Das Hamburger Elektro-Duo Digitalism kann auf ein prall gefülltes Jahr 2011 voller Erfolge zurückblicken. Wenn es auch weltweit für Jens Moelle und Ismail Tuefekci zuvor ziemlich rund lief, so eroberten sie mit der Single „2 Hearts“ von ihrem im Juni veröffentlichten Zweitwerk „I Love You Dude“ buchstäblich auch die Herzen der zähen Deutschen. Im Radio sprudelte es in Endlosschleife als Soundtrack zum genüsslichen Eis essen und auf Festivals wurden sie stolz wie Bolle als Headliner beworben. So kann Sänger Jens im Interview über herrlich vollgepackte Konzerte berichten, genauso wie über nette Urlaubsgedanken und dem Schlafdefizit, welches sich als zugehörig zum ganz normal chaotischen Tour-Alltag erweist.
Ihr habt die Festivalsaison für dieses Jahr hinter euch gelassen. Wie war es?
Es war super. Vor allen Dingen haben wir dieses Mal auch vieles per Bus gemacht. In Deutschland war das zum Beispiel das Southside und Hurricane Festival und in Belgien Rock Werchter. Für uns war es ein ziemlich guter Sommer. Das Witzige war, dass es zufälligerweise immer aufgehört hat zu regnen, wenn wir bei einem Festival angekommen sind und wir hatten dann gutes Wetter bei unseren Auftritten. Wir waren auch Headliner auf einigen Festivals, das war auch mal ganz gut für uns. (lacht) Und wir hatten tolles Publikum, gerade in Deutschland. Früher war es so, dass es für uns im Ausland besser lief, aber das hat sich sehr geändert. Inzwischen hat Deutschland so nachgelegt, dass es für uns mit das beste Land für unsere Shows ist. Vielleicht connected die Musik jetzt einfach besser oder wie man das sagen will, aber ich weiß es nicht genau. Es scheint sich nach der letzten Live-Tour vor ein paar Jahren herumgesprochen zu haben, dass es derbe viel Spaß macht auf ein Konzert von uns zu kommen. Jetzt haben die Leute darauf gewartet, dass wir wieder live spielen, nachdem wir zwei Jahre lang nur aufgelegt haben und nun ist immer alles brechend voll. Das Team um uns herum hat aber auch gute Arbeit geleistet, was zum Beispiel die Promotion und die Presse angeht.
Wie gestaltet sich das Feedback zu „I Love You Dude“?
Freunde und Familie finden es natürlich alle toll, aber das war auch beim letzten Album so. Aber die Feedbacks sind generell sehr gut und wir haben auch viel Unterstützung vom Radio bekommen. Das war beim letzten Mal noch nicht so. „Idealism“ war auch clubbiger, glaube ich. Das neue Album ist ein bisschen freundlicher und eher weg von den Clubs. Allerdings versuchen wir da immer noch so die Balance zu finden.
Zunächst sollte euer Zweitling „Tourism“ betitelt werden und dann seid ihr aber doch davon abgekommen.
Ja, es hätte gepasst. Aber dann wollten wir mal wieder etwas machen, das die Leute von uns nicht erwarten würden. Das tun wir gerne. Wir wollten letztlich das Ganze auch nicht „Tourism“ nennen, da das nach „Idealism“ wie ein Bedienen von einem Digitalism-Klischee ausgesehen hätte. Dann haben wir, nachdem wir zwei Monate in Australien waren, das Album fertig gemacht. In Australien war alles so entspannt und wir hatten die ganze Zeit diesen Satz „I Love You Dude“ im Kopf und sagten zu uns: warum nennen wir es denn nicht einfach so? Der Satz ist total kontextfrei und wird die Leute zuerst ein bisschen vor den Kopf stoßen, das hat auch bis jetzt ganz gut geklappt. (lacht) Das entstand eigentlich nur so als Witz. Aber im Nachhinein passt es, weil das neue Album einfach viel freundlicher als das erste ist. Es ist nicht mehr ganz so rotzig und nur für nachtaktive Leute. Die Produktion fand auch tagsüber statt. An „Idealism“ haben wir meist bis vier oder fünf Uhr morgens gearbeitet. Und wie auch immer man unsere Musik nennen möchte, wir haben das jetzt so durchgezogen. Im Prinzip repräsentiert das Album die Essenz von dem, was wir gut finden. Da war uns auch völlig egal, was gerade cool ist. Es ist besser, wenn man nicht versucht Trends zu bedienen. Damit ist eher die Langlebigkeit gegeben. Und was anderes wollten wir auch gar nicht machen. Also wir haben jetzt nicht überlegt, ob wir dies oder jenes machen, sondern danach geschaut, wie wir uns fühlen. Die vielen Auftritte haben zum Beispiel das Songwriting beeinflusst und außerdem wollten wir ein paar Sachen ausprobieren, was die Produktion und die Gesangsaufnahmen betrifft. Dafür sind wir extra nach London geflogen, weil wir das bei uns im Studio gar nicht richtig machen können. Das ist normalerweise nicht so unser Style. Aber da konnten wir viel experimentieren und deshalb ist alles ein bisschen sauberer geworden. Die Tracks sind auch alle viel kürzer und auf den Punkt anstatt zehn Minuten extended version. Deswegen ist das Album auch nur so 39 Minuten lang. Na gut, das letzte war auch nicht sehr viel länger, aber das hat sich ziemlich hingezogen.
