Gefühlt ist Celeste dieses Jahr ganz plötzlich aufgetaucht und hat unser aller Herzen mit ihrer unglaublichen Stimme im Sturm erobert. Aber natürlich steckt hinter all dem ein langer Weg, denn die Britin hat bereits als Kind angefangen sich für Musik zu interessieren und mit 18 ihre ersten eigenen Songs geschrieben. Inzwischen ist sie frisch gekürte Gewinnerin des BRIT Rising Star Awards bei den BRIT Awards 2020, sie hat ein Duett mit Britpop-Ikone Paul Weller aufgenommen und war als Support von Janelle Monaé, Neneh Cherry und Michael Kiwanuka unterwegs. Im Rahmen der Tournee mit letzterem habe ich Celeste zum Interview getroffen und eine sehr charismatische, gesprächige und besonders liebenswerte Künstlerin kennengelernt.
Ich freue mich, dich zu treffen! Wie geht es dir?
Mir geht es sehr gut! Es ist schön in Berlin zu sein, nachdem ich die letzten Tage quasi komplett im Tourbus verbracht habe. Ich bin gerade als Support von Michael Kiwanuka unterwegs. Meine Band fährt heute mit dem Bus, ich bin schon vor gefahren, sonst wäre ich nicht rechtzeitig hierfür in Berlin gewesen. Das ist eine schöne Abwechslung.
Das war ein sehr geschäftiges Jahr für dich, oder?
Ja, das war sehr gut. Vor allem in den letzten drei Monaten hat es mächtig Fahrt aufgenommen. Anfang des Jahres hat mich fast niemand gekannt. Es gab ein paar Leute, die mich von früher kannten, als ich hier und da unabhängig Musik veröffentlicht habe. Aber dieses Jahr hat sich alles angefangen organisch aufzubauen. Ich wollte schon lange dass das passiert, ich mache ja auch schon lange Musik. Dass es dieses Jahr passiert ist, das Jahr, indem ich die Musik veröffentlicht habe auf die ich bis jetzt am meisten stolz bin, freut mich natürlich besonders. Ich finde, diese Musik verdient Aufmerksamkeit. Im Februar war ich in Amerika und habe geschrieben. Ich hatte so etwas noch nie gemacht, mein Manager meinte ich solle dort hingehen und es versuchen. Er hatte dort gute Connections zur Soul- und Jazzszene, also bin ich dort hin und habe mit Leuten gearbeitet. Ich kam zurück mit all diesen neuen Songs und viele Leute sagten, dass sie wirklich interessant sind. Meine erste Show mit den Songs habe ich im Februar gespielt, bei einer BBC Introducing Night in London. Als ich „Strange“ gespielt habe, hatte ich Gänsehaut, weil ich ihn wirklich erst vor ein paar Wochen geschrieben hatte. Ich dachte, ich mag den Song so sehr, ich hoffe die Leute mögen ihn auch! (lacht) Die Reaktionen waren auch wirklich gut. Die BBC hat mir sehr geholfen, sie haben mich dann für ihre Introducing Bühne beim Glastonbury Festival gebucht, woraus sich weitere Festival Shows ergeben haben. Ich denke die Live-Shows waren sehr wichtig für mich, daraus hat sich das meiste Interesse ergeben. Ich bin sehr glücklich darüber, wie sich alles entwickelt hat. Jetzt kann ich all die Dinge machen, die ich nicht machen konnte, als ich jünger war. Wie reisen zum Beispiel. Dafür hatte ich früher einfach kein Geld, weil ich alles Geld das ich übrig hatte investiert habe um ins Studio zu gehen.
Und jetzt kannst du reisen, ganz viele Orte sehen und wirst auch noch dafür bezahlt!
