen Pop-Up Store als Installation mit Kino und Shop, in dem du dein Album „Power“ verkauft hast. Das ganze wurde als Live-Stream auf YouTube gezeigt, drei Tage lang hast du in dem Schaufenster geschlafen und deine Telefonnummer veröffentlicht, offen für Anrufe und Fragen und was auch immer so passiert. Was ist alles so passiert?

Der Shop sah so aus: unten im Laden haben wir den Film gezeigt, oben gab es das Album zu kaufen und Gegenstände aus der Zeit der Albumaufnahme wurden ausgestellt. Im Schaufenster stand mein Bett. Ich hatte sogar einen Securityguard. Dadurch habe ich mich sehr sicher gefühlt und trotz Schaufenster so gut geschlafen wie noch nie zuvor. Obwohl ich auch ein bisschen Angst vor ihm hatte. Er war schon vorbestraft und hat mir immer Geschichten aus seinem Leben erzählt. Fremde Leute haben mich auf dem Telefon angerufen, manchmal hatte ich längere interessante Gespräche und manchmal rief jemand an, um dann direkt wieder aufzulegen. Lily Allen hat mich einmal sehr spät angerufen, was gleichzeitig live gestreamt wurde. Neun Leute haben sich das bei Google Hangout angeguckt. Merkwürdig, oder?

Die Idee ist ziemlich cool, dafür dass es einfach mal eine andere Herangehensweise an eine Albumspräsentation ist. Hast du auch Kritik dafür bekommen? Es könnte ja auch als verzweifelter Versuch ankommen, irgendwie sein Album unter die Leute zu bekommen.

Die ganze Aktion war nicht nur als Witz gedacht. Natürlich sollte es Aufmerksamkeit erregen, aber auch gleichzeitig ein bisschen etwas von mir preisgeben und Präsenz meiner Person in Verbindung mit dem Album zeigen. Ich bin kein Riesensuperstar, deswegen denke ich nicht, dass es verzweifelt wirkt. Ich wollte es einfach ausprobieren, so als Art Kunstprojekt.

Was ist das Merkwürdigste, was dir während der drei Tage Schaufensterleben passiert ist?

Einmal hat ein älteres Paar an die Scheibe geklopft und gerufen: „Ist das fürs Internet? Was machst du da?“ Ich hab dann ganz schnell mein Handy genommen und wollte ein Foto von ihnen für Instagram machen, da sind sie ganz schnell weggerannt. Es ist interessant, wie die ältere Generation diese ganze Foto-Internet-Geschichte wahrnimmt.

Dein Album „Power“ wird als Konzeptalbum präsentiert, jeder Song funktioniert als eine Szene und prinzipiell könnte man das Album als Art Film verstehen, weswegen du auch einen Film extra dafür gemacht hast.

Der Film soll das Album visualisieren. Es geht darin um einen Traum, den ich habe und dann wird dieser Traum wiederum in dem Film visualisiert und ich sehe ihn mir an. In einem weißen Raum sitze ich auf einem Stuhl, vor mir wird der Traum auf einer Leinwand abgespielt. Ich wünsche mir, dass die Leute das Album von Anfang bis Ende durchhören. So etwas tun die meisten heutzutage ja eher selten. Der Film könnte dabei helfen.

Der Zuschauer sieht sich an, wie du in dem Film deinen Traumfilm ansiehst. Die gleichen Ebenen gibt es auch beim Anhören des Albums. Ein Zuhörer hört sich an, wie du von deinem Traum bzw. einer Geschichte erzählst.

Das passt doch, oder? Das Album ist ein Konzeptalbum über verschiedene Charaktere. Am Ende des Films sieht man mich mit einem alten Mann zusammensitzen, der mich fragt, worum es in meinem Traum geht und ich fasse es einmal kurz zusammen. Ich habe mal ein 30-Seiten-Skript für einen anderen Film geschrieben und dieser Film hier erzählt genau davon, dass ich den anderen Film nie gemacht habe. Sondern eben dann das Album.

Der alte Mann fasst dich am Ende so zusammen: ‚You’re a very strange man.“

Der alte Typ in dem Film ist ein Mann, dessen Aussehen ich einfach lustig fand. Eigentlich soll er meinen Kumpel Luke repräsentieren, der mir bei dem Album geholfen hat. Luke und der Mann haben keinerlei Ähnlichkeit und Luke ist ungefähr dreißig Jahre jünger. Gerade deswegen fand ich es umso lustiger, weil Luke selber nicht in dem Film mitmachen konnte. Den Satz „You’re a very strange man“ hat Luke mal in einem anderen Zusammenhang über mich gesagt. Der ganze Film hat so eine Traumlogik, die wahrscheinlich nur für mich selber Sinn macht.