Warum war Australien so entspannt für euch?
Es war Urlaub vom Studio, weil wir außerhalb des Studios meistens nicht produzieren und uns nicht so damit beschäftigen wollen. Es war jedoch kein Urlaub in dem Sinne, weil wir eine DJ-Tour gemacht haben. Aber es war Sommer und allein dadurch sehr entspannt. Silvester haben wir bei 20 oder 30 Grad verbracht. Das war auf jeden Fall nicht schlecht. Wenn man mal eine Pause macht, fallen einem auch so Sachen auf, die man gerne ändern würde. Als wir ins Studio zurück gegangen sind, haben wir das gemacht, was wir fast immer machen: uns selber noch ein paar Mal geremixed bis es dann genau so war wie wir es haben wollten. Jeder Song ist eigentlich der 20. Remix von der Originalidee. Das kann zwar immer so weiter gehen, aber irgendwann muss man sich auch selbst stoppen.
Trotzdem hätte der Titel „Tourism“ ganz einladend für euer beschwingtes Urlaubsalbum wirken können.
Es ist auf jeden Fall eine Reiseplatte, die man sich am besten anhört, wenn man in Bewegung ist. Ob nun in der Bahn, im Auto oder im Laufen – da funktioniert es besonders gut. Hinzu kommt, dass es wieder sehr soundtrackig geworden ist, was so ein bisschen unsere Spezialität ist. Das Album ist also wirklich eine Art Reise. Aber mir würde jetzt kein Film einfallen, wo unsere Musik richtig zu passen würde. Denn die Sachen sind so extrem geworden, in alle Richtungen, dass man das gar nicht mehr alles in einen Film packen kann. Wenn, dann müsste der Film schon direkt „I Love You Dude“ heißen. (lacht) Es ist quasi so ein imaginärer Soundtrack zu einem Film, den es nicht gibt. Wir arbeiten gerne mit Kontrasten, was man schon allein am Albumtitel sehen kann. Einige Tracks sind auch viel schneller oder viel langsamer anstatt der 130 BPM normalen Clubgeschwindigkeit. Das geht alles so ein bisschen auseinander und passt doch irgendwie unter einen Hut. Mit „Reeperbahn“ zeigen wir beispielsweise unsere dunkle Seite. Da haben wir auch lange überlegt, ob der Track überhaupt für das Album geeignet ist. Wir mussten einige Sachen aus der Auswahl schmeißen. Die sind dann Bonustracks geworden. Der eine heißt zum Beispiel „Blade“ und ist komplett nur Techno. Das hat halt einfach nicht in den Kontext gepasst. Trotzdem wollten wir versuchen, jede Seite unserer Musik abzudecken. Das ist uns wichtig.
Wie sehr kannst du das Nichts tun genießen?
Ich versuche öfter mal still zu sitzen. Weil sonst einfach alles so hektisch ist und wir keine Privatsphäre haben. Wir sind immer mit zehn Leuten unterwegs. Dauernd Soundcheck, Show und alles dreht sich um Musik. Deswegen schalte ich manchmal gern alles aus, setze mich nach draußen oder so was. Das ist ganz cool. Aber im Moment ist es relativ schwer, seine eigenen fünf Minuten haben zu können. Das geht irgendwie auch, da es ja immer etwas zu tun gibt und man dadurch abgelenkt ist.
Wenn du an eine ausgedehnte Entspannungszeit denkst, wohin in der Welt würde es dich verschlagen?
Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Sicherlich irgendwo hin, wo es warm ist. Am besten macht man immer Urlaub im Januar oder Februar. In der Zeit ist in Deutschland alles dunkel und kalt. Das ist der Vorteil, wenn man keine Kinder hat, wegen denen man auf die Schulferien warten muss und nur im Sommer weg kann, wo es auch hier warm und schön ist. Dagegen kann man so natürlich auch locker im schlechtesten Deutschland-Wetter verreisen. Aber wir fahren jetzt nicht gemeinsam weg oder so. Da macht jeder seine eigene Sache. Wir sehen uns ja sonst eh jeden Tag, so dass man sich ruhig auch mal zehn Tage nicht sehen muss. Das ist aber eigentlich sehr selten.
Seid ihr in deinen Augen typisch hanseatisch?
Hm, hanseatisch… Ja, ich glaube schon. Hamburg hat uns sehr geprägt. Man ist einfach stolz auf Hamburg und so. Jeder zieht sein eigenes Ding durch, die Stadt war ja auch immer unabhängig von allem. Ich denke das ist schon so in uns drin und irgendwie wird das noch dadurch intensiviert, dass unser Studio ein Bunker ist. Da sind wir komplett abgeschottet und machen einfach nur das, was wir machen wollen, ohne explizite Einflüsse von außen. Außerdem könnte hanseatisch bedeuten, dass man viel herum kommt. Also seine Waren irgendwo herum schifft oder so was. Hamburg wird auch das Tor zur Welt genannt und wenn man sich mit unserer Musik gedanklich auf eine Reise begibt, hat man auch Bilder im Kopf. Wir haben eigentlich immer irgendwelche Bilder im Kopf. Als wir zum Beispiel „Miami Showdown“ gemacht haben, dachten wir, dass es wie eine Verfolgungsjagd klingt. Zu dem Zeitpunkt hatten wir dafür aber noch keinen Titel. Unserer Meinung nach klingt es nach „Miami Vice“, weißen Anzügen, Mafia auf einem Speedboot oder in so einem Hafen und dadurch kamen wir auf diesen Titel. Die Musik ist meist vor dem Text fertig und so machen wir uns dann immer Gedanken, was die Musik für Assoziationen hervorruft, dadurch geht das Schreiben relativ schnell. Am Ende kommt dann aber sowieso was ganz anderes dabei heraus. (lacht) Gut, dass klingt jetzt nicht unbedingt nach Hamburg. Aber nach dem „Hamburg-als-Tor-zur-Welt-Style“. (lacht)
Was sollte man in Hamburg auf keinen Fall ungesehen lassen?
Am besten finde ich die Zeit zwischen Mai und Juni. Man sollte direkt ins Zentrum der Stadt und da, wo die Alster ist, herum laufen. Es ist eigentlich egal wo, aber wenn man an der Alster ist, hat man überall diese Kanäle, kleine Brücken und Altbauhäuser und all so was. Da kann man sozusagen auch in Hamburg Urlaub machen. In dieser Zeit ist es meist noch fast bis 23 Uhr hell und viele Leute grillen draußen. Das ist auf jeden Fall cool. Ich habe seit zwei Jahren auch einen Grill auf meinem Balkon, den ich jedes Mal nach dem Benutzen ordentlich sauber mache. Nur bräuchte ich jetzt langsam einen neuen. Immer wenn das Wetter gut ist, bin ich sofort am Grillen. Das muss einfach so sein. Und dazu noch ein Hawaiihemd! (lacht)
Bist du auf Tour auch an Sightseeing interessiert oder betrachtest du lediglich die Clubs von innen?
Eigentlich beides. Ich gucke mir gern Sachen an, aber auf Tour sieht man meist wirklich nur die Clubs. Abends wird es ja immer ein bisschen länger und da schlafen wir auch alle so bis um 12 Uhr. Dann steigt der erste aus und fragt, ob wir schon in den Club können. Oft ist noch abgeschlossen, man wartet also noch so eine Stunde bis die Sachen auf die Bühne gestellt werden können, um den Soundcheck zu machen. Bis der fertig ist, haben wir schon wieder späten Nachmittag und man möchte nur noch schnell die ganzen E-Mails abarbeiten und so was. Deswegen setzen sich alle immer gleich rein, weil es da W-LAN gibt. Mit der Vorbereitung auf den Auftritt geht die Routine weiter: schnell was essen und dann Show. Danach sitzt man noch im Backstage und unterhält sich bis zwei oder drei Uhr nachts. Dann geht man schlafen und der nächste Tag ist ganz genauso. Manchmal haben wir auch einen Tag frei. Nur sind wir oftmals so hinüber, das wir unsere Ruhe haben wollen anstatt uns noch den Stress zu geben und hierhin und dorthin zu gehen, was auch nicht so schlecht ist.
