Dredg sind eine Band, die sich dem Wandel der Zeit voll und ganz zur eigenen Erquickung hingeben. Mit ihrem Neuling „Chuckles And Mr. Squeezy“ betraten sie insofern Neuland, als dass sie sich ihren langjährigen Freund und Wunschproduzenten Dan The Automator für eine Kollaboration zur Brust nahmen. So entstanden elf pointierte Songs, die neben geradlinigem Rock auch elektronische Klänge beinhalten. Was auf Albumlänge noch verstörend poppig für die einstigen Brachialrocker klingen mag, passt sich live überraschend gut in das Gesamtbild ein. Im Interview erzählten Sänger Gavin Hayes und Gitarrist Mark Engels über ihren nunmehr fünften Tonträger, über ihre Kunst und warum das Album so viel besser live klingt.
Könnt ihr das Gefühl vom Leben auf Tour wieder genießen?
Mark: Ja. Wir genießen es besonders, hier in Deutschland zu spielen. Deshalb haben wir auch für einige Festivals gerne zugesagt. Jede Show ist anders, gibt uns etwas anderes durch die Leute oder auch die Bands, mit denen wir auftreten.
In Berlin seid ihr als Vorband von System Of A Down zu sehen.
Mark: So ein Konzert ist eine angenehme Abwechslung zu den Shows, wo nur unsere Fans kommen. Das lässt es nicht zu eintönig werden, sondern gibt unserem Alltag etwas Frische.
Gavin: Die Show ist eine Art Aufschlag. Wir sind gute Freunde mit System Of A Down, im Besonderen mit Serj und deshalb haben wir gern zugesagt. Wieso sollten wir auch nicht vor so vielen Leuten spielen wollen, wo viele bestimmt nicht mal wissen wer wir sind.
Mark: Im Herbst kommen wir vielleicht nochmal für eine Headliner Show zurück. Aber jetzt bin ich schon ein bisschen nervös, vor all den Leuten zu spielen.
Verändert sich euer Verhalten untereinander, je länger ihr auf Tour seid?
Gavin: Hm ja, wir werden immer komischer mit der Zeit. Dinge, die normalerweise nicht komisch sind, werden plötzlich sehr lustig. (lacht)
Mark: Genau, wir verlieren mit der Zeit unseren Verstand. (lacht) Aber wir spielen auch besser. Durch unsere wachsende Entspanntheit werden unsere Shows auch um einiges besser. Irgendwann haben wir einen guten Lauf und das merkt man auch. Ansonsten würde ich aber so einen Touralltag nicht weiterempfehlen wollen.
Ähneln die Resonanzen, die ihr auf euer neues Album „Chuckles And Mr. Squeezy“ bekommt, denen eures 2009er Albums „The Pariah, the Parrot, the Delusion“?
Mark: Ob nun positiv oder negativ, es wird mehr über das neue Album gesprochen als über das letzte. Wir lieben unser letztes Album, dennoch genießen wir den frischen Anstrich von „Chuckles And Mr. Squeezy“. Und egal, wie man auf unsere letzte Platte schaut, es scheint so, als hätten die Leute es gemocht, aber es wurde nicht mehr darüber geredet. Also auch wenn viele negative Stimmen zum neuen Album aufkommen, werden wenigstens Wellen erzeugt. Ich würde sagen für einen Dredg Fan sieht es so aus, dass er dem Ganzen etwas mehr Zeit geben muss und uns unbedingt live sehen sollte. Denn die Songs sind live umso besser.
Habt ihr bei der Arbeit an eurem Neuwerk ein bestimmtes Prinzip verfolgt?
Gavin: Wir wussten, dass es ein andersartiges Album werden sollte. Unser Bestreben lag darin, eine gelungene Kollaboration mit Dan The Automator hinzubekommen und weniger den typischen Rock-Produzenten für klassische Rocksongs mit ins Boot zu holen. Die Arbeit mit Dan war ein Volltreffer. Da wir schon für so eine lange Zeit gemeinsam in einer Band sind, war es gut, etwas Neues auszuprobieren, um es für uns selbst weiterhin interessant zu gestalten. Das war im Grunde unser einziger Wunsch für das neue Album.
