Als „Flower of Devotion“, das bereits dritte Album der Band DEHD erschien, hatte die Welt gerade gefühlt anderes vor der Brust als Musik. Die Corona-Pandemie war erst wenige Monate alt, als der Tod von George Floyd die Welt erschütterte und die Black Lives Matter Bewegung endlich und mit vollem Recht das öffentliche Bewusstsein beherrschte. Und trotzdem wurde ausgerechnet „Flower of Devotion“ das Durchbruchalbum für die Band aus Chicago, die mit Frontfrau Emily Kempf, Jason Balla und Eric McGrady aus drei faszinierend unterschiedlichen Persönlichkeiten besteht.
Mit Sicherheit hat seinen Teil dazu beigetragen, dass Pitchfork das Album herauspickte und (ebenfalls zu Recht) über den grünen Klee lobte. Aber die Songs von DEHD liefern auch die perfekte Energie zum Abreagieren und gleichzeitig genau die emotionale Projektionsfläche, die man in diesen schwierigen Zeiten braucht. Und so hat die Band zur rechten Zeit den richtigen Nerv getroffen, um endlich die Aufmerksamkeit zu bekommen, die ihr schon längst gebührt hätte. Nun, mit ihrem aktuellen Album „Blue Skies“, schicken sich DEHD an, ihren Ruf als eine der aktuell spannendsten Indie-Bands weiter zu unterfüttern. Weil Emily Kempfs Stimme so herrlich speziell ist. Weil in den neuen Songs so viele verrückte, unterschiedliche Einflüsse drin sind und alles trotzdem so herrlich vertraut nach DEHD klingt.
Als ich Emily und Jason vor ein paar Monaten bei einem Besuch in Berlin treffe, haben sie eine nächtliche Odyssee auf der Suche nach einer Testmöglichkeit hinter sich, bevor sie endlich ihre Hotelzimmer beziehen durften, weshalb Eric es auch nicht rechtzeitig zum Interview aus dem Bett geschafft hat. Bei viel Kaffee amüsieren wir uns über den Hintergrundsoundtrack in der Hotellobby, der irgendwie gerade immer perfekt zu dem passt, worüber wir gerade sprechen. Und irgendwann sagt Jason so schön: „Musik ist irgendwie lustig, sie ist natürlich eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben. Aber sie ist jetzt auch nicht wie Essen oder Trinken. Und gleichzeitig ist sie irgendwie genau so.“
Im November kommen DEHD für ein exklusives Konzert nach Deutschland ins Hamburger Molotow, dem perfekten Ort, an dem sich die wunderbar geführt-chaotische Art der Band in voller Blüte entfalten wird dürfen.
Euer Album „Flower of Devotion“ ist ja zu einer Zeit erschienen, in der so viel in der Welt passiert ist, dass Musik nicht die größte Rolle gespielt hat. Dafür ist es für euch wirklich gut gelaufen.
Emily: Es ist extrem gut gelaufen für uns. Wir haben wirklich gestaunt, dass jemand die Zeit hatte sich auf unser Album zu konzentrieren, bei der Pandemie und all den sozialen Umwälzungen, die passiert sind.
Jason: Es ist ein gutes Album, aber wir hatten auch eine Menge Glück (lacht).
Emily: Ja, wir hatten Glück. Vielleicht hat die Zeit uns auch gut getan und die Leute haben anders mit unserer Musik gebondet, als sie es sonst getan hätten. Es war eine schreckliche Zeit. Und erstaunlicherweise hat unser Album vielen Menschen Trost gespendet, als die Welt zusammen gebrochen ist. Das kann man definitiv nicht planen (lacht).
Nein, planen kann man das nicht. Aber ich glaube, man kann zur richtigen Zeit den richtigen Ton treffen, damit die Menschen sich verstanden fühlen.
Emily: Richtig.
Jason: Das ist immer das Ziel, etwas zu machen, das gesehen wird und in dem man sich wieder erkennt.
Emily: Wer weiß, wie es sonst gelaufen wäre, das kann niemand sagen. Wir hatten Glück. Aber wir haben oft Glück als Band, überraschenderweise (lacht). Das macht einen schon sehr glücklich. Ich habe auch diese Alben, die ich jeden Tag höre, um mich zu beruhigen, um am Leben zu bleiben. Ich kann es verstehen, wenn Fans zu uns kommen und weinen, weil sie sich verstanden fühlen. Ich kenne das Gefühl.
Das war also 2020. Wann habt ihr dann mit der Arbeit an eurem aktuellen Album angefangen?
