Dry The River sind wohl eine der besten Livebands, die ich dieses Jahr gesehen habe. Sie vereinen zwei Musikrichtungen, die mir sehr am Herzen liegen und kreieren daraus ihren ganz eigenen Sound, der ganz grob betrachtet in das Rockgenre fällt. Bei ihrem letzten Aufenthalt in Berlin hatte ich das Vergnügen, Sänger Peter Liddle zum Interview zu treffen. Die Scheiben von unserem „lauschigen“ Plätzchens hinter einer Bühnen des Berlin Festivals erzitterten auf Grund des Schlagzeug Soundchecks auf der Bühne. Und trotz eines leicht mulmigen Gefühls, haben wir tapfer geredet: über die Probleme der Menschen Dry The River’s Musikstil zu beschreiben, das Schreiben selber, aber auch wieso sie bei Sony/RCA unterschrieben haben, obwohl das doch eher „uncool“ ist und wie viel Mitspracherecht sie noch bei Sachen wie z.B. bei ihrem Artwork haben. Viel Spaß beim Lesen!
Was ich mich schon immer gefragt habe: Wieso scheint ihr immer so erpicht darauf, euch in ein Musikgenre einzuordnen? Als sei es wichtig, ob ihr Folk oder Rock wärt?
Peter Liddle: Jeder andere scheint das zu wollen, wir selber nicht. Es scheint, die Menschen wollen uns verzweifelt einordnen. Es gibt Leute, die uns als Folk Band bezeichnen wollen und die erste Frage ist immer: Wie würdet ihr eure Musik beschreiben? Für uns selber war es nie groß von Interesse – wir kommen alle aus Bands, die heavy waren. Wir waren in Metal Bands und in Rock Bands und ich habe dann eine Weile eher folkiges Zeug gemacht und jetzt durchkreuzt die Musik beide Genres. Sie hat Rock Elemente und auch Folk Elemente. Es ist nicht gerade nützlich, sie in irgendein Genre zu packen.
Heutzutage scheint es ein wenig überholt zu sein, weil so viele Bands die Grenzen zwischen den Genres überschreiten.
Genau. Ich bin mir nicht sicher, ob es hilfreich ist zu sagen: „Diese Junge hören sich an wie Mumford & Sons“ oder dergleichen. Wir hören uns nicht wie Mumford & Sons an. Oder sie sehen die Violine und sagen einfach, wir seien eine Folk Band, aber das ist für keinen hilfreich. Wir klingen wie wir.
Für mich hören sich eure Songs manchmal so an, als ob ihr am Anfang wie eine Folk Band klingen wollt, aber in der Mitte gebt ihr irgendwie auf.
[lacht] Ja, eine Menge unserer Songs scheinen das zu machen, vielleicht weil die meisten Songs live irgendwie akustisch anfangen und dann kommt die Band dazu. Es ist sozusagen eine Einführung der anderen Bandmitglieder und wird im Laufe dessen heftiger. Wir versuchen einfach nur wir selber zu sein. Wir versuchen Musik zu schreiben, die wir auch spielen wollen.
Mittlerweile lebt ihr ja von eurer Musik. Ist es so wie du dir es vorgestellt hast?
Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich es mir vorgestellt habe, aber jetzt, da wir an diesem Punkt sind, kann ich mir nichts anderes mehr vorstellen. Im Oktober des letzten Jahres hatten wir Jobs und alles und dann haben wir bei Sony unterschrieben und jetzt touren wir seit Oktober [2010], also im Prinzip ein Jahr oder so. Am Anfang haben sie uns gesagt, dass es wirklich anstrengend, wirklich ermüdend sein würde, aber uns war nicht bewusst, wie anstrengend es sein würde. Es ist wirklich anstrengend, aber es ist gut. Wir würden nichts anderes machen wollen. Es ist gut ausgelastet zu sein. Ich denke, es wäre viel schlimmer eine Band zu sein, die gar keine Konzerte hat, als eine Band, die sehr viele Konzerte hat.
