Wo treibt das Leben einen so hin, wenn man mit 16 bereits in einem Format wie Popstars in der breiten Öffentlichkeit stand? Im besten Fall in eine Richtung wie Elif. Inzwischen 24 Jahre alt veröffentlichte sie letzte Woche ihr zweites Album „Doppelleben“. Darauf teilt die gebürtige Berlinerin, voller Herz, Geschichten aus ihrem Leben. Zum Beispiel über die Kommunikationsschwierigkeiten mit ihrer türkischstämmigen Familie oder die gescheiterte, erste große Liebe. Elif ist es wichtig, sich zu öffnen und uns an ihren Gefühlen teilhaben zu lassen. Das tut sie, auch im Gespräch, in der ihr so eigenen klugen, besonnenen Weise. Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Songs draus!
Ein Album ist ja auch immer ein bisschen wie ein Baby, das man zur Welt bringt. Hat sich „Doppelleben“ schon abgenabelt?
Noch nicht ganz. Die Songs beschäftigen mich immer noch. Es ist ja auch eine Beziehung drin verarbeitet, die am Ende nicht mehr funktioniert hat. Das beschäftigt mich natürlich noch. Es stecken viele Erinnerungen drin, auch an gute Zeiten natürlich, manche sind bittersüß. Wenn ich „Doppelleben“ höre denke ich viel an meine Eltern. In dem Song geht es ja darum, dass ich das Gefühl hatte, Zuhause nicht mehr so sein zu können wie ich will. Irgendwann haben wir uns nicht mehr zugehört, man hatte Angst, dass man nicht mehr geliebt wird, wenn man sich so zeigt wie man ist. Dann kam dieser Abnabelungsprozess, ich habe mich auf die Suche gemacht, um wieder zurückzukommen. Jetzt rede ich mit meinen Eltern ganz anders und sehe sie mit anderen Augen. Wir haben einen großen Schritt nach vorne gemacht, aber es ist immer noch ein Prozess. Das wäre sonst auch viel zu Disney mäßig (lacht). Das einzige was ich machen kann ist ehrlich zu sein. Sie müssen entscheiden, wie sie damit umgehen. Wenn man die Wahrheit kennt, kann man viel besser mit ihr umgehen. Auf jeden Fall keine Angst mehr. Kein Doppelleben.
Du bist ja jemand, der sich auch als Künstlerin sehr öffnet. Mit deinen Texten aber auch mit dem, was du die Menschen über Social Media von dir wissen lässt. Im positiven Sinne! Sowas ist ja auch immer eine Gradwanderung.
Ich denke immer sehr darüber nach, wie ich was raus lasse. Ich will ja auch verstanden werden. Sehr schwieriges Thema. Ich will auch nicht mit dem Zeigefinger auf meine Eltern zeigen und sagen, ihr habt etwas falsch gemacht. Ich wollte nur sagen, wie ich mich fühle. Wenn ich später älter bin, 60 oder so, und auf diese Musik zurück blicke, dann will ich sagen können ja, genau so habe ich mich gefühlt. Natürlich unterhält das die Leute auch, aber die Emotion steht bei mir immer im Vordergrund. So wie bei „Fort Knox“ zum Beispiel. Das ist ja eher eine Uptempo Nummer, aber trotzdem ist sie für mich tiefgründig. Älter werden ist natürlich auch ein Thema. Meine erste Platte ist vier Jahre her, jetzt bin ich 24. Noch nicht so alt, aber was ich beim älter werden merke ist, dass man anfängt zuzumachen. Ich habe meine erste große Liebe durch, sie ist gescheitert und man versucht immer weiter sich zu schützen. Eine Grundbasis an Schutz ist auch in Ordnung, aber es ist wichtig, dass man sich trotzdem immer weiter aufmacht. Ich treffe auf meinem Weg immer mehr Menschen, die zugemacht haben und ich möchte nicht so werden. Es lohnt sich am Ende doch. Jeder möchte intensiv fühlen, traut sich aber nicht.
Das wirst du auch merken wenn du später mal Kinder hast, wie wichtig es in dem Zusammenhang bleibt.
Ja? Ich freu mich richtig drauf! Ich kann mir auf jeden Fall vorstellen Kinder zu haben und freue mich auf den Moment, wo es passiert. Klar hab ich noch Zeit, aber ich muss auch nicht warten bis ich 35 bin. Was das Leben halt bringt. Aber ich glaube, es ist eine große Bereicherung. Meine Mutter sagt immer Elif, du hast noch nie so geliebt. Das ist auch ein Ziel für mich als Künstlerin, ich möchte jede Emotion durchhaben.
Hast du Geschwister?
Ja, zwei ältere und einen jüngeren. Mein jüngerer Bruder ist sieben Jahre jünger und ich merke, das ist eine andere Welt. Er ist mit Smartphones aufgewachsen, das ist eine ganz andere Generation. Auf dem Album gibt es auch den Song „Panoramablick“. Der sticht komplett raus, der ist ganz anders als die restliche Thematik. Bei ihm musste ich an meinen kleinen Bruder denken, daran, dass man den Weitblick behalten sollte. Ich gehöre auch zu denen, die viel am Handy hängen. Lieder sind auf jeden Fall auch immer eine Erinnerung an mich selbst.
Du bist in Moabit aufgewachsen, richtig?
Ja, mittendrin, Stephanstraße. Im Herzen von Moabit.
Ich war neulich erst wieder dort unterwegs. Ich lebe ja in Mitte und merke doch immer wieder, was für eine Blase Mitte eigentlich ist. Moabit spiegelt ein ganz anderes Gesellschaftsbild wieder.