Jason: Wir haben 2021 angefangen es zu schreiben, nachdem wir ein ganzes Jahr lang nicht zusammen kommen konnten. Wir hatten eine richtig lange Pause von der Musik und haben uns einfach treiben lassen. Januar 2021 haben wir angefangen zu schreiben und im Mai 2021 haben wir aufgenommen. Und dann war es auch schon fertig (lacht). Klingt schnell, aber wir schreiben auch ziemlich schnell. Außerdem hat die Auszeit uns einen ganz neuen Zugang gegeben. Nach einer gewissen Distanz zu allem, habe ich zum Beispiel ganz anders Gitarre gespielt. Es hat sich wie ein ganz neuer Prozess angefühlt, wie zum ersten Mal Gitarre zu spielen, zum ersten Mal in einer Band zu spielen, mit einer ganz neuen Energie.
Emily: Wir hatten es so lang nicht getan, dass es sich einfach nur gut angefühlt hat, endlich wieder miteinander im Probenraum zu sein. Nach dem Motto oh mein Gott, wir spielen Musik zusammen, das ist ein ganz neues Konzept! (lacht) Wir hatten alle lange jeder unser eigenes Ding gemacht. Ich hatte mich ehrlich gesagt auf eine Art schon davon verabschiedet. Ich dachte, wer weiß was passiert und wollte mich an nichts binden. Und dann, als wir wieder zusammen kamen war sofort klar: okay, wir sind immer noch dabei! Aber irgendwie funktioniert die Band für mich genau so. Ich ziehe mich zwischendrin zurück, aber sobald wir zusammen sind, ist alles klar.
Wie toll, dass ihr offensichtlich diese Verbindung zueinander habt.
Emily: Ich habe mir das nicht ausgesucht, es passiert einfach so (lacht). Ich weiß es auch nicht, es ist keine Karriereentscheidung und auch kein Identitätsding, ich liebe es einfach Musik zu machen, in DEHD, zusammen mit Jason und Eric. Ich weiß, ich müsste es nicht tun und könnte trotzdem überleben, aber es macht einfach so viel Spaß.
Und ist es nicht viel schwerer, zwischendrin loszulassen als alles ständig zu kontrollieren?
Emily: Ja, es ist schwer. Ich glaube, jeder hat eine andere Kapazität dafür, was man loslassen kann und was nicht. Das hängt von deinem Leben ab und davon, wieviel emotionales Gepäck du mit dir rum schleppst. Songschreiben funktioniert bei uns auch sehr über Loslassen. Ich glaube, da sind wir alle drei gut drin. Den Songs ihren eigenen Freiraum lassen, sie sich dorthin bewegen lassen, wo sie hinsollen. Wenn ich das, wie wir unsere Musik behandeln, auf alles in meinem Leben anwenden könnte, mein Leben wäre perfekt (lacht).
Das heißt, das Album ist ein ganzes Jahr, bevor es veröffentlicht wurde, fertig geworden?
Jason: Ja, das braucht alles seine Zeit. Aber ehrlich gesagt ist es für uns gar nicht so lange. Manche unserer Songs waren über zwei Jahre fertig, bevor sie veröffentlicht wurden.
Hat man nicht manchmal Zweifel, ob das, was man damals gemacht hat, in dem Moment in dem es raus kommt noch genauso relevant für einen ist?
Jason: Ich weiß nicht, ich glaube nicht unbedingt. Für uns ist das dann einfach der Punkt, an dem wir vor einem Jahr waren.
Emily: Ich glaube ehrlich gesagt, dass wir diesbezüglich Glück haben. Eine Freundin von mir hat gerade eine schwere Krise, weil sie all ihre frühere Musik hasst. Und sie muss sie weiter spielen. Vielleicht ist das bei uns nicht so, weil wir alle in unseren Identitäten bereits ziemlich gefestigt waren, als wir angefangen haben als Band Musik zu machen. Und dann sind unsere Identitäten innerhalb der Band weiter gewachsen. Es gibt nichts, was wir so richtig hassen. Es gibt Songs, die sind sehr emotional für mich, die will ich nicht immer singen. Ich versuche nichts zu schreiben, was ich nicht mag, denn im Idealfall werde ich es ewig spielen müssen. Wenn du einen Song gut findest und an ihn glaubst, dann hat er ein Recht zu existieren. Und in dem Moment, in dem er da draußen ist, gehört er dir auch nicht mehr. Dann ist es an den anderen, etwas draus zu machen. Ich könnte fast weinen, wenn ich so drüber nachdenke.
Jason: Ich habe neulich endlich meinen Computer gewechselt und musste alle Daten übertragen. Ich hatte immer noch denselben Laptop seit 2007, mit all den frühen Aufnahmen drauf. Es ist lustig, im Prinzip ist das alles der gleiche Shit, den ich heute immer noch spiele (lacht). Niemand von uns hat irgendwie im klassischen Sinne gelernt Musik zu machen, von daher sind wir mit den Jahren vor allem technisch gewachsen. Ich denke, vom Grundprinzip her bleibt das was du machst konstanter, als du selbst vielleicht denkst. Zumindest ist das die Art, wie wir Musik machen. Der Ansatz bleibt immer der gleiche. Wahrscheinlich würden wir unsere Songs heute nicht mehr so produzieren wie unsere ersten Tapes. Aber wer weiß, beim nächsten Album gehen wir vielleicht wieder dorthin zurück und werfen den ganzen Scheiß durcheinander.