War es eine schwere Entscheidung bei Sony zu unterschreiben? Es gibt ja eine Menge „Heavy“ Bands, die die großen Plattenlabels nicht mögen.
Ja, die coolen. Naja, wir hatten auch Angebote von anderen Plattenlabeln, aber… Wir sind bei RCA, das in der UK ansässig ist und ein ziemlich junges, dynamisches Team hat. Wir haben die Leute und das Label kennengelernt. Wir hingen zusammen herum, gingen mit ihnen bowlen und wir hatten den Eindruck, dass… Wir fühlten, dass bei wem auch immer wir unterschreiben wir mit Leute zusammenarbeiten müssen, die wir gern haben. Also, es waren die Leute, für die wir uns entschieden haben und nicht, ob es ein Majorlabel oder ein Independent Label war oder was auch immer. Wir haben das Team ausgewählt, bei dem wir uns am meisten zuhause gefühlt haben.
Ich habe Fotos von eurem Design Pferde Poster gesehen: Wie viel Einfluss hattet ihr darauf?
Das Label hat einen Typen, der sowas wie ein Praktikant ist. Er ist wirklich gut darin, Dinge zu basteln. Wir haben das Single Artwork zu „No Rest“, das Pferd, in Auftrag gegeben. Wir haben einen Künstler getroffen und ihm den Auftrag gegeben, es zu malen – wir hatten also schon das Bild des Pferdes und dann hat Sony uns diesen Praktikanten vorgestellt und wir haben uns mit ihm über die Optionen unterhalten. Er dachte es wäre cool, nicht einfach nur das Cover der Single zu replizieren und das klang wirklich cool. Und dann zog er los und designte es. Wir waren eigentlich gerade in Amerika und er rief uns an und sagte: „Das habe ich gemacht“, und zeigte es uns mit einer Webcam. Wir sagten nur „Das ist großartig!“. Das Label, Sony hat ja die Mittel, hat dann geholfen sie herzustellen. Es hat 35 Stunden pro Pferd gedauert. Also haben sie eine Menge Fans und so ins Büro geholt um zu helfen. Das war wirklich cool.
Habt ihr immer noch Einfluss darauf wie euer Artwork, auch vom Album, aussieht?
Ja, alles. In unserem Vertrag mit Sony steht, dass wir die Rechte an all unserem Artwork, der Werbung und so haben. Es war ein gegenseitiges Einvernehmen zwischen uns und dem Label. Es war wirklich wichtig für uns die Kontrolle über das Kreative zu behalten. Alles, wie z.B. die Tracklist unseres Albums und all das, wird durch Diskussionen geregelt. Das Label rennt nicht davon und tut irgendwas ohne unsere Beteiligung.
Ist es wichtig für euch, wie eure Musik durch das Artwork repräsentiert wird?
Absolut ja. Der Künstler, mit dem wir arbeiten, hat alle Singles gemacht. Er hat das „No Rest“ Artwork gemacht und er hat eins für die nächste Single gemacht, die „Weights & Measures“ sein wird. Und er hat eins gemacht für die Single, die im Januar veröffentlicht wird. Und das Finale wird die Illustration des Albums im Februar sein. Es ist eine Serie von Gemälden mit gleichem Thema. Es war ein Konzept, das wir uns mit dem Künstler zusammen ausgedacht haben, und dann dem Label gezeigt haben und sie mochten es. Es kam von uns. Es ist wirklich wichtig für uns, den Dingen unseren eigenen Stempel aufzudrücken. Es ist alles Teil dieser Sache. Vorher waren wir uns sehr sicher, was für Musik wir machen wollen und wie wir auftreten wollen. Das wussten wir von Anfang an und wären an keinem Punkt Kompromisse eingegangen und hätten deswegen auch keinen Deal unterschrieben bei dem wir keine Kontrolle mehr über das gehabt hätten, was wir tun.
Nachdem ich euch live gesehen habe scheinen die Pferde auf dem Cover von „No Rest“ das perfekte Bild für eure Musik und eure Live Shows zu sein.
