Foals sind eine Liveband, die es versteht, ihr Publikum um den kleinen Finger zu wickeln. Mit reduzierter Lichtshow, pointierten Ansagen und einer gefälligen Mixtur aus „Antidotes“-, „Total Life Forever“- sowie „Holy Fire“-Stücken ist die Sache bereits geritzt. Das Sahnehäubchen liefert jedoch Sänger Yannis Philippakis, der sich bei der Zugabe von der Bar, über die Empore und dann schließlich sogar durch einen Teil der Zuschauermenge schlängelt – volksnah und immer gut für eine Überraschung. Anlass für ihren Besuch im Berliner Huxleys ist das erneute Vorstellen ihres dritten Albums „Holy Fire“, welches wieder einmal Herz, Kopf und Tanzbein gleichermaßen anzusprechen weiß. Im Gespräch vor ihrem Konzert berichten Bassist Walter Gerves und Gitarrist Jimmy Smith vom Leben auf Tour, ihrem Verständnis von sich als Künstler sowie Frustrationen, denen Musiker in der heutigen Zeit ausgesetzt sind.
Wie bewertet ihr das Aussehen dieses Backstagebereiches auf einer Skala von 1 bis 10?
Jimmy Smith: Sie haben sich auf jeden Fall Mühe gegeben. Wenn 10 richtig gut und 1 wirklich hässlich meint, dann gebe ich dem hier eine 6. Der Raum ist schon ziemlich groß. Man würde nicht denken, dass es drin so gut aussieht, wenn man es von außen betrachtet. Trotzdem scheint sich nicht so viel seit den 70ern verändert zu haben. Es braucht eben immer auch noch ein bisschen trauriges Grau an den Wänden. Bloß nicht zu viel gute Laune verbreiten.
Entspricht die Farbe eurem Gemütszustand?
Walter Gerves: Wir sind im Moment ziemlich heruntergewirtschaftet. Zwar haben wir auf dieser Tour nur ein paar Termine, aber davor waren wir für einige Wochen in Australien und das war heftig. Die wenigen Tage, die wir danach zu Hause verbringen konnten, genügten nicht, um sich richtig zu erholen und so langsam sind wir alle auch ein bisschen erkältet.
Ist es euch möglich, die Gegenwart in vollen Zügen auszukosten?
Walter: Wir wissen nie genau, wo es als Nächstes hingehen wird und wie die Shows sein werden. Also versuchen wir die Tage so zu nehmen wie sie kommen. Auch wenn wir viele der Städte schon einmal bespielt haben, fühlt es sich surreal an. In Berlin waren wir schon so oft und trotzdem wussten wir nicht wie das Venue aussehen würde und irgendwie ist wieder alles neu für uns.
Jimmy: Wir sind eine komische Mischung aus Leuten, die sich irgendwie auf einem Business-Trip und gleichzeitig als Touristen in einer Stadt befinden.
Walter: Wir arbeiten nicht, haben aber auch keine Ferien. Also ein Nicht-Zustand?
Jimmy: Uns scheint es aber nicht erlaubt zu sein, dass wir uns darüber beschweren. Es ist schließlich kein richtiger Job, den wir ausüben. Man kann sich ganz schön alleine fühlen, wenn man sich dann doch einmal anderen Menschen gegenüber öffnet und sie einfach nicht verstehen können, was an dem Beruf so schlimm sein kann. Wie? Australien muss doch der Hammer gewesen sein! Nein, war es nicht. Und da hört das Gespräch dann auch schon auf…
Fühlt ihr euch dafür schuldig?
Jimmy: Oh Gott, auf keinen Fall! Es fühlt sich gut an, wenn man sich nicht an die Regeln halten muss. Ich muss nicht wie andere Menschen täglich zur Arbeit hetzen, sondern kann meine Arbeit auf meine Art und Weise machen. Genau deshalb haben wir Foals für uns kreiert.
Wie regelmäßig sucht ihr auf Tour den Kontakt zu Familie und Freunden?
