Sziget Festival, Budapest. Wo soll man anfangen, um von diesem Festival im Herzen der Ungarischen Metropole, das mitten in der Stadt auf einer Donau Insel (Sziget ist ungarisch für Insel) stattfindet, zu berichten? Innerhalb von 7 Tagen Festival kamen rund 362.000 Besucher, um sich dieses Spektakel, bei dem nicht nur die Musik im Fokus steht, anzusehen.
Mehr als nur Musik
Das Sziget Festival bietet neben dem üblichen Musikprogramm noch eine ganze Reihe anderer Veranstaltungen, die von einem eigenen Zirkus, über zahlreiche Workshops bis hin zu Theater und Sport reichen, insgesamt ein so umfangreiches Programm, dass es nur schwerlich in sieben Tagen unterzubringen ist. Wir waren jedenfalls mit dem Plan angereist, uns ein bis zwei Tage während unseres 8-tägigen Aufenthalts auch die Stadt anzuschauen, aber vielmehr als Ausschnitte während der Taxifahrten zum und vom Festival haben wir leider nicht zu Gesicht bekommen.
Die Ideen, die dabei hinter dem Festival stehen sind in ihren Ansätzen ziemlich hippie-esk. Wenn man das Sziget besucht, soll man nicht nur Spaß haben und unterhalten werden, man soll einfach alles vergessen und hinter sich lassen könnten. 7 Tage Urlaub auf einer kleinen Insel und der Rest der Welt bleibt draußen. Punkt.
Der Versuch, mit dem Sziget Festival ein kleines Urlaubs-Wunderland zu kreieren, wird nicht nur in der bunten Vielfältigkeit des Programmes sichtbar, auch das Erscheinungsbild der Festivalinsel spielt dabei eine Rolle: Viele Bereiche des Geländes waren liebevoll mit Lichterketten, Lampions oder Lampen verschiedenster Variationen dekoriert. Überall ein bisschen anders, meistens selbstgebastelt, immer bunt. Unter welchen Lichtern man sein Zelt aufschlagen möchte, durfte sich dann jeder ganz selbst überlegen. Abgesteckte Campingbereiche, Zäune und Markierungen gibt es auf dem Sziget nicht. Im Gegensatz zu vielen deutschen Festivals, die ihre Besucher oft wie Vieherden an Zäunen entlang und durch verschiedene Schleusen leiten um diversen Sicherheitsbestimmungen gerecht zu werden, fühlt man sich damit auf der ungarischen Festivallinsel richtig willkommen. Man darf überall hin und alles machen. Sogar in der Donau schwimmen, obwohl Baden dort verboten ist. Getreu dem diesjährigen Motto des Festivals befand man sich tatsächlich auf einer „Isle Of Freedom“. Wir hatten so sogar das Glück, unser Zelt am Strand aufzuschlagen, zu dem wir zwar einen kleinen Abhang herunterklettern mussten, aber wo zeltet man sonst schon am Strand? Die Stimmung unter den Besuchern war dementsprechen entspannt und bei der Hitze, die im August in Budapest herrscht und der Größe des Geländes und der Vielfalt des Programms, lohnt sich Stress sowieso nicht. Bei den im Schnitt gut 37 Grad kann man am Strand entspannen, in der Donau baden gehen oder einfach durch die Natur spazieren. Wo Festivals hierzulande meist auf einem platten großen Acker stattfinden, ist die Natur und überhaupt die geographische Beschaffenheit beim Sziget gänzlich anders. Von der Donau umsäumt ist die Insel ringsherum mit Bäumen besiedelt, sodass man sein Zelt tatsächlich im Schatten aufschlagen kann.
Urlaubsfeeling dank Top Organisation
Nicht nur diese Freiheit fällt im Vergleich zu deutschen Festivals positiv auf, auch die Organisation kann sich sehen lassen. Bei bis zu 40 Grad im Schatten muss man sich als Festivalorganisator einfach Gedanken darüber machen, wie man bei den Besuchern für ein wenig Abkühlung sorgen kann. In Deutschland wird als letzter Weg irgendwann der Feuerwehrschlauch heraus geholt um die Menge vor der Bühne abzukühlen, aber meist passiert dies zu spät und viel weiter als bis zu dem ersten 20 Reihen reicht das auch nicht. Beim Sziget machte man sich Gedanken, und so wurden zum Beispiel Schläuche über den Köpfen der Zuschauer gespannt, aus denen ganz feiner Wasserdunst nieselte. Man wird nicht nass, aber erfrischt. Auch vor sämtlichen Essens- und Getränkeständen wurden große Ventilatoren aufgestellt, die ebenfalls zusätzlich leichten Wasserdunst verteilten und im großen Zelt der „A38“-Bühne standen vorn links und rechts Windmaschinen, die für Abkühlung sorgten.
