Die meisten von uns haben dodie wahrscheinlich als das Mädchen auf Youtube kennengelernt, das Lieder singt und sich dazu auf ihrer Ukulele begleitet. Jetzt, neun Jahre nachdem sie ihr erstes Video veröffentlicht hat, bringt sie ihr Debütalbum „Build A Problem“ heraus, das uns zeigt, dass sie zwar immer noch dasselbe Mädchen mit der Ukulele ist, aber zu einer echten Texterin, Komponistin und durchweg überwältigend inspirierenden Persönlichkeit herangewachsen ist.
„Build A Problem“ ist anders als alles, was sie bislang veröffentlicht hat und beim Hören wird einem schnell klar, warum es so lange gedauert hat, bis ihr Debütalbum bereit war, das Licht der Erde zu erblicken. Während dodies und meinem Gespräch wird deutlich, dass „Build A Problem“ die Geschichte des Erwachsenwerdens aus der Perspektive von jemandem erzählt, der gelernt hat, was an sich selbst Wachsen wirklich bedeutet.
Schön dich kennenzulernen, dodie! Wie geht es dir?
Mir geht es gut, ich hatte gerade drei Interviews hintereinander und hatte jetzt etwa 10 Minuten Pause, also habe ich mir eine sehr scharfe Gurke geholt und jetzt brennt mein Mund ein bisschen.
Hört sich an, als ob es das wert war. Dann fangen wir doch gleich an. Du hast im Grunde schon immer Musik gemacht. Wie hast du jetzt die bewusste Entscheidung getroffen zu sagen: „Okay, jetzt, fünf Jahre nach meiner ersten offiziellen Veröffentlichung, ist es Zeit für mein Debütalbum“?
Ich denke, es hat sich einfach richtig angefühlt. Ich war sehr bereit, nachdem ich drei EPs veröffentlicht hatte. Ich glaube, dass ich diese Zeit gebraucht habe, um wirklich meinen Sound zu finden und um herauszufinden, wer ich bin, und jetzt fühlte es sich einfach richtig an.
Ich persönlich denke, dass „Build A Problem“ sich sehr von vielen Alben unterscheidet, die heutzutage veröffentlicht werden. Ich habe das Gefühl, es ist ein richtiges Konzeptalbum. War das immer der Plan?
Ja, danke! Ich wollte damit clever sein. Ich glaube, ich habe versucht, etwas ganz anderes zu planen, aber am Ende habe ich dann doch sehr organisch geschrieben. Ich würde gerne sagen, dass ich es vorher geplant habe, aber ich denke, das hier ist nur das Ergebnis von ein paar Jahren, in denen ich einfach das Leben gelebt habe.
Das erste Album ist natürlich für alle Künstler*innen etwas ganz Besonderes. Was hast du während des Entstehungsprozesses von „Build A Problem“ gelernt?
Was ich gelernt habe? Ich weiß es gar nicht so genau. Ich glaube, ich hatte einfach eine wirklich gute Zeit. Ich denke, ich habe gelernt, dass ich schreibe, egal was passiert und ich habe gelernt, dass ich es am besten kann, wenn kein großer Druck auf mir lastet. Ich glaube, ich profitiere auch davon, dass ich viel Zeit zum Nachdenken habe, beim Schreiben und auch in meinem Leben. Ich denke, meine Musik kann auch immer wachsen und sich verändern. Ich habe gelernt, dass Gefühle sehr komplex sind und es nicht nur eine Art gibt, etwas zu betrachten.
Wie würdest du deine Art des Songwritings denn beschreiben?
Ich sage immer, es ist Therapie. Es fühlt sich wie eine Therapie an. Es ist eine Menge an Aufarbeitung. Ich schreibe, egal was kommt, denke ich.
Es kommt ganz natürlich zu mir. Ich bin einfach so dankbar, dass ich es in meinem Leben habe, um Dinge zu dokumentieren und gleichzeitig zu verarbeiten.
Du warst schon immer sehr offen über dich und deine Kampf mit deiner mentalen Gesundheit, in deiner Musik und online. Besonders über deine Derealisationsstörung. Das ist etwas, worüber du viel sprichst, da es offensichtlich ein großer Teil deines Lebens ist. Könntest du vielleicht erklären, was das ist und wie es dich beeinflusst, für alle, die damit nicht vertraut sind?