Jimmy: Ich bin nicht sehr gut darin, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Das will einfach nicht so richtig klappen… Aber da wir schon oft in Europa unterwegs waren, haben wir auch überall ein paar Freunde, mit denen wir versuchen nach den Shows abzuhängen.
Walter: Es ist nicht so einfach. Ich benutze nicht gern Skype, um mit meiner Familie in Kontakt zu bleiben. Zwar ist es sehr hilfreich, aber man muss immer versuchen ein passendes Zeitfenster dafür zu schaffen. Oftmals befindet man sich aber in unterschiedlichen Zeitzonen, was die Sache erschweren kann. Ich habe schon eine ganze Weile nicht mehr meinen Vater gesehen. Das stört mich. Auch wenn wir häufig telefonieren, kommen wir immer wieder zu dem Schluss, dass wir uns mal sehen müssten, um so besser sprechen zu können. Aber egal… Eh wir uns versehen wird Weihnachten sein und wir alle sehen unsere Familien. Dann werden wir uns mal wieder dafür entschuldigen, dass wir das ganze Jahr über weg waren, um im nächsten Jahr alles genauso zu machen.
Welche Meinung habt ihr von euch selbst als Musiker?
Jimmy: Auch wenn ich das auf mein Ausweisformular geschrieben habe, sehe ich mich eigentlich nicht als Musiker.
Walter: Ich sehe mich auch nicht als Musiker. Ich spiele einfach nur in einer Band. Das ist für mich etwas anderes. Alles, was ich tue, muss nur für Foals relevant sein. Ich könnte bei keiner anderen Band Bass spielen. Ich wüsste nicht, was ich tun müsste. Ich kenne keine Theorien, keine Tonleiter.
Jimmy: Wir kamen in die Band ohne zuvor ein Instrument gellernt zu haben. Wir haben also Talent und keine Vorkenntnisse. Unser Talent fundierte sich durch das gemeinsame Musik schreiben, hören und absorbieren.
Laut Marina Abramović muss Kunst verstörend sein. Gilt das im Speziellen auch für Musik?
Jimmy: Ja, Musik muss dir ein bisschen die Kehle zuschnüren. Was nicht bedeutet, dass man sich dadurch miserabel fühlen muss. Die beste Musik der Welt, ist die, von der man zunächst nicht weiß wie man sie verstehen soll. Wenn sie verwirrend ist. Verstörend. Ich denke, das sollte Musik sein. Auch unsere Konzerte können diesen Effekt haben. Es werden bei uns viele Emotionen und Energien freigesetzt. Das Publikum reagiert darauf, wenn wir ihnen viel von uns geben und öffnet sich ebenfalls. Es ist eine beidseitige Sache. Deshalb ist es umso frustrierender, wenn eine Show mal nicht so gut läuft, weil der Sound schlecht oder man krank ist. Es gibt eine Menge Faktoren zu beachten. Aber manchmal macht ein Konzert einfach keinen Spaß. Es ähnelt dann eher einem Kampf.
Gibt es keinerlei Überraschungen mehr für euch?
Walter: Oh doch, jedes Mal wenn wir ein Album fertig gestellt haben. Es stellt für uns eine echte Überraschung dar, dass wir so etwas noch einmal schaffen konnten. Im Moment haben wir absolut nichts für ein neues Album. Aber hoffentlich können wir uns in dieser Hinsicht bald erneut überraschen. Ich meine, ich bin selbst immernoch überrascht, dass ich in einer Band bin. Ich fühle mich noch immer so, als sollte ich das eigentlich gar nicht tun. Und woher die Songs kommen, die wir mal geschrieben haben, ist mir auch suspekt. Wir können uns nie daran erinnern wieso und wie wir etwas gemacht haben.
Während Außenstehende sich in Sicherheit in Bezug auf ein weiteres Album wähnen, ist es für euch noch ungewiss?
Jimmy: Ja. Wir wurden enthumanisiert. Aber ich behandele meine Lieblingsbands auch nicht so als wären sie von dieser Welt. Ich denke nicht darüber nach, ob sie sich Sorgen um ihr nächstes Album machen oder vielleicht keine Ideen mehr haben. Ich will, wie jeder andere auch, einfach nur das verdammte nächste Album haben.