Euer Ziel ist es, immer in Bewegung zu bleiben, bloß keine Stagnation. Aber wenn dies ein bewusster Prozess ist, wie schafft ihr es, nicht schlichtweg die musikalischen Einflüsse zu kopieren?
Mark: Ich würde sagen je mehr Einflüsse man stiehlt, weil das tun wir ja alle, wird oder scheint es eigener.
Gavin: Ich denke, dass wir auf unserem Album sehr direkt mit Teilen unserer Einflüsse arbeiten und ich denke wir wissen woher sie kommen…
Mark: …von Dan.
Gavin: Genau. Wir sind also wir, nur mit ihm gemixt. Deshalb kopieren wir nicht, sondern vielmehr kollaborieren wir.
Mark: Das Album ist definitiv halb wir und halb Dan. Es ist nicht so, als hätten wir uns einen Produzenten geholt, um ein komplettes Dredg Album zu machen. Eher scheint es, als hätten wir alle gemeinsam auf der Bühne gestanden und man würde dabei sein Equipment hören. Aber bei unserer tatsächlichen Liveshow wird es nochmal ganz anders werden, da reißen wir das Ganze dann doch etwas runter. Das ist ein absolut anderes Gefühl als auf Platte. Einfach lauter und auch besser durch Dinos Schlagzeugspiel.
Gavin: Man spürt live viel mehr Energie.
„Chuckles And Mr. Squeezy“ spricht nach längerem Hören sowohl den Kopf als auch den Bauch an. Man kann sich dem Album auf einer intellektuellen Ebene nähern, aber gleichzeitig auch sehr gut dazu tanzen. Wie erreicht man so etwas?
Mark: Ich glaube das ist auf Dan The Automator zurückzuführen. Wir sind eine Band, die die Leute gern zum Nachdenken anregt, aber gleichzeitig auch die Möglichkeit geben möchte, einfach nur zu fühlen. Dan möchte die Leute unbedingt zum Fühlen bewegen und dazu hat das Album eben noch die großen Bässe und Drums.
Gavin: Manche Leute genießen es scheinbar, Sex dazu zu haben. Einige von unseren schüchternsten Fans haben mir das erzählt.
Mark: (lacht) Wirklich? Das ist nett.
Gavin: Ja, dieses mexikanische Paar sagte zu mir: „Das ist wirklich sehr peinlich, aber wir mögen es gern, zu euer Musik Sex zu haben.“ (lacht) Das ist eines der größten Komplimente, die wir je bekommen haben.
Was hat die Arbeit mit Dan The Automator euch gelehrt?
Mark: Dass wir auch mal schneller an einem Album arbeiten können, ohne dass es etwas Schlechtes ist. Zu schnelles Arbeiten kann natürlich auch schlecht sein, das war aber nicht der Fall. Bei unserem nächsten Album wird die Balance zwischen dem, was wir produzieren wollen und der Überanalysierung hoffentlich gegeben sein. Im besten Fall denken wir nicht zu viel nach und lassen manche Dinge einfach mal geschehen. Auf jeden Fall finde ich es gut, dass wir einen Weg gefunden haben, um in unseren Songs eine Art Komplexität zu haben, wie zum Beispiel in dem schizophrenen „Triangle“, aber gleichzeitig auch einfach mal einen simplen, geradlinigen Rocksong haben können. Wieso also nicht?
Gavin: Dan arbeitet wirklich sehr viel mit Gefühl. Bei manchen Takes ging es mir so, dass ich nicht genau wusste, ob mir das so gefällt, da ich sehr perfektionistisch auf den Gesang geschaut habe. Da meinte er dann oft, dass ich ihm vertrauen solle und es besser klingen wird am Ende.
Ist das Album durch die Distanz bei der Arbeit persönlicher geworden?
Gavin: Ja, beim Schreiben waren wir nicht immer zusammen.
Mark: Ich denke, es ist mehr von Gavin enthalten. Das ist eigentlich auch typisch so. Man bekommt vielleicht den Eindruck von vielen unterschiedlichen Einflüssen, aber meist ist es doch Gavin.