Emily: Wir sind einfach gute Songschreiber. Wir wissen, wie man einen Song schreibt, was eine gute Melodie ausmacht. Darüber hinaus ist viel Platz für Experimente. Außerdem sind wir alle drei gefestigte Persönlichkeiten, Einflüsse von außen bringen uns nicht so schnell durcheinander.
Es ist vielleicht ein bisschen eine cheesy Frage, aber bei euch interessiert sie mich tatsächlich sehr. Wie habt ihr euch überhaupt getroffen?
Jason: Das war innerhalb der DIY Community in Chicago. Eric und ich haben in Chicago gelebt, Emily war irgendwie die ganze Zeit auf Tour. Ich weiß gar nicht, wo du genau gelebt hast…
Emily: Ich war neun Monate am Stück unterwegs. Ich bin durch eine Show nach Chicago gekommen und kurz darauf dorthin gezogen. Ich bin die ganze Zeit ausgegangen und habe versucht Leute zu treffen. Jason habe ich bei einer Show kennengelernt, die er gespielt hat, Eric war auch dort, sowie ein Großteil meiner Freunde aus Chicago. Das war das erste Mal, dass wir aufeinander aufmerksam geworden sind. Jason und ich habe angefangen zusammen Musik zu machen, dann kam Eric dazu und daraus ist DEHD entstanden. Es war aber lange nicht unser Hauptprojekt, weil wir alle noch so viel anderes am Start hatten. DEHD war quasi unsere „Entspannungs-Band“. Einfach zum Spaß haben, ohne über Erfolg, Ruhm, Presse, was auch immer nachzudenken. Wir hatten nur eine Regel, nämlich dass wir zu allem ja sagen und dabei Spaß haben. Vielleicht ist dadurch dieses losgelöste Gefühl entstanden. Wir haben es mehr als ein soziales Experiment gesehen (lacht). Und irgendwie hat jeder die Band sofort geliebt, also haben wir weiter gemacht. Vor zwei Jahren haben wir gemeinsam beschlossen, dass wir das jetzt zu unserem Beruf machen. Ab dem Moment haben wir alle drei all unsere Energie reingesteckt. Und es hat funktioniert! (lacht)
Ich finde auch, dass ihr einen wirklich besonderen Sound habt. Das habe ich sofort gedacht, als ich zum ersten Mal euren Song „Loner“ gehört habe. An eurem neuen Album mag ich sehr, dass so viele kleine, lustige Einflüsse rundherum dazu gekommen sind. Dieser leichte Sixties-Vibe zum Beispiel. Eine gewisse Sweetness in Kombination mit deiner starken Stimme, das ist ganz schön cool.
Emily: Oh, danke dir! Das hast du sehr gut beschrieben. Ich kann es selbst so schlecht beschreiben, ich bin wahrscheinlich zu nah an der Quelle. Aber ja, wir haben viele lustige Einflüsse. Ich habe viel drüber nachgedacht. Ich glaube, wenn wir schreiben, dann nehmen wir all diese kleinen Dinge, die den Leuten Freude bereiten, ohne dass sie genau sagen können warum. Davon packen wir einfach gleich fünf in einen Song (lacht).
Jason: Und wir mögen privat alle drei sehr unterschiedliche Musik. Ich glaube, das klingt auch durch. Jeder von uns bringt andere Einflüsse mit und wir treffen uns irgendwo in der Mitte.
Und das alles kommt dann unter dem DEHD Schirm zusammen.
Jason: Genau. Die Band hat eine sehr starke Persönlichkeit, die alles überschattet (lacht). Manchmal entsteht ein Song, der sich gut anfühlt, aber er passt irgendwie nicht in das DEHD Universum. Aber ich glaube, wir haben dieses Universum auf dem neuen Album ein bisschen gepusht. Haben geguckt, was alles ein DEHD Song sein kann.
Emily: Zum Beispiel finde ich es so cool, wenn Jason und ich miteinander singen. Das haben wir diesmal viel mehr gemacht. Ich wollte ganz viel Harmoniegesang haben. Jeder von uns hat etwas mitgebracht, das er unbedingt ausprobieren wollte. Ich glaube, deshalb sind wir als Band immer noch zusammen und verstehen uns so gut. Weil wir einfach miteinander Spaß haben und Sachen ausprobieren wollen.
DEHD live:
11.11.2022 Hamburg, Molotow
Foto © Atiba Jefferson