Ganz anders. Es entwickelt sich aber viel. Immer mehr Leute ziehen nach Moabit. Ich finde an Berlin aber eh interessant, wie von Bezirk zu Bezirk der Schlag Mensch sich verändert. Es gibt hier so viele verschiedene Menschen auf einen Haufen, das macht Berlin aus. Deshalb fühlen sich auch viele Künstler so wohl hier. Berlin hat so’ne Magie. Und im Vergleich ist es immer noch wahnsinnig günstig.
Denkst du, dass Berlin immer deine Basis bleiben wird? Oder könntest du dir vorstellen, woanders hinzugehen?
Ich glaube, ich könnte mir vorstellen etwas außerhalb zu ziehen. Mit Hund und Garten. Vor allem hätte ich gerne einen Hund in meinem Leben. Soviel zu all den Emotionen, die ich durchmachen möchte, ich möchte einmal in meinem Leben einen tierischen Freund haben. Aber ich möchte keinen Wohnungshund haben. Jetzt werde ich aber erst einmal für drei Monate nach Hamburg gehen, mich inspirieren lassen. Ich möchte zweimal die Woche Klavierunterricht nehmen, mir eine Routine schaffen, mit mehr Erfahrung rausgehen und im Bestfall anfangen fürs dritte Album zu schreiben.
Das heißt, alles ist noch frisch, aber ein bisschen ist der Kopf schon in Richtung Neues?
Das „Doppelleben“ Album hat jetzt vier Jahre gedauert, weil ich nach Liedern gesucht habe, die kein Haltbarkeitsdatum haben. Und um das herauszufinden musste ich erst mal Lieder schreiben, es sind rund 40 geworden, von denen 14 es geschafft haben. Ich habe die Lieder eine Weile liegen gelassen um herauszufinden, ob ich sie dann immer noch gut finde. Manche haben den Test bestanden, manche nicht. Dann auch noch diese Selbstfindungsphase, das hat alles seine Zeit gedauert. Und die Teamfindung! Die richtigen Leute, den richtigen Produzenten zu finden. Das passiert alles auch nicht von heute auf morgen. Ich glaube, beim dritten Album wird das alles nicht so lange dauern. Aber am Ende des Tages weiß ich auch das nicht. Ich habe aber schon Ideen fürs dritte Album und möchte gerne anfangen. Ich vermisse das Schreiben.
Es gibt da diesen einen Song auf deinem Album, der berührt mich sehr…
„Anlauf nehmen“?
Ja! Warum sagst du jetzt genau den? Wie wusstest du das?
Weil „Anlauf nehmen“ mit „Doppelleben“ zusammen zu den Songs auf dem Album gehört, die ganz doll in die Tiefe gehen. Da nehme ich den Zuhörer mit in die Tiefe und mich auch. Da lasse ich nichts ungesagt. Der berührt mich auch bis heute noch. Diese eine Beziehung, die gescheitert ist… ich bin ja auf der Suche gewesen, und irgendwie war ich auch auf der Suche nach einer Familie. Weil ich mich bei meiner Familie nicht verstanden gefühlt habe. Das ist heute anders, aber als ich damit angefangen habe, als ich diese Person getroffen habe, über die ich „Anlauf nehmen“ geschrieben habe, da hatte ich das Gefühl, dass sich zum ersten Mal wieder etwas familiär anfühlt. Das ist gescheitert. Weil wenn man Probleme nicht angeht, die so tief sitzen, dann macht sich das an anderer Stelle bemerkbar. Das war bestimmt der Grund, warum es gescheitert ist. Er hat mich sehr inspiriert, viel gezielter bestimmte Themen aufzuarbeiten. Die werden sonst ja immer wieder auftauchen. Ich habe ihn sehr geliebt und habe nach wie vor einen Platz für ihn. Er hat auf jeden Fall einen sehr großen Platz auf diesem Album.
Weiß er das?
Er wird es wissen. Wir haben ganz sporadisch Kontakt miteinander, weil man sich ja seine Leben leben lassen muss. Etwas geht zu Ende, jeder geht wieder seinen Weg und wenn etwas so weh getan hat, dann kann man auch nicht wieder von einem Tag auf den anderen Freunde werden. Da muss viel Zeit vergehen. Aber ich will nicht zu machen! Das ist genau der Punkt, nach einer Beziehung macht man meistens zu. Ich will offen bleiben, ich will mich damit beschäftigen und das ist genau der Punkt, warum ich „Anlauf nehmen“ geschrieben habe. Es gibt viele die sagen, Elif, du machst dich so verletzbar. Aber das ist doch das, was man will, man will doch die Leute berühren. Wenn Leute anfangen, meine Lieder mitzunehmen und wie gute Freunde zu behandeln, das ist das Schönste überhaupt. Das kann man nur erreichen, wenn man ehrlich ist. Es gibt sowieso viel zu viele Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Das fängt beim Geld an und endet bei der Zärtlichkeit. Ich glaube, dass es viel mehr Frieden geben würde, wenn jeder über das spricht, was ihn berührt. Sich mal locker macht. Ist doch alles halb so wild! Ich hatte eine Beziehung, die ist zu Ende gegangen, hab ich aufgeschrieben, kann man jetzt hören. Auch wenn ich „Fort Knox“ höre, dann weiß ich, das ist der richtige Weg. Bleib offen. Bleib offen!
„Doppelleben“ ist auf Universal Music erschienen.
Interview: Gabi Rudolph
Foto: Christoph Köstlin