Das Festival ist nicht nur eine Urlaubszone, sondern in sich eigentlich eine eigene Stadt mit ganz eigener Infrastruktur. Um dieses Charakter zu unterstreichen gibt es einen Festivalguide in Form eines Passes, den der Besucher nicht nur personalisieren, sondern auch an jedem Verastaltungs- und Partyort wie einen Reisepass abstempeln lassen kann. Außerdem ist die komplette Insel eine Bargeld freie Zone. Als Festivalbesucher wird man dazu aufgefordert, sich Chipkarten mit Geld aufzuladen, mit denen man wirklich überall bezahlen kann bzw. muss. Auch das Mitbringen von Alkohol ist auf dem Sziget verboten. Für unsere Verhältnisse sind die Alkoholpreise aber durchaus günstig (0,5l Bier für ca. 2,40€), und damit man nicht verdurstet oder zu oft zur Bar rennen muss, werden sämtlich Longdrinks und Cocktails direkt im Eimer angeboten. Kulinarisch ist auch für jeden etwas dabei. Von landestypischen Spezialitäten über das übliche Festivalangebot wie Pizza, Döner und Burger kommen z.B. auch Vegetarier und Veganer nicht zu kurz. Natürlich bewegt man sich insgesamt trotz aller Hippie- Ansätze und Ideen in einem riesigen Konsummoloch. Aber das sei ihm verziehen, dem Urlaubfestival in der Donau. Auch Hippies brauchen Geld für die Umsetzung ihrer Ideen.
Bunt präsentierte sich die „Isle Of Freedom“ aber natürlich nicht nur ihrer Dekoration und ihres Musikprogrammes wegen. Auch die Restlichen Programmpunkte hätten vielfältiger fast nicht sein können. So gab es neben den internationalen Hauptbühnen z.B. auch welche mit mehr Lokalkolorit, eine speziell für Künstler, die sich zu Sinti oder Roma zählen und eine eigene Tribute Stage. Auf dem Weg von einer der sehr verteilt auf der Insel platzierten music venues zur Nächsten konnte man außerdem an allerlei Unterhaltungsprogramm anderer Spaten hängen bleiben, die einen so durchaus das eine oder andere Konzert verpassen ließen. Aber das ist auch nicht verkehrt so. Nicht zuletzt bei dem erklärten Anspruch der Festivalmacher, den Besuchern eine Woche umfassenden internationalen Festival-Urlaub zu bieten, wäre es doch schade, nicht mal in das Zirkuszelt rein gestolpert zu sein, in dem beeindruckende Akrobatikshows gezeigt wurde (teilweise mit Künstlern des berühmten Cirque du Soleil. Eine weitere sehr interessante Attraktion war das Luminarium, eine Gummilandschaft , aufgeblasen wie ein Wasserball oder ein riesiges Gummitier. Auf Socken konnte man diese Welt betreten und besondere Lichtinstallationen im Inneren erleben. In der „Artzone“ konnte man nicht nur in Bäume gehängte Kunst bewundern, sondern sich auch durchaus selbst an Farbe und Pinsel abreagieren. Besonders beeindruckend innerhalb dieses Off-Programms waren motorisierte Maschinen, die mitsamt ihrer Besatzung direkt einem Tim-Burton-Szenario entsprungen schienen und allabendlich hoppelnd und Qualm prustend übers Gelände rasten. Das Ensemble der „Firebirds“-Produktion des Leipziger „Titanick-Theaters“ lieferte sich jeweils kurz nach Einbruch der Dunkelheit ein Rennen und versuchte, das Publikum mit ausgiebigen Schaufahrten von der Flugtauglichkeit ihrer Gefährte zu überzeugen.
Aber nun zum Musikprogramm. Die Veranstalter betonten in der Pressekonferenz, dass man bewusst nicht auf die ganz großen Headliner (die zugegebenermaßen während so einer Saison ja auch schon auf allen anderen Festivals spielen) zurückgreift, sondern versucht Trends auszumachen und die Bands von morgen einzuladen. Auch vom Budget wäre es wohl ganz klar nicht drin nur große Namen zu verpflichten, aber David Guetta hat man dann doch extra für die Endshow gebucht.
Das musikalische Programm ist so bunt und abwechslungsreich wie die Besucher des Festivals. Künstler aus 52 Ländern und Besucher aus 69 verschiedenen Ländern hatte das Sziget in diesem Jahr zu verzeichnen. 54 verschiedene Veranstaltungsorte, die von der Main Stage über eine World Music Stage, eine Hungarian Stage bis hin zu einer Holland Meets Bühne reichten.