Klar! Derealisation ist ein Gefühl der Abwesenheit. Normalerweise ist es eine Art, mit etwas umzugehen, und es ist eine Art, wie das Gehirn einen vor möglichen traumatischen Ereignissen oder Gefühlen abschirmt. Bei mir spüre ich das sehr körperlich. Ich habe Probleme, mich an Dinge zu erinnern. Es fühlt sich an, als wäre meine Sicht blockiert, und es löst bei mir auch Depressionen und Ängste aus. Es ist chronisch. Ich habe noch keinen Weg gefunden, mich nicht „spacey“ zu fühlen. Und ja, ich spreche ziemlich viel darüber, denn als ich mich zum ersten Mal so fühlte, hatte ich keine Ahnung, was los war. Ich wünschte, es hätte damals jemanden gegeben, der so ausführlich darüber gesprochen hätte, wie ich es jetzt tue.
Jetzt bist du sogar Botschafterin einer Stiftung namens „unreal“, richtig?
Ja! Es ist die erste Wohltätigkeitsorganisation für Derealisation in Großbritannien.
Wie kam das zustande?
Einfach dadurch, dass ich online darüber gesprochen habe. Es gab diese Leute von der Stiftung, die sich bei mir gemeldet haben, und eine von ihnen habe ich sogar wiedererkannt, weil sie ein Buch über Derealisation geschrieben hatte. Sie ist jetzt sogar meine Therapeutin, was sehr hilfreich ist. Ich hatte ein paar Treffen mit diesen Frauen, die auch diese Erfahrung gemacht haben und es war erstaunlich, auf diese Weise eine Verbindung aufzubauen.
Wie würdest du sagen, wirkt sich die Derealisation auf deine Arbeit aus, also auf das Schreiben und das Musikmachen?
Es kommt auf jeden Fall ins Spiel, wenn ich Interviews gebe, Shows spiele oder meine Fans treffe. Ich meine, es ist die ganze Zeit präsent, aber ich bemerke es mehr, wenn ich funktionieren muss.
Deine ganze Reise, all das, begann, als du vor mehr als neun Jahren angefangen hast, Videos auf Youtube hochzuladen. Was war damals deine Absicht, als du dich hingesetzt hast, um das erste Video zu drehen?
Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ich wirklich wusste, was ich da tat. Ich liebte die Youtube-Community und wollte einfach nur mitmachen. Ich habe schon vorher versucht alberne Videos zu drehen, aber wie gesagt, ich wusste nicht wirklich, was ich da mache. Es fühlte sich also richtig an, einen Song zu singen, den ich in der Schule geschrieben hatte, weil es das Einzige war, was ich damals vorzuweisen hatte, und das wurde dann sozusagen mein Projekt, meine eigene Musik hochzuladen und dann auch einige Coversongs. Es war einfach meine Art, mich zu involvieren und neue Freunde zu finden.
Nun zurück zu deinem Album. Ich hatte tatsächlich das Glück, dein Album bereits anhören zu können. Zunächst einmal hat es mir sehr gut gefallen.
Dankeschön!
Ein Song, der mir wirklich im Gedächtnis geblieben ist, war „Special Girl“. Darin singst du „could not care less if you love me, but hate first, make me work“. Was steckt hinter diesen Zeilen?
(lacht) Ich meine, es steckt eine Menge Therapie hinter diesen Zeilen. Darin findet man eine Menge Verständnis dafür, wonach ich suche, das passt irgendwie zum ganzen Vibe des Albums und dem ganzen Thema, wie ich aufgewachsen bin und wie ich erzogen wurde. Ich denke, in „Special Girl“ geht es darum, Menschen zu finden, die schwer zu knacken sind oder die nicht besonders viel Lob geben, so dass ich mich, wenn ich es von ihnen bekomme, besonders und zusätzlich geliebt fühle. Was irgendwie krank und ein bisschen kaputt ist, aber in diesem Song mache ich mich etwas darüber lustig und vielleicht leugne ich auch, wie sehr es mich beeinflusst.
Ein weiterer meiner Lieblingssongs auf dem Album ist „Rainbow“. Er wirkt sehr unverfälscht, sehr emotional und sehr persönlich. Kannst du mir sagen, was du durchgemacht hast, als du diesen Song geschrieben hast?