Gavin: Vom lyrischen Standpunkt her ist es auf jeden Fall persönlicher meinerseits. Ich habe viel über Familie geschrieben, weil da eben viel passiert ist dadurch, dass ich meine biologischen Eltern kennengelernt habe. Hoffentlich passiert auch weiterhin irgendwas, so dass ich Dinge habe, über die ich schreiben kann. Vielleicht suche ich beim Schreiben auch gezielt nach solchen Sachen. Gerade bei diesem Album wirkten viele starke Eindrücke auf mich ein. Aber auch Mark hat mir mal einen fast kompletten Song zugeschickt.
Mark: Naja, wenn ich zum Beispiel Gitarrenriffs schreibe, werden manche von diesen Riffs zu Keyboardsounds umgewandelt. So fragen sich die Leute wo Mark ist, aber ich bin immer noch da, nur verstecke ich mich eben hinter dem Keyboardsound. Manchmal kann die Produktion die Empfindung verändern.
Wenn ihr einen Blick zurück zulasst, welche bewegenden Momente in euer Bandgeschichte kommen euch da in den Kopf?
Mark: Das Konzert in Dortmund vor zwei Jahren hat mich ziemlich umgehauen. Aber generell die Möglichkeit, in Europa Shows zu spielen ist ein großartiges Gefühl. Wir haben hier viele Freunde kennengelernt, manche kennen wir schon so zehn Jahre und das ist auch ein Grund, weshalb wir gern immer wieder kommen.
Gavin: Für mich war es der Moment, als wir unseren Plattenvertrag bekamen. Das war im Jahr 2000 und das war nach einem langen Weg der Gipfel. Diese Unterzeichnung war sehr aufregend. Nicht nur für uns, ich glaube für die gesamte Industrie war das so. (lacht) Naja, in der Zeit war so etwas noch extravaganter.
Ich habe euren Werdegang durch das deutsche Musikmagazin Visions mit verfolgt. Wie sie euch beispielsweise mit eurem ersten Album auf’s Cover gebracht haben und Mark darauf meinte, dass er das gar nicht nachvollziehen kann.
Mark: (lacht) Oh ja! Wir spielten gerade in Kalifornien und Jochen Schliemann von der Visions erzählte es uns da. Das hat uns absolut umgehauen. Wir schlugen uns gerade so in Kalifornien durch und die Vorstellung von uns auf einem Cover von einer Zeitung war einfach unglaublich.
Gavin: Zu der Zeit war es für uns komisch Fotos von uns machen zu lassen. Wir wollten dem am liebsten aus dem Weg gehen, weil wir uns auch nicht für die bestaussehensten Menschen halten.
Mark: Aber wir sind mit der Zeit in unsere Aufgabe hineingewachsen, da wir realisiert haben, dass wir eben eine bestimmte Art von Musik machen und uns deshalb auch Gedanken darüber machen könnten, wie wir in einem Bild analysiert werden. Auch mit einem Bild können wir zeigen wer wir sind, ohne irgendeinen originellen Einfall dabei zu haben.
Fotografien von euch sind selten schlichte Bandportraits, sie sind eher surreal.
Mark: Ja, wir mögen es, Spaß bei Fotoshootings zu haben und komische Sachen dazu zu packen.
Gavin: Unser Freund „Merkley???“ aus San Francisco ist eine sehr interessante Person, er fotografiert uns häufig. Seine Fotos sind fantastisch. Größtenteils macht er Nacktfotos von Frauen. Er nimmt dafür auch keine Models, sondern Freunde und Bekannte. Aber es ist der gleiche Stil: sehr klar, leuchtende Farben und eine Menge Nachbearbeitung mit Photoshop. Man sieht bei seinen Fotos starke Symmetrie im Kontrast mit beispielsweise vielen Mikrophonen überall oder auch toten Tieren. Das ist wirklich sehr cool.
Mark: Wir vertrauen „Merkley???“. Er sagt uns zwar, welche Art von Kleidung wir für ein Fotoshooting mitbringen sollen, aber nicht viel mehr. Wir kennen ihn und seine Arbeit lange genug, dass man sie nicht hinterfragen muss. Von vornerein können wir davon ausgehen, dass es Qualität sein wird.