Wir hatten die Idee, weil die Leute sagten: „Oh, sie sind eine Folk Band“ und sowas. Viele denken, Pferde und Tiere und das alles sind ein „folkiges“ Ding. Aber musikalisch betrachtet nehmen wir Ideen und Gedanken des Folks und verwandeln sie in Rock Songs oder Heavy Songs. Auf die gleiche Weise haben wir die Folk Metaphorik wie Pferde, das nächste sind Bullen und dann haben wir noch eins mit Wild genommen. Wir haben diese folkloristischen Bilder genommen, aber sie dann auf eine sehr intensive Art dargestellt. Die Pferde rennen also durch eine urbane Landschaft und sie sind wirklich gequält. Die Rinder, die Ochsen, rennen auch durch eine urbane Landschaft und da sind Vögel, die sie schikanieren. Und dann das Wild – es gibt sehr viele von ihnen und sie sind alle in dieser Aufregung. Das ist es was wir erreichen wollen – zu sagen, dass wir diese Folkelemente haben, aber auch diesen modernen, düsteren, auf eine Art schwereren Aspekt.
Ihr habt auf eurem Konzert [Anm. d. Red. The Great Escape presents… Anfang September in Berlin] gesagt, dass euer Album jetzt gemastert ist. Ich habe mal gehört, dass ihr Angst davor habt, dass ihr die Energie, die live habt, nicht auf dem Album einfangen könnt. Ist es euch gelungen?
Ich habe es gehört, ja. Es ist schwer zu sagen. Es gibt mit Sicherheit Aspekte an unserer Band, die mehr Folk sind, ruhigere, akustische Momente, aber auch die lauteren. Wir wollten einfach wirklich sichergehen, dass es ein Album wird, das alle unsere Aspekte widerspiegelt: Und wir wollten es auf eine Art haben, die von den Liveshows verschieden ist. In der Liveshow versuchen wir, auf eine Art konstant wirklich intensiv zu sein. Auf dem Album wollten wir ausarbeiten, wie wir die Arrangements interessanter gestalten könnten und auch verschiedene Instrumente einführen, die wir normalerweise nicht benutzen und versuchen Texturen zu spielen, um sehen zu können was wir mit den Songs anstellen können. Denn wenn das Album nur wie unsere Liveshows wäre, dann gäbe es keinen Grund zu den Shows zu kommen. Die Liveshow ist ein wenig roher und grober als die Aufnahmen, aber ich denke es hört sich nach uns an.
Habt ihr irgendein Konzept, wie ihr das Publikum überzeugen wollt, wenn ihr die Bühne betretet oder… macht ihr es einfach?
Ich denke, wir machen es einfach, es ist instinktiv. Weißt du, es gibt Bands, die ihr Set auf eine bestimmte Art formen und sie üben sehr viel und strukturiert und sie wissen genau, was sie sagen werden und was sie tun werden, Aber wir sind schon immer einfach rauf gegangen und haben unser Ding durchgezogen und versucht instinktiv vorzugehen. Ich denke auch, dass die Leute sagen können, wenn man zu einstudiert und gekünstelt ist oder ob man einfach loslegt und sein eigenes Ding macht. Ich denke, die Leute wissen das zu schätzen.
Ich habe mal ein Foto von eurem Proberaum gesehen – das habt ihr auf Twitter gestellt – und da waren diese riesigen Spiegelwände.
[lacht] Die sind einfach in dem Raum drin, ja.
Das ist der Grund wieso ich mich gefragt habe, ob…
…wir davor stehen? Vielleicht Scott, er macht vermutlich sein Haar und so, aber nein, wir benutzen die Spiegel nicht um uns etwas beizubringen.
In euren Songs ist es ja so, dass du eine Geschichte erzählst, aber auf mich wirken sie immer so, als ob du deine persönliche Geschichte in ihnen versteckt, als ob du sehr gut darin bist deine eigene Geschichte in einer guten Geschichte zu verstecken.