Ja, das ist cool! Ich habe immer gehofft, dass das passiert. Ich sehe all diese Orte, an denen ich noch nie war, und es ist meine Musik die mich da hingebracht hat. Gestern waren wie in Norwegen. Ich war noch nie dort. Die Luft dort ist so frisch, sie trifft dich wie ein Schlag. Es fühlt sich großartig an. Und all die Leute die man trifft! Die vielen verschiedenen Sprachen und Akzente. Ich versuche so viel wie möglich davon aufzuschnappen. In der Schule war ich gut in Französisch. Jetzt immer wieder dort zu sein gibt mir die Möglichkeit, die Sprache mehr und mehr zu lernen.
Ich habe dich zum ersten Mal im Sommer gesehen, als du vor Janelle Monáe in Berlin aufgetreten bist. Du bist auf die Bühne gekommen und hast angefangen zu singen, und es ist totenstill im Raum geworden. Die Leute hingen dir von Anfang an an den Lippen.
Das ist toll, dass du das sagst. Ich glaube, ich hatte vor der Show noch nicht wirklich in Deutschland gespielt. Ich war wahnsinnig aufgeregt! Als ich zum ersten Mal darüber nachgedacht habe einen reinen Klavierauftritt zu machen, in einer Venue von der Größe und vor Janelle Monáe, bin ich doch sehr nervös geworden. Was wenn das Publikum sich langweilt und laut wird? Aber ab dem Moment, in dem ich auf die Bühne gegangen bin, habe ich mich sehr wohl gefühlt, sehr warm aufgenommen. Ich hatte das Gefühl ich kann mir meine Zeit nehmen und einfach meine Songs singen, eine Geschichte erzählen. Dafür war ich da. Ich war sehr dankbar für diese Gelegenheit, so eine hat man ja nicht oft. Und dann auch noch vor Janelle Monáe! Obwohl sie an einem ganz anderen Punkt ihrer Karriere ist, habe ich viel von ihr gelernt. Sie hat sehr lange darauf hingearbeitet, Shows von dieser Größe zu spielen. Aber zu sehen, wie sie ihre Ästhetik wählt und wie sie sie umsetzt, das hat mich sehr inspiriert und meine Arbeit im Lauf des Jahres beeinflusst. Sie wirkt wie ein ganz normaler Mensch, hat aber einfach dieses unglaubliche Talent. Das ist viel inspirierender als jemand, der fast schon übermenschlich wirkt. Es gibt diese Künstler, bei denen du das Gefühl hast, du könntest nie wie sie sein, weil es körperlich einfach unmöglich ist (lacht). Ich möchte nicht, dass alles super clean und perfekt ist. Ich möchte einfach ich selbst sein.
Ich frage mich ja immer, wenn man so eine unglaubliche Stimme hat wie du – wie entdeckt man das? Steht man singend im Badezimmer und denkt eines Tages oh, das hört sich eigentlich ganz gut an? Oder sagt einem das jemand anderes?
(lacht) Weißt du was, manchmal bin ich sehr schüchtern. Das ist eine Seite von mir. Aber ich war auch schon immer sehr eigensinnig. Ich habe mir noch nie so richtig von jemandem sagen lassen was ich tun soll (lacht). Wenn mir jemand als ich jung war gesagt hätte dass ich gut bin, hätte ich gesagt ja okay, danke schön. Aber irgendwie ist doch jeder ganz gut. Tatsächlich habe ich mich genau so gefühlt! In der Grundschule haben alle meine Freundinnen gesungen oder wollten Schauspielerin werden. Das war irgendwie normal. Als ich acht oder neun Jahre alt war, habe ich angefangen mich für Musik zu interessieren. Ich war regelrecht besessen von manchen Stimmen, was für jemanden in meinem Alter eher ungewöhnlich war. Meine zwei besten Freundinnen haben gesungen, und ich dachte, ich bin auch nicht besser als sie. Aber ich bin an bestimmten Punkten in meinem Leben immer wieder zur Musik zurückgekommen. Meine Mutter hat mich alleine groß gezogen und viel gearbeitet. Als ich zehn war, hat sie mich an den Wochenenden in eine Tanzschule geschickt, jeden Samstag bin ich da hin gegangen