Wie kommst du mit dem Schlafdefizit auf Tour klar?
Nee, hab ich gar nicht so. Wir schlafen eigentlich relativ viel auf Tour. Es ist nur nicht der beste Schlaf. So ein Tag ist natürlich anstrengend, auch wenn wir nur anderthalb Stunden live spielen. Das Sitzen, Stehen und Warten schlaucht auf jeden Fall und dann wartet auf einen nicht unbedingt ein Hotel Adlon Bett im Bus. Es sind immer noch Leute wach, spielen Playstation oder es wird geschnarcht und so. Man steht nach ungefähr acht oder neun Stunden auf und fühlt sich als hätte man nur zwei geschlafen. Aber an sich kriegen wir genug Schlaf, so ist es ja nicht! Wenn ich nicht genügend Schlaf habe, bekomme ich auch schlechte Laune. (lacht)
Welche skurrilen Gerüchte kursieren über euch, die dich so richtig nerven?
Puh, ich weiß gar nicht welche es gibt… (langes Schweigen) Es gab mal eins, dass wir aus Frankreich wären. Das stimmt natürlich nicht. (lacht) Wir haben auch mal gehört, dass wir irgendwie nordisch klingen würden. So in Richtung Björk und Röyksopp. Da kann man schon merken, dass wir sehr Skandinavien-nah sind, weil es auch sehr atmosphärisch ist. Auch wenn wir dann im gleichen Atemzug mit Justice verglichen werden. Aber das ist eigentlich relativ auf den Punkt gebracht, wenn Leute so etwas sagen. Das macht doch Sinn, ich verstehe was die Leute damit meinen. Aber es gibt auch das Gerücht, dass wir nur ein Spaß-Duo sind, dem es allein darum geht. So seicht sind wir natürlich nicht, auch wenn der Spaß mit dazu gehört. Es ist doch schon ein bisschen tiefer als man vielleicht denkt. (lacht)
Mit welchen öffentlichen Meinungen kannst du da schon mehr anfangen?
Dass das zweite Album poppig ist zum Beispiel. Aber wenn man ganz viele Reviews liest, geht das irgendwann nur noch da rein und da raus. Die eine Person sagt, dass das Album totaler Schrott ist, die nächste meint, dass es ok ist und der beste Track der und der wäre. Der nächste Typ wiederum sagt, dass die Musik richtig super ist, aber genau der Track scheiße ist und so weiter. Irgendwann denkt man dann, dass es doch völlig egal ist, weil eben alle unterschiedliche Meinungen haben. Also, wir sammeln das alles, aber so richtig schlau werden wir daraus auch nicht mehr. (lacht) Gerade in England sitzen meistens nur noch Praktikanten, die da über ein Album schreiben und denken, dass sie alles wüssten. Und dann gibt es aber auch Leute, die sich richtig reinhängen, dass aber nur hobbymäßig machen, also irgendwelche Blog-Leute. Außerdem sind da noch die Leute, die das Album total hassen und wenn man sich dann aber anguckt, was die so alles toll finden, stellt man fest, dass von denen noch nie jemand etwas gehört hat. Gleichzeitig würde diese Bands jemand anderes bestimmt auch wieder total zerreißen. Insofern löst sich das alles irgendwie in Luft auf. (lacht)
Auf welche grausigen Jobs kannst du denn zurückblicken?
Mein erster Job war beim Apothekendienst. Der Klassiker also. Als nächstes war ich in einem Supermarkt zuständig für das Getränkeregal. Ich musste auch Pfand annehmen, auffüllen und irgendwann ist mir dann echt der Rücken durchgebrochen. (lacht) Danach ging es aber in den Plattenladen, was weniger schlimm war. Aber so ätzende Jobs muss ja jeder mal gemacht haben. Da hilft Musik auf jeden Fall weiter. Irgendwann im Lager hatte ich dann immer den Walkman mit meinen Mixtapes laufen und daraufhin ging es bei mir los mit dem Auflegen und so.
Interview und Fotos: Hella Wittenberg