Es mag diese besondere Atmosphäre zum Jahresende sein, die dazu beiträgt, dass die Dinge gerne mal anders laufen als man sie sich vornimmt. Eigentlich wollte ich mit Fin Greenall, aka Fink ein Interview machen, bevor er mit seiner Band ein Konzert im so gut wie ausverkauften Tempodrom gespielt hat. Das was dabei raus gekommen ist, kann man kaum noch als solches bezeichnen. Stattdessen haben wir lange und entspannt geplaudert. Erst einmal schaukeln wir uns gegenseitig in unserer Begeisterung über Feist hoch. Dann reden wir über Arcade Fire, Lieblingsplatten, -konzerte und das Jahr 2017 aus musikalischer Sicht. Ein Jahresrückblick? Irgendwie, ja. Auf jeden Fall eine sehr nette, inspirierende Begegnung.
Was sind denn so deine Lieblingsplatten des Jahres?
Das ist eine schwierige Frage. Ich musste das neulich für die Intro machen, diese Seite, wo zehn Leute zehn Platten rezensieren. Da war, wo wir gerade über Feist sprechen, auch das neue Broken Social Scene Album dabei. Zu dem habe ich eine bisschen schizophrene Meinung. Ungefähr die Hälfte finde ich sehr gut, auf die andere könnte ich verzichten. Es fühlt sich ein bisschen überholt an. Aber einige Songs sind schon wirklich sehr gut. Hast du gesehen, dass das Album von Mura Masa für einen verdammten Grammy nominiert ist? Das musste ich auch hören und habe es komplett verrissen. Warum zum Teufel ist das für einen Grammy nominiert? Aber ich bin ja auch kein A&R Typ, deshalb verstehe ich das vielleicht nicht. Zum Glück (lacht).
Zu den Grammy Nominierungen: magst du das neue Gorillaz Album?
Ich glaube, wenn man die Gorillaz mag, dann mag man auch die Platte. Die Grammy Nominierungen sind aber auch eine seltsame Sache. Es gibt da bestimmte Lieblinge, die werden bevorzugt. Die Dance Und Rap Nominierungen werden immer ein bisschen willkürlich sein, weil es in der Szene einfach niemanden interessiert. Jay-Z zum Beispiel dürfte das doch egal sein, ob er den Grammy für das Album des Jahres gewinnt. Und selbst mit viel Vorstellungskraft ist es das auch nicht. Wichtig ist bei solchen Nominierungen auch immer dass man weiß, ob es sich um eine Branchenauszeichnung oder einen Publikumspreis handelt. Preise, die sich nach Verkaufszahlen richten, das sind einfach nur Zahlen. Kritiker beurteilen ganz anders als Fans und Publikum. Bei den Grammys bin ich mir nie richtig sicher worum es da geht. Ist es eine Verkaufsveranstaltung oder geht es um die Musik? Mal ganz davon abgesehen, ich würde liebend gerne einen bekommen (lacht). Wie du siehst checke ich jedes Jahr wer nominiert ist. Es ist immer ein bisschen wie Weihnachten und man bekommt am Ende nicht das Geschenk, das man sich gewünscht hat. Ich bin auf jeden Fall sehr stolz auf meinen Freund Bonobo, dass er dieses Jahr zweimal nominiert wurde. Er ist schon so lange dabei und macht einfach großartige Musik. Ich habe zu ihm gesagt, offensichtlich hören sie sich die Musik wirklich an, die sie nominieren. Er hat schließlich keine Millionen von seinem Album verkauft.
Weißt du noch wie Arcade Fire den Grammy gewonnen haben und der meist gegooglete Begriff am nächsten Tag war „Who the fuck is Arcade Fire“?
(lacht) Das war unglaublich! Als Arcade Fire den Grammy gewonnen haben… das war für „The Suburbs“, oder?
Genau.
Was noch nicht einmal ihr bestes Album ist. Für mich ist es „Neon Bible“. Daran gemessen, was es damals bei mir ausgelöst hat. „The Suburbs“ ist auch eine sehr gute Platte, aber die Songs haben sich mir nicht so eingeprägt.
