Verkehrte Welt. In einem Moment stolperte man noch über bereits geleerte Plastikbecher, wich lauten Menschengruppierungen aus, nahm den Bier- und Zigarettengeruch tief in sich auf. Dann der erste Blick weg von dem klebrigen Boden, geradeaus zur Bühne der C-Halle. Dort wurden überlebensgroße Banner in Form von Kirchenfenstern gehisst, um im Folgenden die 25-jährige Florence Welch und ihre Band zu umschmiegen, den Rahmen zu setzen und auch ein wenig zu verwirren. Also kein gewöhnliches Konzert? Vielleicht doch eher das Wort zum Sonntag.
Die korallenroten Haare hochgesteckt, trägt Florence ein lang wallendes, weißrosanes Gewand. Die Predigerin. Eine Geste genügt, um dem schon mehrere Monate ausverkauften Venue Kreischen, Pfeifen oder einfach nur ein gelöstes Stöhnen zu entlocken. Eine weitere Handbewegung verschafft ihr einen Augenblick der gebannten Stille. Und so wiegelt sie mit „Only For A Night“ in einen anderthalb Stunden andauernden Wach-Schlaf.
Glitzer, Pathos, eng umschlungene Pärchenfronten. Nachdem das Debütalbum „Lungs“ von Florence & The Machine im Jahr 2009 den begehrten „Brit Critics’ Choice Award“ erhielt, scheinen mehr als nur drei Jahre vergangen zu sein. Denn der offensichtlichste Unterschied zu einem stinknormalen Rock-Konzert, oder auch zu dem Überraschungserfolg „A Kiss With A Fist“, ist wie Florence Welch ihre Stimme als Instrument, ja als Hauptattraktion der Tagträumerei einzusetzen weiß. Sie wirkt sicherer in ihrer Pose, souliger als noch zu Beginn. Nun kommen die Massen, 104.6 RTL- und FluxFM-Hörer, um sich gemeinsam mit der über 1,80 Meter großen Frau einen neuen Erfahrungsraum zu erschließen. Dies ist weniger dreckiger Indie, bei dem man sich Sorgen um Gewaltverherrlichung machen muss, als epochaler Gospel-Rock. Ob alte Stücke wie „Between Two Lungs“, „Dog Days Are Over“ oder Frischlinge wie „All This And Heaven Too“ und „Never Let Me Go“ – es geht darum maximal die Möglichkeiten auszuschöpfen sich dem Publikum mitzuteilen.
„And I’ve been a fool and I’ve been blind, I can never leave the past behind. I can see no way, I can see no way. I’m always dragging that horse around.“
Die Dame der großen Gestik singt diese düsteren Zeilen aus dem Song „Shake It Out“ beschwingt, wirbelt die bodenlangen Kleiderärmel um sich herum und versucht jeden Winkel des Saals mit einem nachdrücklichen Blick zu bedenken. Das Publikum ist leise mitsingend immer bei ihr, lohnt ihr diese besondere Aufmerksamkeit mit hochgestreckten Armen und mit den Händen geformten Herzen bei „You’ve Got The Love“. In der Tat, sie sprach zu Gläubigen. Den Kopf wieder gerade gerichtet, trottet man nach Beendigung des Konzerts entrückt durch dieses eigensinnige Erlebnis zurück in den Alltag, wo der Pomp und Glamour zumindest im Kopf durch die Musik von Florence & The Machine einen nachhaltigen emotionalen Wegbegleiter gefunden hat.
War am 24. März dabei: Hella Wittenberg
Fotos: Lynn Lauterbach