Der 18. November 2012 scheint ein überaus begehrtes Datum zu sein. Ob Gossip, Animal Collective oder auch Rihanna. Sie alle gastieren für einen Abend in Deutschlands Hauptstadt. Für Alexander Ridha alias Boys Noize soll dieser Sonntag ein Heimspiel werden. In der C-Halle will er sich schon mal für die bevorstehenden Amerika-Gigs warm machen. Doch als man gegen 21 Uhr den Veranstaltungsraum betritt, ist noch viel Luft im Raum. Luft zum Atmen. Luft nach oben. So muss Spank Rock zunächst, völlig unter seinem Niveau, vor einem Publikum in der Größe eines Tante-Emma-Ladens sein schrilles Rap-Dance-Gemisch vom 2011er Werk „Everything Is Boring And Everyone Is A Fucking Liar“ (bei Boys Noize Records erschienen, von Boys Noize produziert) performen. Und das geht live ab wie Schmidts Katze. In mit Nieten besetzten Leoparden-Print-Hosen, Adidas-Glitzerfummel und Nerd-Brille weiß Naeem Juwan in kürzester Zeit die Leute von den Biertheken und dem Merchandise-Stand zu sich, direkt tanzend vor die Bühne, zu bringen. Nach einem Bootie-Dance von DJ Musa und dem Werfen von T-Shirts for free ist man dann sogar schon das erste Mal an diesem Abend ein wenig durchgeschwitzt und definitiv bereit für mehr.
Der Raum füllt sich zusehends (waren etwa die anderen Konzerte schon vorbei oder hatten die meisten einfach nur verschlafen? Berlin, was ist bloß los mit dir?) und pünktlich geht um 22 Uhr das Licht aus. Der Nebel an. Auf der großzügigen Bühne keine Menschenseele zu sehen. Allein ein überdimensionaler schwarzer Totenkopf ziert den zentralen Bühnenbereich. Die Augen beginnen zu glühen. Im Hintergrund fangen die LEDs zu blinken an und die Menschen kreischen. Ein tiefer Beat dröhnt durch Ohr und Bauch. Und mit einem Mal erhebt sich langsam aus der Mitte des Totenschädels der Mann des Abends. Mit einer Augenbraue und Käppi steht da grinsend Boys Noize und streckt den Zeigefinger in die Höhe. Heroisch. Ab jetzt wird getanzt, gehüpft, die Köpfe und Haare geschwungen, auf Tuchfüllung mit dem Nebenmann gegangen. In den nächsten anderthalb Stunden gibt es keine Zeit für Luft im Raum oder zum Durchatmen. Aber eine Bierdusche vom Hintermann. Man jubelt. Jubelt, dass es ein schönes Wochenende mit dem passenden Ausklang war. Wir jubeln der Woche und dem Ungewissen entgegen. Denn im Moment spürt man nur den Schuh des tanzwütigen Menschen neben sich ganz deutlich auf dem eigenen. Egal. Boys Noize bietet hundert Prozent echte Konzert-Atmosphäre bei nur halb ausgelasteter C-Halle. Ob das auch ein Rihanna-Konzertbesucher behaupten kann? Hier ist weniger mehr. Nach alten Tracks von „Oi Oi Oi“ (2007) wie ganz frischen Stücken vom diesjährigen „Out Of The Black“ kommt der im wirklichen Leben nur halb so große Alexander von seinem Podium heruntergehopst, klatscht bei den Leuten in der ersten Reihe ab und verschwindet ins Dunkle. Andere, beatlastige Musik beginnt und beim Sprechen ist alles dumpf. Ein gutes Ende, ein gelungenes Heimspiel.
War dabei: Hella Wittenberg