Gavin: Er hat auch gerade ein Video zu unserem Song „Upon Returning“ gemacht. Das war sein erstes Video und ich liebe es! Meiner Meinung nach ist es das beste Video, das wir bis jetzt gemacht haben. Es macht einfach Spaß, weil es ein kleines bisschen von allem hat. Und er wird auch unser nächstes Video machen. Da haben wir also einen großartigen Künstler in einem guten Freund gefunden.
Mark: Die Fotos haben aber nicht unbedingt direkt mit unserer Musik zu tun. Je andersartiger desto besser. Wenn man so möchte, ist es eher eine weitere Anregung.
Gilt das auch für euer Albumcover?
Mark: Auch unser Albumcover ist mal etwas ganz Anderes. Wir wollten gern eine Fotografie haben und nicht wie sonst immer eine Zeichnung oder so was. Unser Bassist Drew hat das gemacht. Er ist auch ein toller Künstler und so haben wir uns gefragt, wie wir das zusammenmixen könnten.
Also hat Drew die Maske kreiert und Drews Bruder hat das Ganze dann fotografiert. Um ehrlich zu sein war das eine sehr schnelle Entscheidung. Wir haben uns nicht viel dabei gedacht, dass das Model viele Tätowierungen hat.
Gavin: Aber wir hatten schon unterschiedliche Motive zur Auswahl. Doch dieses Bild fiel uns am stärksten ins Auge, es ist sehr ikonisch und genau das wollten wir haben. Als Konstante haben wir stets unser Bandlogo mit dabei. Es ist irgendwie für die gesamte Band ein Symbol geworden und steht für Adaption und Veränderung. Das Logo passt einfach perfekt dazu, wie wir uns als Band sehen. So wie sich das Logo entwickelt, so entwickeln wir uns auch weiter.
Fragt ihr euch oft, was als nächstes kommt oder lebt es sich ganz gut im Hier und Jetzt?
Mark: Wir gucken schon, was auf uns zukommt. Aber man kann nicht zu weit weg schauen, da ja meist schon die Tour so drei bis vier Monate im Voraus gebucht ist. So lernt man jede Tour so zu nehmen, wie sie kommt.
Gavin: Ich glaube wir sind für das gesamte Jahr bereits verbucht.
Mark: Wenn dann das neue Jahr anbricht, werden wir vielleicht darüber sprechen, ob wir ein neues Album angehen wollen oder überhaupt noch gemeinsam Musik machen wollen. (lacht)
Habt ihr die große Veränderung bei diesem Album auch benötigt, damit ihr noch weitermachen könnt?
Mark: In jedem Fall half die Veränderung, besonders live. Sobald wir wieder Konzerte gaben, hatten wir ein Gefühl des Wiederauflebens. Aber wir sind Freunde und kommen auch auf der Bühne sehr gut miteinander klar. Es ist jetzt mehr Hoffnung für uns, mehrere Alben in Zukunft zu machen als zuvor. Selbst das Touren fühlt sich besser an. Dennoch liebe ich unser letztes Album, damit hat es also nichts zu tun.
Gavin: Ja, man kann nicht richtig sagen, was der Grund dafür ist. Das ist schon komisch. Vielleicht, weil wir nun auch schlechte Kritiken für das neue Album bekommen haben, ist es anders. Ich meine, selbst in den USA, wo das meiste schlechte Feedback herkam, waren die Shows von der Energie her viel besser als bei der letzten Tour. (lacht)
Mark: Unsere Konzerte sind jetzt viel unterhaltsamer. Mit all den Songs, von denen manche schon zehn Jahre alt sind, hat man mit jedem Song einen völlig neuen Sound. Aber sie funktionieren trotzdem alle gemeinsam, was auch super ist.
Schreibt ihr schon an neuen Songs?
Mark: Nicht wirklich. Wir haben einige Ideen, die noch übrig sind von dem letzten Album und dem davor. Vor allen Dingen sammelt man individuell gedanklich schon zusammen, wie man sich den neuen Sound so vorstellen könnte. Wir unterhalten uns nur manchmal darüber. Das live Spielen hilft mir, eine Idee von einem neuen Sound zu bekommen.
Interview und Foto: Hella Wittenberg