Mich hat damals „Funeral“ derartig umgehauen dass es eine Weile gedauert hat, bis ich mit „Neon Bible“ warm geworden bin.
Wirklich? Ich erinnere mich noch als „Funeral“ raus kam. Ich habe damals in einer Firma gearbeitet und der dortige Praktikant, er war 19 Jahre alt, drückte mir die Promo-Kopie in die Hand und sagte: „Das musst du dir anhören. Das ist die beste Platte des Jahres, die wichtigste Platte für meine Generation. Hier fängt gerade etwas ganz Großes an.“ Und ich dachte so ein bisschen ach, was weißt du schon (lacht). Als „Neon Bible“ raus kam, habe ich mir „Funeral“ nochmal angehört und zum Glück diese überlegende „Ist-das-jetzt-cool“-Haltung abgelegt. Da wusste ich, Arcade Fire sind einfach eine richtig gute Band. „Neon Bible“ hat mich sehr berührt, auf viele verschiedene Arten. Und ich finde, mit diesem Album haben sie ein Statement abgeliefert: Das sind wir, das sind Arcade Fire.
Ich bin einfach ein großer Arcade Fire Fan. Ich liebe auch die „Reflektor“.
„Reflektor“ ist verdammt nochmal großartig! Ich weiß noch wie wir in Los Angeles waren und „Hard Believer“ aufgenommen haben. Zu der Zeit ist „Reflektor“ gerade raus gekommen. Atoms for Peace, The Knife und Arcade Fires „Reflektor“, das waren die Sachen, die wir damals gehört haben. Das Konzept, James Murphy ein Arcade Fire produzieren zu lassen – das ist erst einmal furchteinflößend. Es hätte auch ein Disco Album werden können. Aber auf „Reflektor“ kommen so viele Ideen, so viel Input zusammen. Sie haben unglaublich viel Mühe in dieses Album gesteckt. Ihnen standen alle Möglichkeiten offen, und sie haben sie voll genutzt! Ich habe Arcade Fire leider noch nie live gesehen, das ist wirklich schade. Manchmal ist man auch enttäuscht, wenn man Bands so verehrt und sie dann zum ersten Mal live sieht. Als ich Patty Smith zum ersten Mal gesehen habe war das zum Glück nicht so. Es hat mein Leben verändert! Je älter sie wird, desto mächtiger wird sie. Für irgendetwas sollte sie den Nobelpreis kriegen. Und wenn es keine Kategorie für sie gibt, sollte man sie aufmachen. Ein Nobelpreis für Punk! (lacht) Sie kommt auf die Bühne und ist größer als alles, sie macht nicht nur Musik, sie bringt dir etwas bei.
Es ist schön, dich so über Musik reden zu hören. Wenn man selber in dem Business ist, stelle ich es mir gar nicht so leicht vor, sich den eigenen, inneren Fan zu bewahren.
Ich habe viele Freunde die in dem Business sind, die als Musikjournalisten arbeiten. Wir hören uns Musik ähnlich an. Gerade habe ich für FluxFm meine zehn Lieblingssongs aus 2017 zusammen gestellt. 2016 kannte ich noch keinen dieser Songs. Ist das nicht wunderschön? Wenn ich es 2018 noch einmal mache, sind da wieder zehn neue Songs, die mich berührt haben werden. Ich liebe das. Es wird niemals aufhören. Und dabei hatte ich dieses Jahr schon das Gefühl, gar nicht so viel mitgekriegt zu haben. Ich habe selber zwei Alben raus gebracht und war damit ganz gut beschäftigt.
Womit wir da sind wo ich eigentlich hin wollte, bei dir selber. Es scheint ein sehr produktives Jahr für dich gewesen zu sein.