Die Bands, die man schließlich zum Sziget geladen hatte, waren natürlich trotzdem keine Unbekannten. Franz Ferdinand spielten einen ihrer ersten Gigs nach der langen Pause und kurz vor Veröffentlichung des neuen Albums, Blur kamen auch vorbei um ihre Klassiker zu spielen und auch einige deutsche Bands hatte das Line Up zu verzeichnen. Donots, Deichkind, Seeed und Die Ärzte waren angereist, um vor allem den deutschen Besuchern eine große Freude zu bereiten. Am Mittwoch, dem ersten Tag des Musikprogramms, traten Die Ärzte um 19:30 zum vorletzten Slot auf die Main Stage und in so einem Rahmen bekommt man die Herren wirklich selten zu Gesicht. Ungefähr 5.000 deutschsprachige Besucher hatten sich zusammengefunden und nachdem mit der Frage „Is anyone hear, who is not speaking german?“ dann auch gleich geklärt wurde wo die Ärzte ihre Fans haben („Ok, dann können wir ja auf Deutsch weitermachen…“), , erlebten wir ein wirklich tolles Ärzte Konzert. Ganz locker standen wir irgendwo zwischen der 5.ten und 10ten Reihe, hatten eine Menge Platz zum Tanzen und großen Spaß. Auch am Vormittag desselben Tages, als wir als ersten Act überhaupt Alex Clare gesehen haben, dachten wir schon, wenn es so entspannt bleibt, wird es ein fantastisches Festival. Und es blieb tatsächlich bis zum Ende mehr als entspannt vor der großen Bühne. Beinahezu jeder Band konnte man sich seinen Weg nach vorn bahnen, ohne irgendjemanden anrempeln zu müssen. Selbst bei den vermeintlichen Headlinern blieb es teils fast etwas leer vor der großen Bühne. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut sich das Publikum beim Sziget verläuft.
Biffy Clyro waren, wie eigentlich immer, wieder einmal das optische Highlight unter allen Künstlern. Die drei brauchen nur die Bühne zu betreten und man kann sich ihnen nicht entziehen. Die Visuals im Hintergrund verstärken die Musik wirklich gut, auch Konfetti ist immer wieder ein nettes Gimmick, doch eigentlich reicht die kleinste Clubbühne ohne viel Brimborium völlig aus.
Mika begeistert, Woodkid steht im Wald
Ein weiteres Highlight stellte der Auftritt von Mika dar. Der quirlige Engländer stand am Samstagabend als letzter Act auf der Main Stage und konnte das Publikum mit seiner Art und seinem tollen Gesang wirklich verzaubern. Dass er auch in Budapest vor so gemischtem Publikum zu begeistern vermochte, überraschte uns ein wenig – sogar gestandene Kerle konnten seine Songs mitsingen!
Mit epischen Klängen und minimalistischem Bühnenaufbau riss Woodkid seine Fans in den Bann. Davon waren tatsächlich jede Menge anwesend, auch im fernen Budapest. Gefühlte 90% der Anwesenden konnten die Texte des erst kürzlich veröffentlichten Debütalbums mitsingen. Woodkid – klingt nach Wald, oder? Und wenn im Festivalzelt nun mal keine Bäume stehen, müssen die eben von draußen geholt werden… So oder so ähnlich muss es in den Köpfen der meisten Anwesenden abgelaufen sein. Anders können wir es uns nicht erklären, dass wir während des Konzertes auf einmal mitten im Wald standen und die Bühne vor lauter wedelndem Gestrüpp nicht mehr sahen. Ein Fan nach dem nächsten trug eigens von den umliegend wachsenden Bäumen gerissene Äste und Zweige herein, um dem Künstler damit zu huldigen.
So hatte jede der größeren Nationen ihre Künstler, die sie frenetisch feierte. Die Holländer, die Personenzahl mäßig die Oberhand hatten, konnten ihre DJs feiern, die Franzosen gingen bei Woodkid und natürlich David Guetta abund der Rest hatte einfach überall eine gute Zeit. Verwunderlich eigentlich, dass man auf einem Festival in Budapest kaum Ungarn trifft, dachten wir zunächst. Hält man sich aber einmal die wirtschaftliche Lage des Landes einerseits und die Festival-standardisierten Preise für fast alles auf dem Sziget andererseits vor Augen, scheint es naheliegend, dass verhältnismäßig zwar nicht unbedingt weniger einheimische die Insel besuchten, aber lediglich einen großen Anteil an Tagesbesuchern stellten.
Zu den ganzen Veranstaltungen neben der Musik haben sich die Veranstalter des Sziget noch etwas ganz besonderes ausgedacht, um die Besucher bei Laune zu halten. Jeden Abend um 19:00 gab es während des letzten Songs des gerade auf der Bühne stehenden Künstlers ein anderes interaktives Spektakel für die Besucher zu erleben. Am ersten Tag wurden 10.000 Ballons verteilt, um diese gemeinsam, gleichzeitig gen Himmel steigen zu lassen. An Tag 2 wurden 10.000 Windmühlen verteilt, am Freitag gab es 1000 große Wasserbälle, die über die Masse gehoben wurden und am Samstag gab es ein besonderes Highlight. Mit der Color Party, die sich hierzulande gerade als Holi Festival einen Namen gemacht hat, wurden Farbbeutel verteilt und wild durch die Gegend geworfen. Das Alles fand einfach im Rahmen des Festivals statt, wirklich ein sehr charmante Idee, die jeden Tag aufs Neue Spaß gemacht hat.
In diesem Sinne: Liebes Donauinsel-Festival, es war uns eine Ehre!
Waren dabei: Lena Krüger & Samira Szago