Ihr seid also zu Produkten degradiert worden?
Jimmy: Genau. Dieses Gefühl wird noch dadurch verstärkt, dass Alben an Wichtigkeit verloren haben und oftmals nur auf einzelne Tracks reduziert werden. Man existiert quasi nur noch in einer Supermarktbox mit dem Etikett Indie, eingequetscht zwischen Bands, die vage so wie man selbst klingen. Manchmal fühlt man sich so als würde man von jemandem durch die Welt gestoßen werden, ohne dass man das wirklich machen möchte. Vielleicht wollen wir ja gar nicht überall auf der Welt auftreten, Interviews geben und ein weiteres Album herausbringen. Es ist aber so, dass jeder diese Dinge von einem erwartet, weil man Teil dieser Betriebskette ist. Das Schlimmste ist, dass vor 20 Jahren irgendwelche Bands beschlossen haben, dass das in Ordnung ist und zum Standartprozedere wird.
Walter: Aber wir wollen als Band größer werden und ein Erbe hinterlassen. Um das tun zu können, müssen wir uns ein bisschen an die Spielregeln halten. Je älter wir werden, desto besser können wir mit vielen Dingen umgehen und werden gleichzeitig auch selektiver. Trotzdem ist es schade, wenn man sich anschaut wie viele Bands mehr Anerkennung verdient hätten.
Jimmy: Immer mehr Bands finden ihre Bestätigung nur darin, dass ihre Musik in Werbungen verwendet wird, obwohl BMW-Werbespots und Ähnliches nichts mehr mit der eigentlichen Musik zu tun haben. Ich sehe da einen moralischen Zwiespalt. Man möchte als Band glaubhaft wirken, Fans glücklich machen und die Ethik, die bei der Bandgründung herrschte, beibehalten. Aber irgendwie muss man auch davon leben können.
Kommt es denn im Gegenzug dazu, dass bestimmte Firmen euch Gefallen tun wollen?
Jimmy: Nie! Niemand will einer Band einen Gefallen tun. Wenn ich BMW fragen würde, ob man sich ein Auto von ihnen leihen dürfte, wäre ihre Reaktion: „Natürlich nicht! Du bist in einer Band, geh weg!“.
Welcher Weg ist also der Richtige?
Walter: Wir müssen auf Tour bleiben. Nur so können wir davon leben. Langsam macht sich auch unsere harte Arbeit bezahlt. Die Venues werden größer, was heißt, dass wir ein bisschen mehr Geld erwirtschaften und uns das Touren nicht Geld kostet, wie es am Anfang der Fall war. Ich finde es verrückt, wenn ich daran zurückdenke, dass wir Supportshows vor vielen Leuten gespielt, für Monate von zu Hause weg waren und tatsächlich dabei Geld verloren haben.
Inwiefern unterscheidet sich die Energie, welche live freigesetzt wird, von der im Studio?
Jimmy: Im Studio sitzen wir eigentlich nur so rum und gehen ganz und gar darin auf, neue Sounds zu erforschen. Live dagegen kochen die Emotionen schneller hoch. Es geht viel energetischer, brutaler, wütender und auch glücklicher zu. Früher haben wir uns bei den Konzerten immer noch gegenseitig angeschaut, um uns so direkt Feedback geben zu können. Aber damit haben wir aufgehört. Außer das Publikum ist nicht so gut. (lacht)
Was sagt euch der Blick ins Publikum?
Walter: Es ist komisch. Man kann Tausende von Leuten anstarren, aber trotzdem keine Gesichter erkennen. Vielleicht ist da so eine Sache im Kopf, die nicht mit großen Mengen an Inhalt umgehen kann. Eine menschliche Kondition, die einem sagt, dass man nicht sieht, was man sieht.
Jimmy: Live kann man dadurch so richtig in den Moment eintauchen. Wenn man dann von der Bühne geht, ist das so als würde man aus dem kalten Wasser eines Pools steigen. Dann muss man sich erst einmal fassen und fragen, ob das gerade wirklich passiert ist.
Interview und Fotos: Hella Wittenberg