und habe Ballett und Stepptanz gelernt – was ich ein bisschen dumm fand, um ehrlich zu sein (lacht). Es war mir eher peinlich. Wenn ich in den Gängen rum gelaufen bin, habe ich gesungen. Eines Tages hat mich die Gesanglehrerin gehört. Sie hat meine Mutter beiseite genommen und gesagt: Ihre Tochter hat eine interessante Stimme. Sie sollten sich überlegen, ob sie nicht Vollzeit hier zur Schule gehen will. Meine Mutter hat mich gefragt ob ich das möchte und ich meinte warum nicht, weil ich es auf meiner anderen Schule langweilig fand. Also bin ich anderthalb Jahre dort auf die Schule gegangen. Ich habe dort sehr viel über kreative Routine gelernt, aber insgesamt hat es nicht so richtig zu mir gepasst. Jeder Schüler musste in ein Schema passen, um am Ende ein Produkt dieser Schule zu werden. Ich hatte schon immer meine eigenen Ideen, wer ich sein wollte. Also bin ich zurück auf meine alte Schule gegangen und habe, als ich älter war, wieder auf eine Musik-orientierte Schule gewechselt, obwohl ich das erst gar nicht wollte. Ich wollte lieber auf die Sportschule gehen, aber es war mitten im Winter als wir uns die Schule anschauen sollten, und meine Mutter hat den Weg nicht gefunden (lacht). Als ich 13 war, wollten meine Freundinnen dort eine Sugababes-Nummer machen. Sie waren viel selbstbewusster als ich, und sie haben mich dazu gebracht, bei dieser total übertriebenen Tanznummer mitzumachen. Aber wieder wollte der Zufall es, dass die Gesanglehrerin mich gehört hat und mich in eine Klasse gesteckt hat, in der der Gesang mehr gefördert wurde. Es gab immer wieder diese Punkte in meinem Leben, die mich zur Musik zurückgeführt haben. Mein Vater ist gestorben kurz nachdem ich aufs College gewechselt hatte. Das hat mich so sehr aus der Bahn geworfen, dass ich beinah von der Schule geflogen wäre. Zum Glück hatte ich eine Lehrerin, die sich sehr für mich eingesetzt hat und dafür gesorgt hat, dass ich meine Fächer reduzieren und bleiben konnte. Und wieder war Musik das Fach, auf das ich mich am Ende am meisten konzentriert habe. Ich habe gelernt Programme zu nutzen mit denen man Musik produziert und meine ersten eigenen Songs aufgenommen. Es war ein großes Glück, dass ich immer wieder an Menschen geraten bin, die mich erkannt und ermutigt haben.
Das klingt ganz so, als hätte dich das Leben ganz natürlich immer wieder zur Musik zurück geführt. Selbst wenn es durch so traurige Dinge war wie der Tod deines Vaters.
Ja, definitiv. Meine Oma hat immer zu mir gesagt: Was für dich bestimmt ist, wird nicht an dir vorbei gehen. Und ich glaube die Leichtigkeit, mit der sie das gesagt hat, hat mir dieses ruhige Gefühl gegeben, dass ich mir nicht so viele Sorgen machen muss. Selbst wenn das, auf das du dich fixierst vielleicht nicht eintrifft, kann dir etwas ganz anderes passieren, das am Ende für dich bestimmt ist. Sie hat das auch auf die Liebe bezogen (lacht). Man braucht einfach gute Leute um einen herum, die einem positive Energie geben.
Du scheinst davon sehr viel zu haben.
Ja, ich glaube das habe ich! Aber es ist leicht positive Energie zu haben, wenn einem so viele gute Dinge passieren. Wenn einem Schlechtes passiert, dann ist es wichtig, dass man versucht, sie nicht zu verlieren. Aber ich versuche immer, das Gute zu sehen. Und ich kann es kaum erwarten, mein erstes Album fertig zu haben! Der Moment, in dem ich mir keine Gedanken mehr machen muss, ob ich genug Songs dafür habe. Stell dir mal vor wie furchtbar das wäre… jetzt wo ich die Möglichkeit habe gehört zu werden, würden mir keine Songs mehr einfallen! (lacht)
Foto © Mia Clark