„The boys are back in town“ tönen Thin Lizzy durch die Boxen, während die (durchwegs weibliche) Band ihre Plätze auf der Bühne einnimmt. Ein boygenius-typisches Augenzwinkern, schließlich haben die drei Musikerinnen Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sich für ihre gemeinsame Supergroup einen Namen ausgesucht, der augenscheinlich dem „starken Geschlecht“ huldigt. boygenius sind angetreten, um der immer noch stark männlich dominierten Indierock- und Emo-Szene zu zeigen, wo der Hammer hängt, oder auch, wie tief bei Frauen die röhrenden Gitarren hängen können, ohne sich in platten Kopien von Mackergesten zu ergehen (dennoch: kaum einer stagedivet so anmutig wie Phoebe Bridgers). Bei ihrem ersten Deutschlandkonzert beweisen Dacus, Bridgers und Baker, dass Rockmusik und weibliche Verletzlichkeit sich nicht ausschließen. Dass auch in einem derart schwitzigen Rahmen Platz für ruhige, tief emotionale Töne ist. Und dass sie es ganz nebenbei genauso locker wie ihre männlichen Kollegen schaffen, Scharen von singenden, kreischenden und auch mal Tränen vergießenden Frauen vor der Bühne zu versammeln.
Dass die Stimmung an diesem Abend in der Berliner Verti Music Hall schon zu Beginn des Konzerts derart aufgeladen ist, liegt aber nicht nur an den tropischen Temperaturen, sondern vor allem an MUNA, der Band, die an diesem Abend viel mehr als nur Support ist. Das amerikanische Trio heizt mit seinem mitreißenden Indie-Pop der Menge, die zum Großteil die Songs textsicher mitsingen kann, mächtig ein. Inklusive Plastikpferd „Stacy“, das einen Song lang über das Publikum galoppieren darf, danach aber auch sanft wieder zurück gefordert wird. Man müsse nach all den Jahren immer noch auf das Budget achten, scherzt Sängerin Katie Gavin. MUNA standen zuletzt 2017 in Deutschland auf der Bühne, im Vorprogramm von Harry Styles, und freuen sich sichtlich, so warm empfangen zu werden. Das ist aber auch nur recht und billig. MUNA sind die perfekte Mischung aus glamouröser Pop-Show und kollektiver Band-Performance, da wird jeder Zentimeter der Bühne mit großen Schritten und Gesten ausgenutzt. Es spricht für das Verhältnis zwischen den beiden Bands, dass MUNA sich als Opener nicht zurücknehmen müssen, sondern ihren Raum ganz für sich beanspruchen können. Und dieser Raum soll (geht es noch toller?) außerdem ein Safe-Space für die Queer Community sein, in dem ein jeder sich sicher und ganz bei sich selbst fühlen darf, so Katie Gavin. Als Abschluss-Bombe gibt es dann auch noch eine überraschende boygenius Sneak-Preview, indem gemeinsam die Gay-Hymne „Silk Chiffon“ performt wird, die MUNA ursprünglich im Duett mit Phoebe Bridgers aufgenommen haben.
Und dann ist man eigentlich auch schon bis auf den Schlüppi durchgeschwitzt, als boygenius schließlich die Bühne betreten. Julien Baker, Lucy Dacus und Phoebe Bridgers treten seit 2018 gemeinsam als boygenius auf und haben als diese in diesem Jahr endlich ihr lang erwartetes Debütalbum veröffentlicht. Der Appeal der Band liegt vor allem natürlich daran, dass alle drei Künstlerinnen echte Schwergewichte der Indie-Rock-Szene sind. Phoebe Bridgers ist aktuell die Bekannteste der drei, aber was Songwriting und Bühnenpräsenz angeht, stehen Lucy Dacus und Julien Baker ihr in nichts nach. Vor allem letzteres lässt sich an diesem Konzertabend natürlich gut beobachten. Aber boygenius stehen darüber hinaus auch für Form freundschaftlichen Zusammenhalts, der unter Frauen in der Showbranche gerne als hinderlich propagiert wird. Während männliche Rockstars wie Dave Gohl, Jack White oder Josh Homme sich stetig in unterschiedlichen Bandformationen ausprobieren, wird Frauen gerne das Gefühl vermittelt, es sei nur Platz für eine im Raum – vor allem wenn es um den ganz großen Erfolg geht. Bridgers, Dacus und Baker stellen ganz klar Zusammenhalt und Freundschaft, gewürzt mit einer Prise queerer Erotik in den Mittelpunkt und haben auf diese Weise ein unleugbares Erfolgskonzept geschaffen. Als Band erfreuen die drei sich eines euphorischen, breiten Publikums. Die sensibleren darunter fühlen sich emotional gesehen, die eher analytisch veranlagten können sich an den hochkarätigen Fähigkeiten der drei Musikerinnen erfreuen. Fakt ist: boygenius lassen an diesem Abend niemanden im Regen stehen.
Wenn es nur nicht so furchtbar heiß gewesen wäre. Zumindest ist Phoebe Bridgers inzwischen offensichtlich Profi darin, Hallenkonzerte inmitten einer Hitzewelle zu spielen. Bereits bei ihrem Solo-Konzert im letzten Jahr setzte sie sich energisch dafür ein, dass Wasser an die Schwitzenden verteilt wurde. Trotzdem musste auch an diesem Abend das Konzert mehrfach unterbrochen werden, weil Kollabierende in der brodelnden Menge Hilfe benötigten. Und auch das forderte die Band persönlich ein. boygenius brechen zwar reihenweise Herzen mit ihren traurigen, hymnenhaften Songs. Aber sie helfen dir auch wieder auf die Beine, wenn du am Boden liegst, und das nicht nur metaphorisch gesprochen.
Fotos © Oliver Look