Ich glaube, die Zyklen, wie Menschen Kunst konsumieren, verkürzen sich. Man kann sich keine vier Jahre mehr zwischen zwei Alben Zeit lassen. Die Leute, die dich mögen, wandern sonst vielleicht ab und mögen etwas anderes. Ich habe dieses Blues Album gemacht, weil ich es unbedingt aus mir raus haben wollte. Und dann noch ein weiteres Album mit Fink, zusammen mit Flood als Produzent. 2017 war ein ganz schön extremes Jahr. Fünf Monate davon habe ich in einem Bus verbracht. Musikalisch kam mir 2017 eine Zeitlang etwas willkürlich vor. Es gab nicht wirklich eine Bewegung. Als wir uns dann zusammengesetzt und unser Best of aus 2017 zusammen gestellt haben, ist uns aufgefallen, dass es doch ein paar unterschwellige Trends gab. Einer davon sind die Frauen – es war ein großes Jahr für weibliche Ideen. Die interessanteste Musik kam in diesem Jahr eindeutig von Frauen. Und das nicht nur in der Indie-, sondern auch in der Electronic-Szene. Das ist so cool. Das andere ist Punk. Dieser Punk-Spirit liegt wieder stärker unter der Musik, die wir mögen. Sogar Feist hat wieder eine viel punkigere Attitüde auf ihrem neuen Album. Ich glaube, 2017 wird als das Jahr in die musikalische Geschichte eingehen, in dem die She-Wave, oder wie du es nennen willst, aufgekommen ist. Und der Punk-Spirit. Mehr die Attitüde als die Stilrichtung, als die man Punk einmal identifiziert hat. Diese Attitüde ist in vielen Bereichen der Weg zum Erfolg. Radio ist so eine Sache. Ich sage immer: der einzige Weg, Radio Airplay zu bekommen ist der, sich nicht darum zu kümmern. Die Stationen, die Bruno Mars spielen, werden Fink nicht spielen. Die klassischen Daytime Radiosender kann man diesbezüglich vergessen. Aber selbst wenn es bestimmte Stationen oder Programme gibt, bei denen du gerne gespielt werden möchtest, musst du komplett ignorieren was du denkst, was sie hören wollen. Sie spüren das und wollen das nicht. Sie wollen etwas Cooles, etwas das sie noch nie gehört haben.
Aber ist das nicht grundsätzlich der Schlüssel zum Erfolg? Eure Musik klingt nicht als würdet ihr euch Gedanken darüber machen, was die Leute hören wollen.
Da hast du recht. Aber ich denke, der Schwachpunkt unserer Platten waren schon immer die Momente, in denen dieses Denken etwas unbalanciert ist. Wenn wir zu viel darüber nachgedacht haben, was man von uns hören will. Und der Track, bei dem wir uns am wenigsten Gedanken gemacht haben kriegt wahrscheinlich mehr Airplay als der bei dem wir dachten hey, das ist doch recht kommerziell, damit kommen wir bestimmt ins Radio. Wir haben bis jetzt noch kein perfektes Album gemacht. Aber wir waren noch nie so nah dran wie dieses Jahr. Ich glaube, das Blues Album ist ziemlich perfekt. Zumindest für mich. Bei „Resurgam“ haben wir uns an Ideen angenähert, die wir nächstes Jahr bestimmt weiter entwickeln werden. Vieles davon ist richtig neu, ich wüsste noch nicht einmal wie ich es benennen sollte. Punk mit einem kleinen p, vielleicht. Meine Stimme bewegt sich auf dem Album auch in neuen Sphären, das fühlt sich sehr gut an. Wir haben dieses Jahr sehr viel gelernt. Ich denke, unser nächstes Album wird etwas Besonderes. Ich glaube, es ist so wie wenn man Single ist. In dem Moment, in dem man am glücklichsten darüber ist Single zu sein, lernt man jemanden kennen (lacht). Mit dem Geld ist das genauso. In dem Moment, in dem man über seine Geldsorgen nicht mehr nachdenkt, hat man keine mehr. Weil man die richtigen Entscheidungen trifft.
Interview: Gabi Rudolph