Ja, ich versuche definitiv nicht zu… Ich verehre eine Menge Songschreiber, die auf eine Art sehr ehrlich sind, aber es war nie mein Ziel so zu sein. Wenn ich sie zu intensiv fühlen würde, dann wäre es für mich und alle anderen eine Folter, sie jeden Tag live zu spielen. Und ich denke, es ist nett dieses mysteriöse Element zu haben, so dass die Leute ihre eigenen Interpretationen anstellen können. Sie können ihre eigenen Gefühle in die Musik einbringen. Wenn man wirklich beschreibend ist, dann haben die Leute viel Freiraum um zu erraten was man meint. Abgesehen davon, dass ich nicht allen vom meinen persönlichen Angelegenheiten erzählen will, denke ich, dass die Leute es bevorzugen, die Option ihrer eigenen Interpretationen zu haben und auch einen eigenen Bezug zur Musik herstellen zu können.
Wegen den erzählerischen Elementen, die du benutzt, scheint es auch so, dass du auch von Literatur beeinflusst bist.
Für mich ist der lyrische Aspekt der Musik ein völlig anderes Unterfangen als der Rest der Musik. Also, ich schreibe einen Song und dann gehe ich weg und schreibe später den Text separat. Für mich ist das eine völlig andere Sache. Es ist ein Spielplatz, auf dem ich mit Ideen herum basteln und spielen kann und der von dem, was ich gelesen habe beeinflusst sein kann. Es ist für mich ein Spaß mit Wörtern zu spielen und von Literatur inspiriert zu sein.
Ihr habt euren Violinisten, Will Harvey, und es scheint mittlerweile ein Trend zu sein die klassischen Instrumente zurück auf die Bühnen zu holen.
Ja, das ist amüsant. Will spielt schon seit Jahren in unseren Bands, schon seit wir jung waren und lange bevor es Bands wie Arcade Fire gab. Als wir jung waren hatten wir immer einen Violinisten in unserer Band. Will war in einer Ska Punk Band und spielte Violine. Es ist einfach etwas, das er schon immer getan hat. Es ist nur ein Zufall, dass viele Bands mittlerweile auch einen Violinisten mit auf der Bühne haben.
Du warst früher in Bands mit ständig wechselnden Mitgliedern – ist es jetzt anders in einer stabilen Umgebung zu sein?
Ich denke ja. Es hat viele Jahre gedauert herauszufinden, was ich von der Musik will und was für Musik ich schreiben wollte und all diese Dinge. Außerdem war es in der Vergangenheit praktisch. Wir sind früher viel umgezogen und jeder hat in 10 verschiedenen Bands gespielt, aber in den letzten fünf Jahren oder so hatten wir immer die gleichen Mitglieder. Die Band vor dieser Band waren fast genau die gleichen Mitglieder wie jetzt, nur der Bassist ist neu. Es ist schön, wir sind jetzt so etwas wie eine Familie. Wir denken nicht zu viel darüber nach, weil wir leben zusammen, wir touren zusammen, wir…
Und ihr redet noch miteinander. [Lachen auf beiden Seiten]
Manchmal. [lacht] Ich denke nicht mehr darüber nach, ob diese Band ein anderes Line Up haben könnte wie ich nicht darüber nachdenke, ob ich eine andere Schwester haben könnte. Es ist jetzt das gleiche, wir sind wie eine Familie jetzt. Das ist Dry The River, von daher denke ich, dass man sich daran gewöhnen sollte.
Vielen Dank für das Interview, Peter!
Die Single „Weights & Measures“ erscheint in Großbritannien am 14. November. Und wer sich von ihrer energiegeladene Liveshow selber überzeugen will, kann entweder bei einem der Konzerte von The Antlers vorbeischauen oder sie vorher bei einem ihrer Konzerte mit Foster The People erwischen.
Mit Foster The People:
09.11. Atomic Cafe, München
11.11. Club ADS, Berlin
12.11. Übel & Gefährlich, Hamburg
Mit The Antlers:
25.11. Magnet Club, Berlin
30.11. Knust, Hamburg
1.12. Luxor, Köln
2.12. B72, Wien, Österreich
3.12. Palace, St. Gallen, Schweiz
Interview & Live Fotos: Dörte Heilewelt