Ich denke, der Song handelt vor allem von Bisexualität, aber er bezieht sich auch auf meine Gefühle in Bezug auf psychische Gesundheit und das Gefühl, in irgendeiner Weise anders zu sein, was auch immer das für jeden anderen sein mag. Manchmal nennen mich die Leute eine Art Botschafterin oder eine Ikone, „bicon“, aber ich glaube, in dem Song geht es darum, dass ich erkannt habe, dass es eine Menge unverarbeiteter Gefühle rund um meine Sexualität gibt, die ich mir verüble, weil ich sozusagen in einer Welt aufgewachsen bin, die nicht darauf abgestimmt war und ich wünschte, ich hätte gewusst was das ist, ich wünschte, ich wäre da durchgeleitet worden. Ich denke, es gibt einfach eine Menge Gefühle rund um die Bisexualität, die ich noch nicht entdeckt oder aufgearbeitet habe, aber es gibt auch eine Leichtigkeit im Refrain, die die Dankbarkeit gegenüber den Gemeinschaften ausdrückt, die jetzt hier sind, hier für mich und alle anderen.
Letztes Jahr zu deinem 25. Geburtstag hast Du ein Video aufgenommen, in dem du auf dein 20-jähriges Ich reagierst. Wenn du die Chance hättest, was würdest du der dodie sagen, die gerade ihre Musikkarriere begonnen hat?
Oh wow. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihr irgendetwas sagen würde, denn ich würde nichts durcheinanderbringen wollen was passiert ist, aber ich nehme an, dass ich jetzt weiß, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt, Musik zu schreiben. Es gibt nicht nur den einen richtigen Weg, Musikerin zu sein. Als ich jünger war, fühlte ich mich als Künstlerin nicht wirklich legitim. Ich fühlte mich albern, wie ein kleines Mädchen mit ihrer Ukulele, aber ich denke, das spielt überhaupt keine Rolle. Ich denke, die Ukulele ist ein großartiges Instrument, großartig und zugänglich, und ich bin auch immer noch mit ihr eine echte Musikerin und eine Künstlerin.
War das auch einer der Gründe, warum du dich von Youtube zurückgezogen hast?
Ich weiß es nicht. Vielleicht war es anfangs Unsicherheit, weil ich mich nicht wie eine legitime Künstlerin fühlte. Aber ich glaube, das hat sich mittlerweile gelegt, weil ich gemerkt habe, wie albern das ist. Ich glaube, ich habe mir einfach mehr Freiraum vom Internet verschafft und mehr Grenzen gesetzt, und jetzt lade ich einfach etwas hoch, wenn ich Lust dazu habe. Es fühlt sich einfach wie ein natürlicher Teil des Erwachsenwerdens an.
Ich habe das Gefühl, dass es viele Künstler*innen gibt, die es ziemlich schwierig finden, während des Lockdowns kreativ zu bleiben. Wie bist du mit dieser Situation umgegangen?
Ehrlich gesagt, bin ich das gar nicht (lacht). Ich glaube, jeder hatte zu Beginn des Lockdowns irgendwie einen Motivationsschub. Ich meine, es ist schwierig, motiviert zu bleiben, wenn die Welt in einem solchen Chaos ist, ganz klar. Also denke ich, ich musste einfach akzeptieren, wo ich stehe, und das kann heißen, dass ich sechs Stunden lang in der Ecke sitze und auf meinem Handy scrolle und das alles ist, was ich an diesem Tag tun kann. Ich weiß auch, dass ich erkennen muss, wann ich mich um mich selbst kümmern muss und versuchen muss, die Motivation dafür zu finden.
Aber bist du denn während des Lockdowns überhaupt dazu gekommen, Musik zu machen, oder gab es da gar keine Inspiration?
Es gab eine Zeitspanne zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown. Und offensichtlich habe ich während des ersten viel geschrieben, aber während des zweiten überhaupt nicht. Ich schleiche mich langsam wieder zum Schreiben zurück. Ich versuche, nicht zu hart zu mir zu sein.
Ich denke, wir sollten in diesen Zeiten alle ein bisschen netter zu uns selbst sein.
Aber es ist schwer, nicht wahr?
Ja, aber ich denke, wir haben alle Wege gefunden, damit umzugehen. Wie lenkst du dich am liebsten von dem Chaos ab, das unsere Welt im Moment ist?
Ich habe viel gestrickt, viele Filme geschaut, viel gebastelt. Ich habe angefangen, Bilderrahmen in meiner Wohnung aufzustellen und zu malen, das hat ziemlich viel Spaß gemacht.
Lass uns für meine letzte Frage noch ein wenig träumen. Sobald es wieder möglich ist Live-Shows zu veranstalten – an welchem Ort/Festival würdest Du gerne mal spielen?
Überall! Ich sollte im Sommer letzten Jahres etwa drei Festivals spielen. Ich werde einfach überall spielen. Ich habe eine Tour im September gebucht, für die ich einfach nur hoffen kann. Ich drücke die Daumen.
Das Interview könnt ihr hier auch im englischen Original lesen.
Foto © Parri Thomas