Über dich wird auch gesagt, dass du der neue verrückte Professor des Pops bist. Und dass das Album wie ein Einblick in das chaotische Gehirn eines Musikers ist.

(lacht) Ich bin überhaupt nicht so. Eher das komplette Gegenteil. Ich bin total besessen von Kontrolle. Alle denken ich sei so mysteriös. Ich selber kann das nicht verstehen, aber ich kenne mich ja auch. Generell ist Mysteriöses in der Popmusik positiv zu betrachten, da es die Leute neugierig macht und sie herausfinden wollen, was dahintersteckt. Oder auch nicht.

Was hat es mit dem Albumcover auf sich?

In der Geschichte, die ich erzähle, geht es um einen Typen, der eine große Maschine baut, die der ganzen Welt Strom geben kann. Er lebt mit seiner Frau in einem riesigen Hochhaus. Auf dem Cover sieht man ihn in seinem Hochhaus, seine Maschine im Hintergrund. Die Powerstation. Es sieht auch ein bisschen aus wie ein Golfball. Weil es nämlich ein Golfball ist.

Das Album scheint chaotisch, aber es ist ein organisiertes Chaos. Abstrakt, mit einer überirdischen Atmosphäre. Es ist eine Herausforderung, weil man in verschiedene Richtungen gezogen und gedrängt wird.

Man muss es sich mehrmals anhören, um es zu verstehen. Ich weiß, das ist viel verlangt. Es gibt eine Logik dahinter, warum die Stile und Sounds vermischt wurden. Es sollte sich anhören, als ob man sich in der Zeit bewegt und sich an verschiedenen Orten befindet. Es ist opulent, wohin gegen heutzutage eher minimalistische Dinge kreiert werden. Die individuellen Tracks haben auch minimalistische Qualitäten, aber das große Ganze eben nicht.

Was ist deiner Meinung nach die perfekte Situation, in der man sich „Power“ anhören sollte?

Ein bisschen so wie es im Film präsentiert ist. Mit dem gleichen Aufbau: ein weißer Raum mit einem Stuhl in der Mitte. Ohne Ablenkungen.

Und dazu den Film sehen?

Nicht unbedingt, denn das ist ja meine Interpretation der Musik. Man soll ja dann seine eigenen Bilder dazu entwickeln. Als ich gerade umgezogen bin, wollte ich mir tatsächlich genau so ein Zimmer einrichten. Einfach nur weiß, mit einem Stuhl in der Mitte und einem Plattenspieler. Ein Listening Room, nur zum Musikhören. Aber so viel Platz habe ich dann doch nicht, dass ich dafür einen Raum hergeben kann.

In dem Film zum Album wird dein Traum erzählt. Erinnerst du dich immer an deine Träume?

Morgens ja. Ich liebe es zu träumen. Ich bin merkwürdigerweise sogar in der Lage meine Träume zu beeinflussen. Bei diesen luziden Träumen habe ich die Fähigkeit willentlich zu steuern was passieren wird. Meine Magic Dreaming Power. (lacht)

Nicht schlecht. Was passierte in deinem letzten Traum? Kannst du dich erinnern? Oder an einen immer wiederkehrenden Traum?

Ich wurde immer von einem Hund gejagt! Immer die gleiche Straße, die bergauf verlief.

Welcher Prozess des Musik machen liegt dir am meisten oder gefällt dir am besten? Songs schreiben, aufnehmen, live spielen?

Das Schreiben und Aufnehmen gehen bei mir Hand in Hand. Das Schreiben und das Bearbeiten genieße ich sehr. Live-Auftritte können unglaublich gut sein, wenn man viel Arbeit reinsteckt. Aber ich bin nicht in einer Band, bei der das Live-Spielen wichtiger als alles andere ist. Für meine Auftritte müssen auf einmal so viele Leute involviert werden und Präzision ist da sehr wichtig. Das kann stressig sein und echt harte Arbeit, obwohl man dabei noch nicht einmal etwas neues produziert. Es ist sehr teuer, außer man gibt sich mit schlechter Qualität zufrieden.

Seit deiner letzten Platte sind ganze fünf Jahre vergangen. Was hast du in der Zeit erlebt, was dich jetzt zu diesem neuen Album gebracht hat?

Es ist viel passiert. Ich habe viel geschrieben, und Musik anderer Künstler, wie zum Beispiel Lily Allen, produziert. Für mich habe ich auch geschrieben und dass es fünf Jahre bis zu einem neuen Album gedauert hat, lag nicht wirklich an mir. Die Logistik etwas herauszubringen, dauert länger, als die eigentliche Musik zu machen. Ich arbeite eigentlich ziemlich schnell.

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Interview & Fotos: Christina Heckmann

Shop-Foto © Benjamin Garrett